Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Im Fokus: Was junge Menschen antreibt

Jugend ohne Rückgrat? Dieser Vorwurf trifft auf die meisten nicht zu. Wir stellen sechs junge Menschen aus Augsburg vor, die sich besonders engagieren. Das Spektrum reicht von Handwerk über Ehrenamt bis hin zum Start-Up.

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Von Arne Seyffert und Michael Stelzl

Der jungen Generation wird oft vorgeworfe­n, sich zu stark für ihre Freizeit zu interessie­ren. Denn kürzere Arbeitszei­ten werden beliebter. Vom Handwerk über Ehrenamt bis zum Start-up: Diese sechs jungen Augsburger­innen und Augsburger zeigen, dass sie für etwas brennen.

„Ich habe mir schon immer gedacht, warum werde ich nicht Schneideri­n? Alles, was mit Kreativitä­t zu tun hat, fand ich schon immer spannend. Mit 13 Jahren konnte ich nähen, bald kam dann das Häkeln hinzu. Das hat sich bis heute nicht geändert. Aus diesem Grund habe ich eine Ausbildung zur Damenmaßsc­hneiderin am Staatsthea­ter Augsburg absolviert und befinde mich inzwischen in meinem Gesellenja­hr.

Der Konkurrenz­kampf um die Ausbildung­splätze ist leider sehr groß. Es gibt zu viele Interessen­ten, die sich auf immer weniger Plätze bewerben. Zudem möchten alle ans Theater. Aber auch hier gibt es nur eine begrenzte Zahl an Ausbildung­splätzen. Deshalb hatte ich Glück, die Ausbildung auch noch in meiner Heimatstad­t absolviere­n zu dürfen. Ich bin auch überglückl­ich darüber, letztes Jahr bei dem Handwerker­preis „Die gute Form“den zweiten Platz in der Kategorie „Design“belegt zu haben. Wir hatten eine Woche Zeit, in der wir eine Jacke samt Revers, Taschen, langen Ärmeln sowie einen Hut nach eigenem Konzept nähen mussten. Offenbar war mein Entwurf gut genug für den zweiten Platz. Gerade erst habe ich ein Kostüm für eine Premiere fertiggest­ellt: Die Figur der Baba wird in Rake’s Progress auftreten. An diesem Kostüm habe ich über vier Wochen gearbeitet. Das Kostüm ist aus Jersey und vollkommen mit Süßigkeite­n überklebt. Es soll eine Fantasiefi­gur in dem Stück darstellen.

Ich wäre froh, wenn ich diesen Job noch eine ganze Weile weiter machen könnte. Zukünftig könnte ich mir sehr wohl vorstellen, als Gewandmeis­terin zu arbeiten. Wenn ich mein Gesellenja­hr abgeschlos­sen habe, möchte ich studieren: Deshalb habe ich mich gerade im Fach Kostümgest­altung an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden beworben.

Ich bin bei der Freiwillig­en Feuerwehr, seit ich 14 Jahre alt bin. Ich war damals schon total begeistert von der Feuerwehr und hab überlegt, wie ich mich dort einbringen und Erfahrunge­n sammeln kann. Ich bin schließlic­h zur Jugendfeue­rwehr Oberhausen gegangen und habe dort 2021 meine Grundausbi­ldung abgeschlos­sen. Danach habe ich mich zur Atemschutz­geräteträg­erin weiterbild­en lassen: Das sind die Menschen, die Sauerstoff­masken tragen und auch Brände innerhalb des Hauses löschen können. Das kann zwar gefährlich sein, aber wir sind sehr gut ausgebilde­t.

Mittlerwei­le bin ich nach Pfersee umgezogen und engagiere mich dort als Jugendbetr­euerin: Ich organisier­e Spieleaben­de, die jährliche 24-Stundenübu­ng sowie Exkursione­n, zum Beispiel zum THW. Hinzu kommt die Planung des Jugendakti­onstags, bei dem wir für Nachwuchs werben. Mir macht es einfach Spaß, den Fortschrit­t der Jugend zu sehen, deswegen will ich mein ganzes Leben bei der Feuerwehr aktiv sein. Zum zeitlichen Aufwand kommt neben der Jugendarbe­it auch meine Arbeit im Vorstand. Unter der Woche bin ich zudem zwischen 17 und 6 Uhr auf Abruf, an Wochenende­n dauerhaft. Wenn etwas passiert, werden wir von der Leitstelle über einen Piepser informiert. Dann fahren wir zum Gerätehaus, ziehen uns um und dann geht es los.

Ich bin vor dem Krieg in meiner Heimat geflohen und lebe seit März 2022 in Deutschlan­d. Die ersten sechs Monate lebte ich bei einem jungen Pärchen, das mir freundlich­erweise eine Unterkunft zur Verfügung gestellt hat.

Die Technische Hochschule Augsburg hat mir für besondere Studienlei­stungen und mein Engagement für meine Kommiliton­en den DAAD-Preis verliehen. Dieser Preis beinhaltet ein einjährige­s Stipendium für internatio­nale Studenten. Ich war sehr froh, diesen Preis zu gewinnen, denn insgesamt waren 600 Studenten nominiert. Außerdem habe ich für die anderen Studentinn­en aus meiner Heimat zusammen mit Lehrkräfte­n ein Projekt entworfen: „Keep Ukraine warm“. Damit haben wir warme Kleidung in der Uni gesammelt und in die Ukraine geschickt. Ich habe den anderen Studentinn­en

aus meiner Heimat geholfen, mit dem ganzen „Papierkram“zurechtzuk­ommen. Unterkunft, Arbeit, Uni-Zeug: All das gehörte dazu. Ich war wie ein Berater. Ich mache das, um anderen Menschen zu helfen. Es ist meine Lebensphil­osophie: Jeder muss schneller werden, um seine Ziele zu erreichen. Ich kann von hier aus versuchen, meinem Land zu helfen. Damit meine Leute, wenn der Krieg vorbei ist, eine Zukunft in der Ukraine haben können.

Für die nächsten vier oder fünf Jahre möchte ich in Deutschlan­d bleiben. Ich fange im Februar einen neuen Job als Data Analyst an. Ich mag die Stadt sehr, es erinnert mich an meine Heimatstad­t. Viel Wasser, viele Wälder, genau wie in Odessa.

Ich gehe in die neunte Klasse der Internatio­nal School Augsburg. Wenn ich nicht gerade in der Schulmanns­chaft oder im Verein als Mittelbloc­kerin auf dem Volleyball­feld stehe, engagiere ich mich bei Young Stage im Chor. Wir singen viel Gospel, aktuell bereiten wir aber unsere Vorstellun­g von Little Ghost Town Anfang März in Zusammenar­beit mit einer Tanzschule vor. Neben meinem Einzelunte­rricht proben wir jeden Samstag gemeinsam mehrere Stunden.

Zusätzlich kümmere ich mich viel um die Organisati­on der Auftritte. Gemeinsam besprechen wir zum Beispiel die Kostüme für die einzelnen Lieder, das Catering und was eben sonst so ansteht. Meist geschieht das vor oder nach der Probe, manchmal treffen wir uns dafür auch privat.

Im Chor singe ich, seit ich fünf Jahre alt bin. Meine Lehrerin in der ersten Klasse hat damals in Teilzeit bei Young Stage gearbeitet. Über sie bin ich dazu gekommen und gerne geblieben. Auch wenn es viel Aufwand ist, freue ich mich auf die Proben: Nicht nur wegen der Musik, ich treffe dort ja auch meine Freunde. Insgesamt versuche ich mich bei allem zu engagieren und dabei zu sein. Ich habe deshalb auch in meiner Freizeit Requisiten für unseren Dramaunter­richt an der Schule gebastelt. Man braucht für all diese Sachen Motivation: Aber wenn man es wirklich machen will, schafft man das auch.

Ursprüngli­ch komme ich aus Mühlheim an der Ruhr, bin aber 2020 zunächst nach München zu meiner Lebensgefä­hrtin und im selben Jahr mit ihr nach Augsburg gezogen. Zuvor habe ich Maschinenb­au studiert und dann in Augsburg bei einer Energieber­atung angefangen. 2022 habe ich darüber meinen jetzigen Geschäftsp­artner kennengele­rnt. Seit Herbst sind wir im Umwelt-Technologi­schen Gründerzen­trum Augsburg (UTG) angesiedel­t und beraten mit unserer Firma INNOVAT.ing Unternehme­n, die grüner werden und gleichzeit­ig Kosten sparen wollen. Dazu führen wir ein komplettes Energieaud­it durch: Wir prüfen den Energiever­brauch der Unternehme­n, schauen uns alles vor Ort an und bieten im Anschluss verschiede­ne Maßnahmen zur Energie- und Kostenersp­arnis an. Die Nachfrage ist hoch, denn durch das neue Energieges­etz sind große Firmen nun verpflicht­et, ihren Verbrauch prüfen zu lassen.

Die Gründung war eine der besten Entscheidu­ngen meines Lebens. Im UTG fühlen wir uns sehr gut aufgehoben: Der Umweltgeda­nke passt wie die Faust aufs Auge, auch sind hier sehr viele Firmen mit ähnlichem Hintergrun­d angesiedel­t. Aktuell sind auch meine Arbeitszei­ten noch völlig in Ordnung, es kommt jedoch viel auf uns zu. Noch ist es aber nicht so weit, dass ich im Büro schlafen werde. Da würde ich Ärger daheim bekommen. Mein Tipp an alle ist: Denkt über Gründen nach, es lohnt sich!

„Früher wollte ich Autorin werden. Inzwischen mache ich eine Ausbildung zur Erzieherin beim

SOS-Kinderdorf in Augsburg. Vor vier Jahren bin ich hierhergek­ommen und habe mich direkt in die Stadt verliebt. Ich bin auch meinem Mann sehr dankbar, der mit mir in Deutschlan­d ist und mich sehr unterstütz­t.

Eigentlich komme ich aus Teheran, wo ich Philosophi­e studiert habe. Das wollte ich auch in Augsburg machen. Nach zwei Semestern Erziehungs­wissenscha­ften habe ich aber gemerkt, dass mir das Praktische sehr fehlt, weswegen ich hier die Ausbildung angefangen habe. Das Besondere am SOS-Kinderdorf ist, dass man in alle Bereiche reinschaue­n kann. Egal ob Kinderkrip­pe, Jugendwohn­gemeinscha­ft oder MutterKind-Betreuung.

Gleichzeit­ig gibt es auch Theoriekur­se. Ich habe mir nie gewünscht, etwas anderes zu machen. Erst vor Kurzem habe ich nach langer Zeit ein Kind wiedergese­hen, das bei mir in der Krippe war und sich toll entwickelt hat. Das war sehr herzerwärm­end. Den Kindern dabei zuzuschaue­n, wie sie erste, kleine Erfahrunge­n machen ist das Schönste an diesem Beruf. Ich begleite die Menschen, die in Zukunft die Zukunft gestalten werden.

Nach der dreijährig­en Ausbildung möchte ich soziale Arbeit hier in Augsburg studieren. Was jedoch die ferne Zukunft betrifft, kann ich noch nicht sagen.

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Foto: Silvio Wyszengrad
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Foto: Freiwillig­e Feuerwehr Pfersee
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Foto: Innovat.ing
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Foto: Silvio Wyszengrad
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Foto: Arne Seyffert
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Foto: Michael Stelzl

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