Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Immer mehr Pendler setzen aufs Auto
Die Kritik an der Linie 704 im westlichen Landkreis Augsburg reißt nicht ab. Es geht um nicht passende Verbindungen zum Zug und eine unzuverlässige App. Ein Aufsichtsrat spricht von strukturellen Problemen beim AVV.
Endlich sieht man sich mal wieder, freuen sich die gut zehn Pendlerinnen und Pendler aus dem Raum Langenneufnach, Fischach und Gessertshausen bei ihrem Stammtisch. Seit Jahren kommen sie immer mal wieder zusammen. Ursprünglich, um sich auch mal außerhalb des Wegs zur Arbeit zu sehen, inzwischen jedoch, um sich überhaupt mal wieder zu sehen. Denn seit der Fahrplanumstellung fährt kaum noch einer von ihnen mit dem Bus der Linie 704 zum Bahnhof nach Gessertshausen. Die allermeisten setzen jetzt aufs Auto, weil ihnen die neue Buslinie zu unzuverlässig ist. So vertreibe man eher Kundinnen und Kunden aus dem öffentlichen Nahverkehr, statt für eine Mobilitätswende zu werben, finden sie. Mit beim Stammtisch war AVVAufsichtsratsmitglied, Kreisrat Fabian Wamser. Er sprach von strukturellen Problemen im Augsburger Verkehrs- und Tarifverbund (AVV).
Und die würden den Aufsichtsrat und auch den Landkreis seit Jahren und wohl auch noch für lange Zeit beschäftigen, so Wamser. „Im Moment bestellt der AVV ausschließlich Buskilometer. Wenn es nach mir ginge, sollte sich der AVV zu einem Mobilitätsanbieter wandeln“, so der Kreisrat. Das würde bedeuten, dass nicht nur Aufträge für Buslinien vergeben, sondern auch andere Formen der öffentlichen Mobilität angeboten würden, von der Station mit Elektrorollern bis zu Flexi- und Rufbussen. Für Fabian Wamser ist klar: „Wir müssen nicht täglich in großen Gelenkbussen nur warme Luft im Landkreis herumfahren“, spielt er auf die tagsüber oft wenig genutzten Linien durch den Landkreis an.
Das größte Problem aus seiner Sicht: „Allein der Landkreis Augsburg wird in diesem Jahr 18 Millionen Euro für den AVV aufbringen müssen.“
Erst vor wenigen Tagen hatte der Kreisausschuss im Zuge der Haushaltsberatungen über diese Kosten gesprochen. Während der Nahverkehr für die öffentlichen Kassen immer teurer wird, kommt bei den Pendlerinnen und Pendlern am Stammtisch nur eines an: Ihre Verbindung funktioniert nicht mehr so gut wie noch vor dem Fahrplanwechsel im vergangenen Dezember. Denn sie sind auf
der Linie 704 von einer großen Neuerung im System des AVV betroffen. Dabei wurde zunächst im südlichen Landkreis der komplette Nahverkehr mit Bussen neu organisiert. Die Hauptlinien verkehren dabei zu den Hauptverkehrszeiten alle 15 Minuten, Taktlinien wie die 704 nur noch stündlich. Das Rufbussystem des AktiVVo ergänzt das Angebot. Und der funktioniert gut, bestätigt der Fischacher Gemeinderat Rudolf Linderl. Er ist an diesem Abend mit dem AktiVVo problemlos von Wollmetshofen zum Stammtisch in Unterrothan gekommen.
Eigentlich ist die Umstellung eine gute Sache, findet Pendler Dieter Rothenfusser. Denn jetzt gebe es täglich 18 Verbindungen nach Schwabmünchen. „Doch die sind tagsüber oft leer“, so seine Erfahrung. Stattdessen würden die Verbindungen dann fehlen, wenn Pendlerinnen und Pendler unterwegs sind.
Erwin Deuringer erzählt: Seit 13 Jahren pendelt er mit Bus und Bahn von Langenneufnach zu seinem Arbeitsplatz in Friedberg. Während er bis zum Fahrplanwechsel mehrere Möglichkeiten zwischen 4.43 Uhr und 5.37 Uhr hatte, fährt jetzt der erste und einzig
passende Bus um 5.54 Uhr ab Langenneufnach zum Umstieg in den Zug in Gessertshausen. Vor 7 Uhr kann er nun nicht mehr anfangen. „Manchmal kommt der Bus auch gar nicht. Inzwischen leihe ich mir sogar schon von meiner Tochter das Auto, wenn ich pünktlich sein will.“
Und Thomas Dräger ergänzt: Auf die App des AVV ist in so einem Fall kein Verlass. Der Bus wird als pünktlich angezeigt, kommt dann aber überhaupt nicht. Die Lösung der Pendlergruppe: Sie rufen ihren Kumpel an, der bereits in Gumpenweiler einsteigt und fragen, ob er im Bus sitzt oder nicht. Für Fabian Wamser aus dem Aufsichtsrat des AVV ist das unverständlich. „Sicher, es gibt Probleme, die der AVV nicht lösen kann, wie etwa den Fahrermangel. Aber den Service muss er in den Griff bekommen.“
Dabei gibt es eine Sache, die die Gruppe am allermeisten ärgert. Alle sind große Fans der Züge der Bayerischen Regiobahn (BRB), die ab 2027 die Bedienung der Staudenbahn nach Langenneufnach übernehmen soll. Die Züge seien meistens pünktlich. Doch in der Verbindung mit Ankunft um 16.37 Uhr in Gessertshausen sei der Umstieg
in den Bus so knapp geplant, dass dieser bei leichter Verspätung des Zugs einfach nicht zu schaffen sei. Vor dem Fahrplanwechsel hätten die Fahrer bis zu zehn Minuten auf den Zug gewartet. Jetzt fahre der Bus einfach ab. Rudolf Linderl erzählt, dass in der vergangenen Woche bei nur einer drei Minuten Verspätung des Zugs rund 30 Pendlerinnen und Pendler eine Stunde lang warten mussten, um in die Stauden zu kommen.
Auch das kann Fabian Wamser nicht verstehen. In der Ausschreibung für den Busverkehr sei festgehalten, dass Busse, die für den AVV fahren, mit einer Technik ausgestattet sein müssen, die sekundengenau die Ankunftszeit anderer öffentlicher Verkehrsmittel, also beispielsweise der Züge von Go-Ahead oder BRB, anzeigen. Beim Thema vereinbarte Qualitätsstandards winkt Dieter Rothenfusser ab.
Sei vor wenigen Jahren noch eine deutlich erkennbare AVV-Lackierung Standard gewesen, würden heute wieder alte Reisebusse auf den Linien fahren. Die Folge: „Mütter mit Kinderwagen oder Senioren mit Rollator werden an der Haltestelle stehen gelassen.“
Peter Bierling ist jetzt in Rente, er ist auf der Strecke nach Augsburg jedoch 28 Jahre lang gependelt.
Für ihn steht fest: „So schlecht wie heute war es seit 30 Jahren nicht mehr.“Ein Grund sei die Streckenführung der Linie 704, die in einem großen Bogen von Schwabmünchen über Mittelneufnach und Langenneufnach zum Bahnhof Gessertshausen fahre und wieder zurück. 31 Haltestellen würden auf der Strecke liegen, die so sicher niemand fahre. Der Pendelverkehr zwischen Markt Wald und Gessertshausen zuvor habe sich jedoch bewährt, findet er.
Auch Irene Settele, Gemeinderätin in Langenneufnach, ärgert sich über die lange Linienführung der 704. Denn die passe weder zum Zugfahrplan in Gessertshausen noch zu jenem in Schwabmünchen. „Immer ist entweder der Bus weg oder der Zug.“Auch sie überlegt mit der Familie, ein weiteres Auto anzuschaffen. Alle zusammen hoffen sie auf den Start der Staudenbahn 2027.
Dieter Rothenfusser will jedoch eine schnelle und effektive Lösung und wünscht sich einen runden Tisch mit dem AVV und dem Landrat. Herbert Böck, inzwischen in Rente, hatte eine ganz persönliche Lösung gefunden. Die letzten zehn Jahre seines Berufslebens war er mit dem Fahrrad zwischen Langenneufnach und Augsburg unterwegs.