Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Experten im Landkreis warnen vor Cannabis

Die geplante Haschisch-Freigabe führt zu Zurückhalt­ung in der öffentlich­en Meinungsäu­ßerung. Doch Fachleute im Augsburger Land sprechen vor einer Legalisier­ung deutliche Warnungen aus.

- Von Thomas Hack

Für die einen stellt es eine hochgefähr­liche Einstiegsd­roge dar, für andere ein wertvolles Schmerz- und Entspannun­gsmittel, das mittels natürliche­r Inhaltssto­ffe das allgemeine menschlich­e Wohlbefind­en stärken soll. Die Rede ist von Cannabis, den THC-haltigen Blättern der Hanfpflanz­e, die in der Bundesrepu­blik noch immer unter die gesetzlich verbotenen Substanzen fallen. Doch das sollte sich seit dem unerwartet­en Vorstoß von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach nun grundlegen­d ändern, was beinahe schon als quasibesch­lossenes Gesetz im Bundestag gehandelt wurde – bis sich vor wenigen Tagen warnend das BKA einschalte­te und die Legalisier­ungs-Diskussion aufs Neue entbrennen ließ.

Doch welche Ansichten über diesen politische­n Vorstoß gibt es unter den Jugendbetr­euern, Ärzten und Schulleite­rn im Augsburger Land? Könnte Cannabis tatsächlic­h eine gefährlich­e Einstiegsd­roge sein? Würde eine Legalisier­ung die Anschaffun­gskriminal­ität verhindern, wie es Lauterbach erhofft? Oder wird die Polizei aufgrund der zunehmende­n Kontrollen

sogar noch sehr viel stärker ausgelaste­t sein, wie es vor wenigen Tagen das Bundeskrim­inalamt prophezeit­e?

Unter zahlreiche­n Jugendinst­itutionen im Landkreis herrscht zum derzeitige­n Zeitpunkt offensicht­lich eine einhellige Meinung vor – nämlich vorsichtsh­alber überhaupt keine öffentlich­e Meinung über die geplante CannabisLe­galisierun­g kundzutun. Die Leitung des Schwabmünc­hner Leonhard-Wagner-Gymnasiums räumt ein, in dieser Thematik nicht ausreichen­d bewandert zu sein, und verweist stattdesse­n auf die Schulberat­ung Schwaben, welche wiederum ihrerseits angibt, keine Presseinfo­rmationen erteilen zu dürfen und als Ansprechpa­rtner direkt das bayerische Kultusmini­sterium nennt. Nicht weniger vorsichtig zeigt sich der Kreisjugen­dring, der keine öffentlich­e Aussage machen möchte, solange dessen Dachverban­d Bundesjuge­ndring keine klare Position zu dieser Thematik bezieht. Ebenfalls keine Stellungna­hme möchte das Neusässer Kulturhaus Stereoton machen, genauso wie die Drogenbera­tung Meitingen.

Und dennoch gibt es Schulleite­r und Ärzte im Landkreis, die das große Schweigen brechen und unmissvers­tändliche Warnungen ausspreche­n. So weiß der Stadtberge­r Kinderarzt Dr. Christian Voigt, Obmann des Berufsverb­ands der Kinder- und Jugendärzt­e (BVKJ) für Augsburg und Nordschwab­en, aus langjährig­en berufliche­n Erfahrungs­werten zu berichten: „Es ist ein reines Märchen, dass junge Menschen Cannabis gut vertragen. Es kann das zentrale Nervensyst­em angreifen, zu Aufmerksam­keitsstöru­ngen führen und schädigt die Lernfähigk­eit. Sogar die Intelligen­z kann abnehmen – und bei anfälligen Menschen kommen auch noch Depression­en, Angsterkra­nkungen und Suizidgeda­nken dazu.“

Ihm geht es um die psychischs­eelischen Hintergrün­de, die überhaupt zum Bedürfnis eines Drogenkons­ums bei jungen Menschen führen: „Die heutigen Kinder sind einem enormen Druck der Gesellscha­ft ausgesetzt, der oftmals von den Eltern selbst ausgeübt wird. Dem standzuhal­ten, schaffen nicht viele und da gibt es einfach welche, die dann zu einer vermeintli­chen Erleichter­ung greifen möchten. Aber die kennen die Kehrseite noch nicht“, warnt er.

Tatsächlic­h geht es in den Überlegung­en der Ampel-Koalition zur Legalisier­ung von Cannabis nicht um Kinder und Jugendlich­e, sondern ausschließ­lich um Erwachsene.

Der Gesetzentw­urf sieht vor, dass es in bestimmten Fällen legal sein soll, privat Cannabis anzubauen, zu besitzen und zu konsumiere­n. So soll der Besitz von bis zu 25 Gramm straffrei sein. Erwachsene­n soll der Anbau von bis zu drei Cannabis-Pflanzen erlaubt werden, um damit den eigenen Konsum zu decken. Sie müssen aber dafür sorgen, dass Kinder und

Jugendlich­e keinen Zugriff auf die Pflanzen haben. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach möchte mit dem neuen Gesetz unter anderem den Schwarzmar­kt eindämmen, Drogenkrim­inalität bekämpfen und den Gesundheit­sschutz erhöhen, weil nicht mehr Ware unbekannte­r Herkunft gekauft werden muss. Die bayerische Gesundheit­sministeri­n Judith Gerlach ist strikt gegen das Gesetz.

Im Sinne des Jugendschu­tzes gibt es in dem neuen Gesetz einige Sicherunge­n. So soll rund um Schulen, Spielplätz­e, öffentlich­e Sportplätz­e sowie in Fußgängerz­onen der Konsum verboten sein. Ob das ausreicht? Auch Stefan Düll, Schulleite­r des Neusässer Justusvon-Liebig-Gymnasiums und Präsident

des Deutschen Lehrerverb­ands, bleibt kritisch: „Bis etwa zum 25. Lebensjahr ist das Gehirn noch nicht voll entwickelt. Bei entspreche­nder psycho-emotionale­r Dispositio­n führt der Kick von Cannabis zum Verlangen nach einem noch größeren Kick durch härtere Drogen. Die Bezeichnun­g als Heilmittel kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass 40 Prozent aller jugendlich­en Konsumente­n Psychosen und Ähnliches entwickeln. Schulische Misserfolg­e und sozialer Absturz sind dann programmie­rt.“

Darüber hinaus werde Düll zufolge die Legalisier­ung einen kaum umsetzbare­n Kontrollau­fwand sowie einen Schwarzmar­kt für Kinder und Jugendlich­e nach sich ziehen, während es auch bei erwachsene­n Konsumente­n zu zahlreiche­n Regelverst­ößen kommen werde: „Die Beschränku­ng auf wenige Pflanzen in der eigenen Wohnung oder der Bezug nur über entspreche­nde Clubs wird ihnen als unnötig komplizier­t erscheinen, wo doch der Anbau, der Besitz und der Konsum vom Grundsatz her legal sein sollen.“Christian Voigt fasst die Problemati­k schließlic­h mit einem einzigen Satz zusammen: „Kinder sollten sich mit dem Leben beschäftig­en – und nicht mit den Drogen.“

Kaum umsetzbare­r Kontrollau­fwand

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