Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Verbote machen das Verbotene oft noch attraktive­r

Weniger Süßes, Alkohol oder Wurst: Die Vorsätze zum Jahresanfa­ng sind vielfältig. Doch was bringt das? Welche Fallstrick­e gibt es und welche Tricks, um durchzuhal­ten? Das haben wir eine Expertin aus Gersthofen gefragt.

- Interview: Regine Kahl

Sind Neujahrsvo­rsätze für die Ernährung sinnvoll?

Tinatin Deisenhofe­r: Warum nicht? Ich denke, wenn jemand sich vornimmt, „Jetzt ist die Zeit, etwas zu ändern“, signalisie­rt diese Entscheidu­ng, dass die Person mit der Situation nicht zufrieden ist und eine Veränderun­g anstrebt.

Doch oft hält man nicht lange durch, was sind die Fallstrick­e bei den Vorsätzen?

Deisenhofe­r: Oft wird unterschät­zt, wie komplex eine Verhaltens­änderung ist. Diese geht weit über einen Neujahrsvo­rsatz, wie „Ich ernähre mich gesünder“, hinaus. Es erfordert mehr Anstrengun­g und Engagement, eine solche Änderung umzusetzen und beizubehal­ten.

Was könnte beim Durchhalte­n helfen?

Deisenhofe­r: Es ist empfehlens­wert, konkrete Ziele zu setzen und diese zeitlich zu planen. Es sollte klar sein, wann und wie bestimmte Ziele erreicht werden sollen.

Sind Verbote, wie zum Beispiel nichts Süßes mehr zu essen, sinnvoll?

Deisenhofe­r: Nein, überhaupt nicht. Verbote in Bezug auf die Ernährung, wie das komplette Vermeiden von Süßigkeite­n, bringen nichts. Unser Gehirn kommt mit strikten Verboten oft nicht gut zurecht. Tatsächlic­h machen Verbote das Verbotene noch attraktive­r, was häufig dazu führt, dass wir das Verbot nicht einhalten und erneut in Gewohnheit­en zurückfall­en. Dies führt zu Frustratio­n und Enttäuschu­ng über das vermeintli­che Scheitern. Oftmals werden solche Rückschrit­te als persönlich­e Schwäche wahrgenomm­en, woraufhin schnell alle guten Vorsätze über Bord geworfen werden.

Was wäre dann der bessere Weg, statt sich Verbote aufzuerleg­en?

Deisenhofe­r: Wenn sich jemand bereits Ziele gesetzt hat, ist es wichtig, diese mit konkreten Plänen zu untermauer­n. Man sollte genau überlegen, wie moderate Ziele zu erreichen sind. Statt sich alles zu verbieten, könnte ein realistisc­herer Plan lauten: „Ich esse täglich nur einen Kinderrieg­el“, oder „In den nächsten vier Wochen ersetze ich an drei Tagen in der Woche meinen Kinderrieg­el durch ein Stück Obst, an den anderen Tagen gönne ich mir meinen Riegel“. Solche schrittwei­sen Anpassunge­n sind oft erfolgvers­prechender und nachhaltig­er als rigide Verbote.

Welche Tipps haben Sie, den inneren Schweinehu­nd zu besiegen, wie kommen wir aus dem ungesunden Trott wieder raus?

Deisenhofe­r: Vielleicht wäre es sinnvoll, die Herangehen­sweise zu überdenken: Nehmen wir an, Sie haben Jahr für Jahr Neujahrsvo­rsätze rund um das Thema Ernährung formuliert, die sich vornehmlic­h auf Verbote stützen: „Ich esse keine Süßigkeite­n mehr“, „Ich ernähre mich gesünder“oder „Ich folge strikt einer Low-Carb-Diät“. Es könnte an der Zeit sein, eine frische Strategie zu erwägen: sich selbst die Freiheit zu gewähren, Genuss und Selbstfürs­orge ins Leben zu integriere­n. Dies bedeutet, einen ausgewogen­en und genussvoll­en Lebensstil zu pflegen.

Wie könnte so ein genussvoll­er Lebensstil aussehen?

Deisenhofe­r: Genuss benötigt Zeit, essen Sie langsam und nehmen Sie jeden Bissen bewusst wahr, das führt dazu, dass Sie automatisc­h weniger essen. Genuss sollte erlaubt sein, genießen Sie alles, was schmeckt, wobei es bei manchen

Lebensmitt­eln ratsam sein kann, die Menge zu begrenzen. Essen Sie möglichst in ruhigen Umgebungen und schaffen Sie eine angenehme Atmosphäre, anstatt im Vorbeigehe­n zu essen. Weniger ist oft mehr. Um den Genuss von Schokolade voll auszukoste­n, genügen bereits 20 Gramm. Genuss sollte alltäglich sein, und man sollte die Vorsätze im Auge behalten.

Wie sollten wir damit umgehen, wenn wir wieder schwach geworden sind?

Deisenhofe­r: Nicht aufgeben, sondern den Ausrutsche­r als Lernerfahr­ung sehen. Hilfreich sind Notizen darüber, warum man rückfällig geworden ist und wie man in Zukunft mit solchen Versuchung­en umgehen könnte.

Welche Rolle spielt Ernährung für körperlich­es Wohlbefind­en?

Deisenhofe­r: Ernährung spielt eine entscheide­nde Rolle. Körperlich gesehen liefert eine ausgewogen­e Ernährung essenziell­e Nährstoffe für Funktionen wie Energiegew­innung, Zellaufbau und Immunstärk­ung. Sie kann das Risiko für Krankheite­n wie Herz-KreislaufE­rkrankunge­n, Diabetes und Krebsarten mindern.

Und kann man mit Ernährung auch was für eine gesunde Psyche tun?

Deisenhofe­r: Die Verbindung zwischen Ernährung und geistiger Gesundheit ist stärker als bisher angenommen. Ein gesundes Gehirn ist abhängig von Nährstoffe­n, die die Gehirnstru­ktur und -funktion beeinfluss­en. Forschunge­n zeigen, dass bestimmte Nahrungsmi­ttel und Ernährungs­gewohnheit­en auf die psychische Gesundheit wirken und zur Prävention psychische­r Störungen beitragen können.

Welches Essen wäre da besonders gut?

Deisenhofe­r: Essenziell­e Nährstoffe wie Omega-3-Fettsäuren sind für die Gehirnstru­ktur unerlässli­ch. Ein Mangel an bestimmten Nährstoffe­n kann zu psychische­n und kognitiven Problemen führen. Die mediterran­e Ernährung, reich an gesunden Fetten und Nährstoffe­n, wird für ihre positiven Auswirkung­en auf die psychische Gesundheit geschätzt. Wichtig ist: Ernährungs­gewohnheit­en können psychische Erkrankung­en nicht allein heilen. Bei anhaltende­n psychische­n Problemen ist profession­elle Hilfe wichtig. Nahrungser­gänzungsmi­ttel können helfen, Nährstoffd­efizite auszugleic­hen, ersetzen jedoch nicht eine ausgewogen­e Ernährung.

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Foto: Marcus Merk Tinatin Deisenhofe­r aus Hirblingen kennt sich mit dem Thema Psychologi­e rund um die Ernährung sehr gut aus.

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