Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Verbote machen das Verbotene oft noch attraktiver
Weniger Süßes, Alkohol oder Wurst: Die Vorsätze zum Jahresanfang sind vielfältig. Doch was bringt das? Welche Fallstricke gibt es und welche Tricks, um durchzuhalten? Das haben wir eine Expertin aus Gersthofen gefragt.
Sind Neujahrsvorsätze für die Ernährung sinnvoll?
Tinatin Deisenhofer: Warum nicht? Ich denke, wenn jemand sich vornimmt, „Jetzt ist die Zeit, etwas zu ändern“, signalisiert diese Entscheidung, dass die Person mit der Situation nicht zufrieden ist und eine Veränderung anstrebt.
Doch oft hält man nicht lange durch, was sind die Fallstricke bei den Vorsätzen?
Deisenhofer: Oft wird unterschätzt, wie komplex eine Verhaltensänderung ist. Diese geht weit über einen Neujahrsvorsatz, wie „Ich ernähre mich gesünder“, hinaus. Es erfordert mehr Anstrengung und Engagement, eine solche Änderung umzusetzen und beizubehalten.
Was könnte beim Durchhalten helfen?
Deisenhofer: Es ist empfehlenswert, konkrete Ziele zu setzen und diese zeitlich zu planen. Es sollte klar sein, wann und wie bestimmte Ziele erreicht werden sollen.
Sind Verbote, wie zum Beispiel nichts Süßes mehr zu essen, sinnvoll?
Deisenhofer: Nein, überhaupt nicht. Verbote in Bezug auf die Ernährung, wie das komplette Vermeiden von Süßigkeiten, bringen nichts. Unser Gehirn kommt mit strikten Verboten oft nicht gut zurecht. Tatsächlich machen Verbote das Verbotene noch attraktiver, was häufig dazu führt, dass wir das Verbot nicht einhalten und erneut in Gewohnheiten zurückfallen. Dies führt zu Frustration und Enttäuschung über das vermeintliche Scheitern. Oftmals werden solche Rückschritte als persönliche Schwäche wahrgenommen, woraufhin schnell alle guten Vorsätze über Bord geworfen werden.
Was wäre dann der bessere Weg, statt sich Verbote aufzuerlegen?
Deisenhofer: Wenn sich jemand bereits Ziele gesetzt hat, ist es wichtig, diese mit konkreten Plänen zu untermauern. Man sollte genau überlegen, wie moderate Ziele zu erreichen sind. Statt sich alles zu verbieten, könnte ein realistischerer Plan lauten: „Ich esse täglich nur einen Kinderriegel“, oder „In den nächsten vier Wochen ersetze ich an drei Tagen in der Woche meinen Kinderriegel durch ein Stück Obst, an den anderen Tagen gönne ich mir meinen Riegel“. Solche schrittweisen Anpassungen sind oft erfolgversprechender und nachhaltiger als rigide Verbote.
Welche Tipps haben Sie, den inneren Schweinehund zu besiegen, wie kommen wir aus dem ungesunden Trott wieder raus?
Deisenhofer: Vielleicht wäre es sinnvoll, die Herangehensweise zu überdenken: Nehmen wir an, Sie haben Jahr für Jahr Neujahrsvorsätze rund um das Thema Ernährung formuliert, die sich vornehmlich auf Verbote stützen: „Ich esse keine Süßigkeiten mehr“, „Ich ernähre mich gesünder“oder „Ich folge strikt einer Low-Carb-Diät“. Es könnte an der Zeit sein, eine frische Strategie zu erwägen: sich selbst die Freiheit zu gewähren, Genuss und Selbstfürsorge ins Leben zu integrieren. Dies bedeutet, einen ausgewogenen und genussvollen Lebensstil zu pflegen.
Wie könnte so ein genussvoller Lebensstil aussehen?
Deisenhofer: Genuss benötigt Zeit, essen Sie langsam und nehmen Sie jeden Bissen bewusst wahr, das führt dazu, dass Sie automatisch weniger essen. Genuss sollte erlaubt sein, genießen Sie alles, was schmeckt, wobei es bei manchen
Lebensmitteln ratsam sein kann, die Menge zu begrenzen. Essen Sie möglichst in ruhigen Umgebungen und schaffen Sie eine angenehme Atmosphäre, anstatt im Vorbeigehen zu essen. Weniger ist oft mehr. Um den Genuss von Schokolade voll auszukosten, genügen bereits 20 Gramm. Genuss sollte alltäglich sein, und man sollte die Vorsätze im Auge behalten.
Wie sollten wir damit umgehen, wenn wir wieder schwach geworden sind?
Deisenhofer: Nicht aufgeben, sondern den Ausrutscher als Lernerfahrung sehen. Hilfreich sind Notizen darüber, warum man rückfällig geworden ist und wie man in Zukunft mit solchen Versuchungen umgehen könnte.
Welche Rolle spielt Ernährung für körperliches Wohlbefinden?
Deisenhofer: Ernährung spielt eine entscheidende Rolle. Körperlich gesehen liefert eine ausgewogene Ernährung essenzielle Nährstoffe für Funktionen wie Energiegewinnung, Zellaufbau und Immunstärkung. Sie kann das Risiko für Krankheiten wie Herz-KreislaufErkrankungen, Diabetes und Krebsarten mindern.
Und kann man mit Ernährung auch was für eine gesunde Psyche tun?
Deisenhofer: Die Verbindung zwischen Ernährung und geistiger Gesundheit ist stärker als bisher angenommen. Ein gesundes Gehirn ist abhängig von Nährstoffen, die die Gehirnstruktur und -funktion beeinflussen. Forschungen zeigen, dass bestimmte Nahrungsmittel und Ernährungsgewohnheiten auf die psychische Gesundheit wirken und zur Prävention psychischer Störungen beitragen können.
Welches Essen wäre da besonders gut?
Deisenhofer: Essenzielle Nährstoffe wie Omega-3-Fettsäuren sind für die Gehirnstruktur unerlässlich. Ein Mangel an bestimmten Nährstoffen kann zu psychischen und kognitiven Problemen führen. Die mediterrane Ernährung, reich an gesunden Fetten und Nährstoffen, wird für ihre positiven Auswirkungen auf die psychische Gesundheit geschätzt. Wichtig ist: Ernährungsgewohnheiten können psychische Erkrankungen nicht allein heilen. Bei anhaltenden psychischen Problemen ist professionelle Hilfe wichtig. Nahrungsergänzungsmittel können helfen, Nährstoffdefizite auszugleichen, ersetzen jedoch nicht eine ausgewogene Ernährung.