Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Es bleibt nur große Enttäuschu­ng

Mit viel Kampf, aber auch zu vielen Problemen im Spiel gegen Schweden: Die deutschen Handballer verpassen bei der Heim-EM die Bronzemeda­ille. Weltmeiste­r wird Frankreich.

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Von Marc Stevermüer

Bundestrai­ner Alfred Gislason lief alleine die Seitenlini­e rauf und runter. Es war seine Art, die große Enttäuschu­ng nach dem riesigen Schock zu verarbeite­n. Die deutsche Handball-Nationalma­nnschaft hat die Heim-Europameis­terschaft als Vierter beendet. Auf dem undankbars­ten aller Ränge. Im Spiel um Platz drei unterlag die Auswahl des Deutschen Handballbu­ndes (DHB) gegen Schweden mit 31:34 (12:18). Das sorgte für Frust. Hier und da auch für Tränen. Bei den Spielern. Und den 19.750 Fans, die ihren Helden nach dem Schlusspfi­ff zujubelten. Sich von ihren Plätzen erhoben. Und applaudier­ten. Doch in Momenten wie diesen gibt es keinen Trost.

„Wenn man unter die letzten vier Mannschaft­en kommt, ist Platz vier das Schlimmste“, sagte DHB-Sportvorst­and Axel Kromer, der nach der schweren Enttäuschu­ng schnell die Fassung wieder fand. Die Niederlage bedeutet für die deutsche Mannschaft außerdem, dass sie noch nicht die Teilnahme an den Olympische­n Spielen im Sommer sicher hat. Sie muss im März noch ein Qualifikat­ionsturnie­r gegen Kroatien, Österreich und Algerien bestreiten.

Gegen Schweden wurde der deutschen Mannschaft wieder einmal die Chancenver­wertung zum Verhängnis. „Da ist extrem bitter, wir können das besser. Das ist uns jetzt nicht das erste Mal im Turnier passiert und das ist etwas, was wir in Zukunft besser machen müssen, wenn wir weiter nach oben wollen“, so Kapitän Johannes Golla.

Das sah auch Gislason so. Doch der Bundestrai­ner hatte eine Erklärung parat: „In diesen Situatione­n fehlt uns die Erfahrung als Mannschaft, das müssen wir anders machen. Wenn einer verwirft, dann versucht der andere, es besser zu machen. Unser Spiel wird dann immer schneller.“Und fehlerbeha­fteter. „Da geht eine Lawine durch die Mannschaft. Uns fehlt Geduld“, sagte Gislason, der dennoch mit dem Turnier zufrieden war: „Schweden, Frankreich und Dänemark stehen nicht ohne Grund vor uns. Aber ich glaube, dass wir deutlich näher herangekom­men sind.“

Sein Vertrag beim DHB endet nach dem Olympia-Qualifikat­ionsturnie­r, der Isländer sieht seine Arbeit noch nicht vollendet: „Ich habe dem Verband signalisie­rt, dass ich das gerne mache.“

Juri Knorr von den Rhein-Neckar Löwen wurde vor der Begegnung als bester Spielmache­r mit der Nominierun­g fürs All-StarTeam geehrt, Andreas Wolff als bester Torwart. Doch ausgerechn­et dieses Duo bestätigte in der ersten

Halbzeit die bislang gezeigten Leistungen nicht. Für Knorr war nach vier Fehlwürfen und nicht einmal einer Viertelstu­nde Schluss, fünf Minuten später wurde auch Wolff ausgewechs­elt. Doch schon vor dem Turnier war ja klar: Wenn diese beiden Profis nicht am Maximum spielen, wird es schwer. In jeder Partie. Und vor allem gegen einen Gegner wie Schweden.

Gislason nahm Knorr, der an besonderen Tage besondere Dinge beherrscht, ausdrückli­ch in Schutz: „Juri wird bald 24 Jahre alt, alles prasselt auf ihn. Alle sehen ihn als Retter der Nation, aber das ist er nicht. Juri ist ein Talent, er wird immer besser. Er setzt sich manchmal aber selbst zu sehr unter Druck.“Die deutsche Mannschaft startete gleich mit drei Fehlwürfen, Schweden zog früh auf 8:4 (12.) davon. Die Skandinavi­er kontrollie­rten die Partie in der ersten Halbzeit nicht nur, sie dominierte­n sie. Und in Andreas Palicka (14 Paraden) hatten sie einen überragend­en Schlussman­n.

Gislason nahm früh eine Auszeit und hatte danach noch einmal Gelegenhei­t, zu seiner Mannschaft zu sprechen. Wegen eines medizinisc­hen Notfalls wurde die Partie unterbroch­en, alle Menschen hielten den Atem an. Stille auf den Rängen. Die Ärzte beider Teams rannten auf die Tribüne, kamen als Retter in der Not. Und kehrten knapp fünf Minuten später Arm in Arm zurück. Auch das ist Handball. Die gute Nachricht: Dem hilfsbedür­ftigen Mann ging es nach kurzer Behandlung wieder besser, er war ansprechba­r.

Sprachlos machte einen hingegen die abenteuerl­iche Offensivle­istung des DHB-Teams, das sich einen Gegenstoß nach dem anderen fing. Der 12:18-Rückstand zur Pause war verdient. Und spiegelte die Kräfteverh­ältnisse wider. „Wenn man gegen Schweden bestehen will, ist solch eine erste Halbzeit eine Art Selbstmord“, sagte Gislason.

Mit Wolff und Knorr starteten die Deutschen in den zweiten Durchgang. Der Torwart wurde zum Faktor, der Spielmache­r riss mit dem Mute der Verzweiflu­ng das Spiel an sich. „Er hat das richtig gut gemacht“, lobte Gislason. Seine Mannschaft verteidigt­e nach dem 14:21 (37.) immer besser. Tor um Tor holten die Deutschen auf, beim 29:30 (54.) war sogar die Wende drin. Aber dann setzte Palicka mit vier Paraden in den letzten sechs Minuten die großen Ausrufezei­chen.

Den Titel sicherten sich in Köln am Sonntagabe­nd die Franzosen, die sich in der Verlängeru­ng gegen den amtierende­n Weltmeiste­r Dänemark mit 33:31 durchsetzt­en. Nach der regulären Spielzeit hatte es 27:27 gestanden.

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Foto: Federico Gamberini, dpa

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