Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der Stürmer mit dem guten Herzen
Eigentlich sollte Ermedin Demirovic schon den ersten Elfmeter bei der 2:3-Niederlage gegen den FC Bayern München schießen. Doch dann ließ er Sven Michel den Vortritt. Warum tat er das?
Von Robert Götz
Als Schiedsrichter Christian Dingert nach 90.+7 Minuten am späten Samstagnachmittag in der WWKArena abpfiff und damit die 2:3(0:2)-Heimniederlage des FC Augsburg gegen den FC Bayern München besiegelte, sank Sven Michel fassungslos zu Boden. Zuerst bekam er Trost von Linienrichter Nikolai Kimmeyer, dann kamen langsam nach und nach seine Mannschaftskollegen und Trainer Jess Thorup. Doch der 33-jährige Routinier war kaum zu trösten. Auch von Kapitän Ermedin Demirovic nicht.
Der hatte in der 88. Minute Michel beim ersten Elfmeter in dieser an Höhepunkten nicht gerade armen Partie den Vortritt gelassen.
Bayern-Torhüter Manuel Neuer hatte FCA-Innenverteidiger Felix Uduokhai nach einem Eckball mit einem Schwinger abgeräumt, was Schiedsrichter Christian Dingert aber erst nach Intervention des Videoschiedsrichters bestrafte. Michel trat also an – und scheiterte mit seinem Linksschuss an Neuer.
Doch warum hatte Michel, der erst in der 80. Minute eingewechselt worden war, der keine einzige gute Aktion bis dahin hatte, schießen dürfen und nicht Demirovic, der eigentlich dafür vorgesehen war? Diese Frage, die sich sicher alle FCA-Fans in der ausverkauften WWK-Arena stellten, beantwortete dann Ermedin Demirovic in der Mixed-Zone. „Sven ist vor dem Elfmeter zu mir gekommen und hat gesagt, er will ihn schießen. Er wollte ihn gerne schießen, ich habe ein gutes Herz, wohl ein zu gutes“, beschrieb Demirovic die Situation.
Ähnlich sei es auch beim ersten Saisonspiel gegen Borussia Mönchengladbach abgelaufen. „Das hatten wir gegen Gladbach schon zu Hause, da wollte er ihn auch schießen. Da hat er ihn reingehauen. Heute ist er wieder auf mich zugekommen“, sagte der 25-Jährige. „Er ist ein bisschen älter als ich. Bevor wir da Unruhe haben, habe ich zu ihm gesagt: ‚Nimm den Ball. Ich bin voll überzeugt, dass du ihn reinhaust. Hau ihn rein.‘ Dann ist es so gelaufen, dass er verschossen hat, aber das passiert.“Demirovic hegte keinen Groll.
Beim 4:4 gegen Gladbach hatte der 33-jährige Michel in der Nachspielzeit der ersten Hälfte zum zwischenzeitlichen 3:3 (45.+7) ausgeglichen. Gladbachs Torhüter Jonas Omlin hatte keine Chance. Zuvor hatte der Neuzugang von Union Berlin auch das 1:2 durch Elvis Rexhbecaj (29.) vorbereitet.
Michel schien in Augsburg seine Rolle als Routinier im Sturm gerecht zu werden. Doch es sollte sein bisher einziger Treffer und seine einzige Vorlage bleiben. Und seit Jess Thorup sein System auf die Doppelspitze Demirovic/Tietz umgestellt hatte, reichte es für Michel, wie gegen die Bayern, nur noch zu Kurzeinsätzen. Da wäre ein verwandelter Elfmeter natürlich ein ideales Ausrufezeichen gewesen: Seht, ich bin auch noch da.
Aber auch Demirovic schien sich seiner Sache nicht ganz so sicher gewesen zu sein. Seinen ersten Elfmeter in dieser Saison hatte er beim 1:1 bei Union Berlin Ende November sicher zur 1:0-Führung (39.) des FCA verwandelt. Mit seinem zweiten Strafstoß war er im Spiel gegen Eintracht Frankfurt (2:1) zu Hause an Eintracht-Torhüter Kevin Trapp gescheitert.
Jess Thorup wollte den Fehlschuss von Michel nicht groß thematisieren. Er setzt bei der Auswahl des Schützen auf die Eigenverantwortung
der Spieler auf dem Platz. „Wir haben zwei, drei Spieler auf dem Papier stehen, die dann auf dem Platz entscheiden, wer schießt. Die beiden haben sich kurz unterhalten und sich für Sven entschieden. Da ist nichts dabei.“´Bisher traten Sven Michel, Elvis Rexhbecaj (beim 5:2-Sieg in Heidenheim verwandelte er) und eben Demirovic an. Der übernahm dann doch selbst die Verantwortung, als Schiedsrichter Dingert am Samstag zum zweiten Mal in der Nachspielzeit auf den Elfmeterpunkt zeigte. Thomas Müller hatte ihn im Bayern-Strafraum gefoult. Demirovic trat an, schickte Neuer in die falsche Ecke. Es hieß 2:3 (90.+4). Sein zweiter Treffer. Demirovic hatte schon das 1:1 (52.) per Kopf erzielt. Doch der Anschlusstreffer kam zu spät. Bayern rettete den Sieg über die Zeit.
Demirovic sagte: „Es ist extrem bitter, wenn man als Mannschaft so ein gutes Spiel zeigt und sich für so einen Fight nicht belohnt. Das haben wir schon gegen Leverkusen gezeigt, auch da haben wir uns nicht belohnt. Heute hat wieder das Quäntchen Glück gefehlt. Aber trotzdem heißt es: Kopf hoch, weitermachen.“Seit Demirovic die Kapitänsbinde trägt, geht er beim FCA voran. Und das mit gutem Beispiel. Eigentlich gelten Stürmer ja als Egoisten, wenn es um den persönlichen Ertrag, sprich Tore, geht. Demirovic tickt da anscheinend etwas anders. Trotzdem macht er in dieser Saison vieles richtig. Mit seinen Treffern neun und zehn hat er eine neue persönliche Bestmarke aufgestellt, und das schon nach dem 19. Spieltag.
Trotzdem war er nach dem Spiel bedient. „Es ist für jeden Stürmer schön, wenn er zwei Tore macht. Das gibt einem Selbstvertrauen. Es zeigt, dass sich die harte Arbeit auszahlt. Dass man gegen Bayern und Neuer zwei Tore macht, ist nicht selbstverständlich. Jetzt bin ich nur enttäuscht und sauer, dass wir verloren haben. Diese Niederlage tut weh. Das andere kommt vielleicht in ein, zwei Tagen.“
Das gute Gefühl sollte er dann aber auch konservieren. Denn am kommenden Samstag (15.30 Uhr) steht das Auswärtsspiel beim VfL Bochum auf dem Programm. Mit einem Sieg könnte der FCA den Tabellennachbarn Bochum in die Schranken weisen. Auf eines hat sich Demirovic aber in der MixedZone festgelegt: „Den nächsten Elfer werde ich mir wieder schnappen.“Gutes Herz hin oder her.
Der FC Augsburg hat in den beiden Heimspielen nach der Weihnachtspause viele Sympathien gewonnen, allerdings keine Punkte. Doch wie der FCA beim 0:1 gegen Bayer Leverkusen und jetzt auch beim 2:3 gegen den FC Bayern München nicht nur kämpferisch, sondern auch spielerisch aufgetreten ist, verdient Respekt. Sind das doch, bei allen Verletzungssorgen, die derzeit besten Teams der Bundesliga.
Bayer-Trainer Xabi Alonso setzte nach dem Last-Minute-Tor zu einem Jubelsprung an, den man dem sonst so introvertiert und kontrolliert wirkenden Basken nicht zugetraut hätte.
Wie sehr der FCA vor allem die Bayern genervt hat, zeigt sich an zwei Beispielen. Thomas Tuchel war derart on fire, dass ihn seine Mitarbeiter halten mussten, damit er nicht die FCA-Bank stürmte, als die in der Schlussphase Zeitspiel monierten. FCA-Sportdirektor Marinko Jurendic hatte dabei übersehen, dass FCB-Spieler Aleksandar Pavlovic verletzt am Boden lag. Ein Fehler, bei dem Tuchel wie ein isländischer Vulkan explodierte. „Ey. Setz dich auf deine Bank, ey. Bist du behämmert, oder was? Was ist denn mit dir los, ey?“, keifte er Richtung Jurendic.
Noch gereizter waren die Nervensynapsen beim Mittelfeldspieler Leon Goretzka. Der schimpfte über den Rasen in der WWK-Arena wie ein Rohrspatz. Der Rasen ist tatsächlich in keinem optimalen Zustand, was Ende Januar aber durchaus mal vorkommen kann. Auf dem gleichen Untergrund zog aber auch Bayer sein Pass-Spiel auf. Die Leverkusener beschwerten sich nicht. Zudem spielten die Bayern auf dem Rasenteppich in der Allianz-Arena auch nicht besser. Der FCA, die Nervensäge der Liga? Gut so. Allerdings muss der FCA jetzt beim Gastspiel beim VfL Bochum selbst die Nerven behalten. Dort wird der FCA erstmals in der Rückrunde wohl als Favorit empfangen. Die Bochumer werden versuchen, den FCA mit den gleichen Mitteln zu bekämpfen, wie es der FCA mit Bayer und Bayern getan hat. Darauf müssen sich die Spieler einstellen. Wenn das gelingt, sind die Chancen groß, dass der FCA mehr mitbringt als Lob.