Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Welcher Tannenbaum fliegt am weitesten?
Die meisten Christbäume machen schon an Heilig Drei König den Abflug. In Augsburg kamen am Sonntag einige Bäumchen bei einer Meisterschafts-Premiere noch einmal zu einer besonderen Ehre.
Es ist das harte Los eines jeden Christbaums. Erst feierlich geschmückt und andächtig besungen, dann mancherorts mit viel Schnaps in den Himmel gelobt, sinkt der Stellenwert des guten Stücks nach den Weihnachtsfeiertagen mit jeder Nadel, die zu Boden rieselt. Viele fliegen schon zu Heilig Drei König aus dem Fenster, so mancher darf noch bis Lichtmess bleiben. Dann aber fristen die vertrockneten einstigen Stars des Weihnachtsfests ein trauriges Dasein am Straßenrand, bis die Stadt sie ihrer letzten Bestimmung zuführt. Einige wenige Weihnachtsbäume hatten in Augsburg am Sonntag dagegen noch einmal ihren großen Auftritt. Als Sportgerät bei der ersten Augsburger Weihnachtsbaumweitwurf-Meisterschaft, an der knapp 70 Menschen teilnahmen.
Als einer der Ersten schreitet der fünfjährige Haru zur Tat. Mit festem Griff umklammert er das stachelige Bäumchen für die Altersklasse U8, das ihn um einige Zentimeter überragt, und schleudert es dann mit Leibeskräften auf die Wiese neben der Sportanlage Süd. Die Kampfrichterin zückt das Maßband und misst. Drei Meter und drei Zentimeter im ersten Versuch. Ein guter Anfang, doch damit will sich Haru noch nicht zufriedengeben. Beim dritten und letzten Anlauf holt er mächtig Schwung und schleudert sein Wurfgerät in einem weiten Bogen in die Luft. 4,20 Meter weit fliegt es diesmal. Und Haru reckt stolz die Hände in Siegerpose nach oben. Warum er heute hergekommen ist? Für den Fünfjährigen ist das sonnenklar: „Weil ich einen Preis gewinnen will“, sagt er keck.
Schließlich winkt dem Sieger der ersten Auflage der Weihnachtsbaumweitwurfmeisterschaft ein Gutschein für einen echten Weihnachtsbaum für das Fest in elf Monaten. Und natürlich ewiger Ruhm und Ehre. Dafür unterbricht so mancher Augsburger den Sonntagsspaziergang, krempelt die Ärmel hoch und schnappt sich einen Weihnachtsbaum. An mehreren Stationen fliegen die Bäumchen, die in diesem Jahr im Augsburger Rathaus ihren Dienst als Christbaum taten, durch die Luft. Kleinere für die Kinder, mittlere für die Damenwelt und die ganz dicken Brummer für die Herren der Schöpfung. Die halten sich zu Beginn der Veranstaltung allerdings noch vornehm zurück. Da greifen noch hauptsächlich Frauen zum Baum. So wie die Mama von Haru oder aber die 75-jährige Christa. Sie sei gewissermaßen von ihrem Enkel zur Teilnahme gezwungen worden, verrät sie zwischen den Versuchen. Vier Meter und 60 Zentimeter stehen am Ende auf ihrem Zettel. „Das erinnert mich ein bisschen an meine Schulweitwürfe von früher“, sagt die 75-Jährige mit einem Grinsen. „Aber ich hoffe darauf, dass es eine Seniorenklasse gibt.“
Ganz unterschiedliche Wurfvarianten gibt es an diesem Tag zu sehen. Geworfen wird mit brachialer Gewalt und ausgefeilter Technik. Mit einer Drehung oder in der Speerwerferpose, mit Anlauf oder von unten nach oben. Pentti Buchwald
beobachtet das Spektakel auf der Wiese gemeinsam mit den zahlreichen Zuschauern amüsiert. Seit zwölf Jahren organisiert der Förster den Wettbewerb im Landkreis Augsburg. Dass der Wettbewerb in diesem Jahr in der Stadt Augsburg Premiere feiert, ist ihm zu verdanken. „Ich habe gesagt, als ‘Waldgebiet des Jahres’ müsst ihr schon mal was so machen“, so Buchwald. Denn so ein Weihnachtsbaumweitwurfwettbewerb sei nicht nur ein Riesenspaß, sondern auch eine schöne Gelegenheit, auf den Wald aufmerksam zu machen. „So kann man die Leute auf eine andere Weise für den Wald begeistern.“So sieht es auch Jürgen Kircher, Chef der Augsburger Forstverwaltung. Er zeigt sich an diesem sonnigen Sonntagnachmittag äußerst zufrieden mit der Beteiligung und kann sich gut vorstellen, dass die Meisterschaft auch in Augsburg zu einer Tradition werden könnte. „Nach einmal hören wir sicher nicht auf“, sagt er, während in seinem Rücken weiter die Bäume fliegen.
Auch Edith aus Leitershofen hat sich einen geschnappt. Im Landkreis war sie schon mehrmals am Start und hat dort auch schon den Sieg geholt. Heute ist sie zufällig vorbeigelaufen. „Da hab ich mir gedacht: Wenn das der Pentti sieht, dass die Stoaderer das jetzt auch machen“, erzählt sie lachend. Nun kommentieren sie Seite an Seite die sportlichen Leistungen der Stadtbevölkerung. „Die Augsburger
Männer sind jetzt eher so die zärtlicheren Typen“, bemerkt Pentti Buchwald schnippisch und vergibt für die einzelnen Wurfstile kreative Namen – angefangen beim Gögginger Stadtschlenzer über den Muhaggl-Turbo bis hin zum Bärenkeller-Flipflop. Bei den Männern geht es am Ende knapp zu. In einem Stechen mit dem leichteren „Mädchenbaum“setzt sich am Ende Dominik mit der Tagesbestweite von 10,40 Metern gegen Philipp mit 9,90 Metern durch und wird von Jürgen Kircher zum „Gesamtweltmeister“erklärt. Bei den Frauen hat Schreinerin Jessica mit 7,90 Metern die Nase vorn. Nächstes Jahr will sie wieder dabei sein. „Und dann knacke ich die neun Meter“, sagt sie kämpferisch.