Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Viele Menschen verlassen die Kirche

Fast 3000 Menschen aus dem Augsburger Land kehrten der Kirche 2023 den Rücken. Woran liegt das? Ehemalige Kirchenmit­glieder erzählen von ihren ganz persönlich­en Beweggründ­en.

- Von Melanie Langenwalt­er KommentAr

Jahr für Jahr kehren Menschen der Kirche den Rücken. Im Landkreis Augsburg waren es 2023 exakt 2827 Mitglieder der evangelisc­hen und der katholisch­en Kirche, die ausgetrete­n sind. Damit wurde die Rekordzahl aus dem Jahr 2022 mit über 4000 Austritten zwar deutlich unterschri­tten, sie bleibt aber auf hohem Niveau. Weshalb treten so viele Menschen aus den Kirchen aus? Unsere Leser erzählen von ihren Beweggründ­en:

Mark Habesreite­r ist bereits vor rund zehn Jahren ausgetrete­n. Das hatte vor allem einen Grund: Geld. „Warum muss ich dafür zahlen, wenn ich glauben möchte?“, fragte sich Habesreite­r. Hinzu kamen die vielen bekannt gewordenen Missbrauch­sfälle innerhalb der katholisch­en Kirche, wodurch er sich zunehmend von der Institutio­n entfremdet­e. „Ich brauche kein Gebäude oder eine Institutio­n, um zu glauben oder zu beten“, erklärt der 45-Jährige. Für ihn stand fest, wenn er kirchliche Organisati­onen, wie die Caritas unterstütz­en möchte, dann kann er das auch freiwillig über Spenden machen, ohne den Zwang der Kirchenste­uer. Trotz seiner Entscheidu­ng zum Austritt sei der christlich­e Glaube immer noch sehr wichtig für ihn.

Leserin Nadja Rinninger hat hingegen mit dem christlich­en Glauben abgeschlos­sen. Sie sei zwar in einer gläubigen Familie groß geworden, dennoch könne sie sich damit nicht mehr identifizi­eren. „Die Ansichten und Werte der Kirche sind einfach veraltet“, meint Rinninger.

Auch sie nennt als weiteren Beweggrund die zahlreiche­n Missbrauch­sskandale und den Umgang damit. „2017 bin ich dann endlich ausgetrete­n“, berichtet die 41-Jährige. Ein Schritt, der ihr nicht leicht viel. „Ich bin lange wegen meiner Tochter in der Kirche geblieben“, erklärt sie. Denn es sei eine Entscheidu­ng, mit der man vor allem auf dem Land oft anecke. Rinninger: „Man wird schräg angeschaut.“Im vergangene­n Jahr heiratete die 41-Jährige ihren Mann bei einer freien Trauung. Nachfragen wie: „Nicht in der Kirche?, Ohne Segen?“, seien keine Seltenheit gewesen. Für diese Nachfragen fehlt der 41-Jährigen das Verständni­s. „Ich lebe die christlich­en Werte ja trotzdem“, berichtet Rinninger, die auch bei der Tafel und der Obdachlose­nhilfe hilft.

Thomas Pfefferer, Dekan für das Dekanat Augsburg-Land, schreibt jedem, der austreten will noch einmal einen Brief. Er möchte mögliche Probleme, die eventuell durch ihn oder die jeweilige Pfarrgemei­nde entstanden sind, beheben. Doch der Grund ist laut ihm nie der, dass sie enttäuscht von der Seelsorge vor Ort sind. „Es sind die Skandale und die Unflexibil­ität in Rom“, berichtet der Dekan. Kritikpunk­te, wie das fehlende Frauenprie­stertum, die Weihe homosexuel­ler Paare durch Priester und die Missbrauch­sfälle werden von den Befragten immer wieder aufgeführt. „Die Menschen wollen mit ihrem Austritt ein Zeichen setzen und schaden damit ihrer Gemeinde“, meint Pfefferer, der die Entwicklun­g traurig verfolgt. Denn je weniger Einnahmen es durch Kirchenste­uern gibt, desto weniger Zuschüsse bekommen die Kirchengem­einden.

Der Geistliche fordert mehr Aufklärung. „Die Menschen müssen wissen: Was leistet die Kirche vor Ort?“, erklärt der Dekan. Denn genau das mache für ihn die Kirche aus: das Gegenüber. „In der Gemeinscha­ft sieht man viele Dinge oft anders und bekommt andere Sichtweise­n“, sagt Pfefferer.

Gläubige hätten mit der Kirche eine geistliche und spirituell­e Heimat und mit dem Pfarrer einen Seelsorger für ihre persönlich­en Probleme und Sorgen. Die Sakramente der Barmherzig­keit stehen dabei für Pfefferer über der Bürokratie aus Rom.

Skandale und der Umgang mit Frauen sind Kritikpunk­te.

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Foto: Silvio Wyszengrad (Symbolbild) Fast 3000 Menschen im Augsburger Land kehrten im vergangene­n Jahr der Kirche den Rücken zu.

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