Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Phillip Tietz will mehr als einen Händedruck von Harry Kane
Sieben Spiele hatte FCA-Stürmer nicht mehr getroffen. Rechtzeitig vor dem Spiel gegen den FC Bayern beendete er gegen Borussia Mönchengladbach seine Torflaute. Das stärkt sein Selbstbewusstsein.
Zur Routine von Phillip Tietz gehört es, direkt nach den Bundesliga-Partien noch einmal seine Leistung für sich persönlich visuell aufzuarbeiten. „Ich bin sehr selbstkritisch, sehe mir die Spiele oft am Abend noch einmal allein an und ärgere mich dann über falsche Laufwege von mir, über einen misslungenen ersten Kontakt und frage mich, was wäre passiert, wenn ich den Ball besser mitgenommen hätte“, sagt der Stürmer des FC Augsburg.
Und da Stürmer zum Großteil an ihren Toren gemessen werden, hatte Tietz zuletzt nicht viel Spaß am Selbststudium. Denn nach seinem phänomenalen Start unter Trainer Jess Thorup mit drei Treffern in den ersten drei Spielen ging er zuletzt in sieben Partien leer aus. Bis zum 2:1-Auswärtssieg gegen Borussia Mönchengladbach.
Da erzielte er wenige Sekunden nach dem Beginn der zweiten Hälfte den zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleich (47.) und half dann mit einer gekonnten Ballverlängerung, den 2:1-Siegtreffer durch Arne Engels (51.) vorzubereiten. Bei seinem vierten Bundesliga-Treffer überhaupt half Tietz, der im Juni ablösefrei von Aufsteiger SV Darmstadt zum FCA gewechselt war, sein ureigenes Hilfsmittel gegen eine Ladehemmung: „Klar, kann man mal eine Flaute haben, aber kämpfen und Leidenschaft auf den Platz bringen, kann man in jedem Spiel.“
Und das tat er gegen Gladbach. Mit voller Wucht schraubte er sich nach einer präzisen Flanke des immer stärker werdenden Kevin Mbabu zu einem Flugkopfball hoch, sein Gegenspieler Joe Scally wegzudrücken war nicht schwer, denn der US-Amerikaner ist eine Gewichtsklasse unter Tietz einzuordnen. Es war ein Treffer des Willens, der rustikalen Machart. „Das Tor war ein extrem geiles Gefühl. Vor allem, weil es direkt nach der Halbzeit war. Nach dem 1:1 haben wir noch einmal richtig aufgedreht und das Spiel innerhalb von vier, fünf Minuten gedreht. Das zeigt unsere Teammoral.“
Auch beim Treffer von Engels war Tietz beteiligt. Er verlängert eine Flanke auf seinen Sturmpartner Ermedin Demirovic und der weiter zu Engels. Mit einer kleinen Systemumstellung hat FCA-Trainer Jess Thorup mit den beiden Stürmern Demirovic und Tietz in vorderster Linie und Ruben Vargas auf der Zehn ein offensives Dreieck geschaffen, das immer besser harmoniert.
„Es macht extrem Spaß mit den beiden vorne zu spielen. Wir reden unter der Woche viel darüber, was wir besser machen können. Wir wollen etwas entwickeln. Ich denke, das sieht man auch langsam von Spiel zu Spiel.“Tietz profitiert ungemein von Vargas, der in seiner neuen Rolle nicht nur Freiräume schafft, sondern auch als Anspielstation dient: „Ruben ist ein brutaler 1:1-Spieler, der viele Leute auf sich ziehen kann, sodass ich genau weiß, wenn ich den ersten Ball festmache oder in den Lauf spiele, dann ist es für den Gegner sehr schwer.“
Auch die Abstimmung mit Demirovic wird immer feinteiliger. „Mit Demi hat es ein wenig gedauert, aber jetzt verstehen wir uns blind. Das hat man auch beim zweiten Tor von Arne Engels gesehen. Ich wusste, Demi steht da und ich verlängere ihn mit der Hacke.“
Und so ist Tietz auch vor dem Duell mit dem FC Bayern München am Samstag (15.30 Uhr/Sky) in der ausverkauften WWK-Arena nicht bange. Auch wenn seine persönliche Bilanz als Bundesliga-Novize kurz und erfolglos (1:2 mit dem FCA in der Vorrunde und 0:6 im Pokal-Viertelfinale mit Paderborn im Februar 2018) ist: „Ich will nicht nur die Hand von Harry Kane, Leroy Sané oder Thomas Müller schütteln, auch wenn sie ganz feine Menschen sein können. Es sind meine Gegner über die 90 Minuten und da werde ich alles raushauen. Und warum sollen wir nicht auch gegen die Bayern gewinnen? Die Chance ist da. Das hat man auch bei den letzten beiden Heimspielen gesehen.“Die hat der FCA in der Saison 21/22 mit 2:1 (Tore: Pedersen/Hahn) und in der Saison 22/23 mit 1:0 (Tor: Berisha) gewonnen.
Zudem herrscht beim FC Bayern derzeit angesichts der sportlichen Magerkost eine gehörige Unruhe. Doch die will Tietz nicht überbewerten. „Bayern hat so viele Stars. Die blenden das aus. Es wird eine unangenehme Aufgabe, über die Qualität der Bayern brauchen wir nicht zu reden.“
Aber auch beim FCA tauchen wenige Tage vor Ende des WinterTransferkorridors immer wieder Personal-Spekulationen auf. Feyenoord Rotterdam soll Kevin Mbabu umgarnen. Im Falle von Ruben Vargas ist das Interesse des AC Florenz verbrieft.
Der italienische Erstligist soll schon vor ein paar Tagen ein erstes Angebot abgegeben haben. Doch das lag unter fünf Millionen Euro und damit weit unter den Vorstellungen des FCA. Seitdem herrscht nach Informationen unserer Redaktion, trotz anderslautender Meldungen, Funkstille. Aber bis zum 1. Februar kann noch viel passieren.
Phillip Tietz kennt die Mechanismen des Profi-Fußballs, will sich damit aber nicht beschäftigen. „Ich weiß nicht, ob diese Gerüchte stimmen. Wir sind generell nicht so eingestellt, dass wir in der Kabine über solche Themen sprechen. Wir sind im Hier und Jetzt. Fußball ist ein schnelllebiges Geschäft. Ich hoffe, er bleibt, weil er ein super Kicker und Mensch ist. Ich genieße jedes einzelne Spiel mit ihm. Ich kann nur ein großes Lob an Ruben aussprechen, wie er sich tagtäglich reinhaut und die Spiele absolviert. Das ist nicht so selbstverständlich.“
Tietz gelingen auch Treffer der rustikaleren Machart.