Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Experten im Landkreis warnen vor Cannabis
Die geplante Haschisch-Freigabe führt zu Zurückhaltung in der öffentlichen Meinungsäußerung. Doch Fachleute im Augsburger Land sprechen vor einer Legalisierung deutliche Warnungen aus.
Für die einen stellt es eine hochgefährliche Einstiegsdroge dar, für andere ein wertvolles Schmerz- und Entspannungsmittel, das mittels natürlicher Inhaltsstoffe das allgemeine menschliche Wohlbefinden stärken soll. Die Rede ist von Cannabis, den THC-haltigen Blättern der Hanfpflanze, die in der Bundesrepublik noch immer unter die gesetzlich verbotenen Substanzen fallen. Doch das sollte sich seit dem unerwarteten Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nun grundlegend ändern, was beinahe schon als quasibeschlossenes Gesetz im Bundestag gehandelt wurde – bis sich vor wenigen Tagen warnend das BKA einschaltete und die Legalisierungs-Diskussion aufs Neue entbrennen ließ.
Doch welche Ansichten über diesen politischen Vorstoß gibt es unter den Jugendbetreuern, Ärzten und Schulleitern im Augsburger Land? Könnte Cannabis tatsächlich eine gefährliche Einstiegsdroge sein? Würde eine Legalisierung die Anschaffungskriminalität verhindern, wie es Lauterbach erhofft? Oder wird die Polizei aufgrund der zunehmenden Kontrollen
sogar noch sehr viel stärker ausgelastet sein, wie es vor wenigen Tagen das Bundeskriminalamt prophezeite?
Unter zahlreichen Jugendinstitutionen im Landkreis herrscht zum derzeitigen Zeitpunkt offensichtlich eine einhellige Meinung vor – nämlich vorsichtshalber überhaupt keine öffentliche Meinung über die geplante CannabisLegalisierung kundzutun. Die Leitung des Schwabmünchner Leonhard-Wagner-Gymnasiums räumt ein, in dieser Thematik nicht ausreichend bewandert zu sein, und verweist stattdessen auf die Schulberatung Schwaben, welche wiederum ihrerseits angibt, keine Presseinformationen erteilen zu dürfen und als Ansprechpartner direkt das bayerische Kultusministerium nennt. Nicht weniger vorsichtig zeigt sich der Kreisjugendring, der keine öffentliche Aussage machen möchte, solange dessen Dachverband Bundesjugendring keine klare Position zu dieser Thematik bezieht. Ebenfalls keine Stellungnahme möchte das Neusässer Kulturhaus Stereoton machen, genauso wie die Drogenberatung Meitingen.
Und dennoch gibt es Schulleiter und Ärzte im Landkreis, die das große Schweigen brechen und unmissverständliche Warnungen aussprechen. So weiß der Stadtberger Kinderarzt Dr. Christian Voigt, Obmann des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) für Augsburg und Nordschwaben, aus langjährigen beruflichen Erfahrungswerten zu berichten: „Es ist ein reines Märchen, dass junge Menschen Cannabis gut vertragen. Es kann das zentrale Nervensystem angreifen, zu Aufmerksamkeitsstörungen führen und schädigt die Lernfähigkeit. Sogar die Intelligenz kann abnehmen – und bei anfälligen Menschen kommen auch noch Depressionen, Angsterkrankungen und Suizidgedanken dazu.“
Ihm geht es um die psychischseelischen Hintergründe, die überhaupt zum Bedürfnis eines Drogenkonsums bei jungen Menschen führen: „Die heutigen Kinder sind einem enormen Druck der Gesellschaft ausgesetzt, der oftmals von den Eltern selbst ausgeübt wird. Dem standzuhalten, schaffen nicht viele und da gibt es einfach welche, die dann zu einer vermeintlichen Erleichterung greifen möchten. Aber die kennen die Kehrseite noch nicht“, warnt er.
Tatsächlich geht es in den Überlegungen der Ampel-Koalition zur Legalisierung von Cannabis nicht um Kinder und Jugendliche, sondern ausschließlich um Erwachsene.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass es in bestimmten Fällen legal sein soll, privat Cannabis anzubauen, zu besitzen und zu konsumieren. So soll der Besitz von bis zu 25 Gramm straffrei sein. Erwachsenen soll der Anbau von bis zu drei Cannabis-Pflanzen erlaubt werden, um damit den eigenen Konsum zu decken. Sie müssen aber dafür sorgen, dass Kinder und
Jugendliche keinen Zugriff auf die Pflanzen haben. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach möchte mit dem neuen Gesetz unter anderem den Schwarzmarkt eindämmen, Drogenkriminalität bekämpfen und den Gesundheitsschutz erhöhen, weil nicht mehr Ware unbekannter Herkunft gekauft werden muss. Die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach ist strikt gegen das Gesetz.
Im Sinne des Jugendschutzes gibt es in dem neuen Gesetz einige Sicherungen. So soll rund um Schulen, Spielplätze, öffentliche Sportplätze sowie in Fußgängerzonen der Konsum verboten sein. Ob das ausreicht? Auch Stefan Düll, Schulleiter des Neusässer Justusvon-Liebig-Gymnasiums und Präsident
des Deutschen Lehrerverbands, bleibt kritisch: „Bis etwa zum 25. Lebensjahr ist das Gehirn noch nicht voll entwickelt. Bei entsprechender psycho-emotionaler Disposition führt der Kick von Cannabis zum Verlangen nach einem noch größeren Kick durch härtere Drogen. Die Bezeichnung als Heilmittel kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass 40 Prozent aller jugendlichen Konsumenten Psychosen und Ähnliches entwickeln. Schulische Misserfolge und sozialer Absturz sind dann programmiert.“
Darüber hinaus werde Düll zufolge die Legalisierung einen kaum umsetzbaren Kontrollaufwand sowie einen Schwarzmarkt für Kinder und Jugendliche nach sich ziehen, während es auch bei erwachsenen Konsumenten zu zahlreichen Regelverstößen kommen werde: „Die Beschränkung auf wenige Pflanzen in der eigenen Wohnung oder der Bezug nur über entsprechende Clubs wird ihnen als unnötig kompliziert erscheinen, wo doch der Anbau, der Besitz und der Konsum vom Grundsatz her legal sein sollen.“Christian Voigt fasst die Problematik schließlich mit einem einzigen Satz zusammen: „Kinder sollten sich mit dem Leben beschäftigen – und nicht mit den Drogen.“
Kaum umsetzbarer Kontrollaufwand