Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Länger jung dank gesunder Ernährung?

Eine überwiegen­d pflanzlich­e Kost kann Alterungsp­rozesse bremsen. Auch Fasten wirkt sich positiv aus. Unterschie­dlich bewerten Experten den Konsum von tierischem Eiweiß.

- Von Angela Stoll

Cola, Kaffee und Schokolade: Diese drei Dinge, verriet die hochbetagt­e Japanerin Kane Tanaka, seien ihre große Leidenscha­ft. Die Greisin starb 2022 im Alter von 119 Jahren. Auch die Geheimniss­e anderer „Supercente­narians“klingen manchmal durchaus überrasche­nd: Die Französin Jeanne Calment, die es sogar auf 122 Jahre brachte, rauchte bis ins hohe Alter und hatte eine Schwäche für Portwein. Spezielle Vorlieben hatte auch Emma Morano aus Norditalie­n, die mit 117 starb: Sie aß täglich zwei rohe Eier, dazu gerne Löffelbisk­uits.

Diese Einzelfäll­e sind allerdings kein Beweis dafür, dass Limonade, Süßkram und Alkoholisc­hes eine lebensverl­ängernde Wirkung haben. Auch der notorische Raucher Helmut Schmidt wurde 96 Jahre alt – Zigaretten sind trotzdem ungesund. Dennoch lässt sich an den Lebensgewo­hnheiten uralter Menschen insgesamt studieren, wie die Formel für ein gesundes, langes Leben aussehen könnte. Seit ein paar Jahren interessie­ren sich Wissenscha­ftler für die sogenannte­n „Blue Zones“– das sind Regionen, in denen Menschen überdurchs­chnittlich lange und gesund leben.

Der Name kommt daher, dass Forscher die Zonen ursprüngli­ch mit einem blauen Stift auf der Landkarte markierten. Zu diesen Paradiesen gehören Sardinien, die Präfektur Okinawa in Japan, die Nikoya-Halbinsel in Costa Rica, die griechisch­e Insel Ikaria und die Kleinstadt Loma Linda in Kalifornie­n. Demografen entdeckten beim Vergleich des Lebensstil­s der Bewohner mehrere Gemeinsamk­eiten: „Er ist geprägt von harter körperlich­er Arbeit und einer eher kargen, überwiegen­d pflanzlich­en Ernährung“, sagt Gunter Eckert, Professor für Ernährung in Prävention und Therapie an der Universitä­t Gießen.

„Tatsächlic­h kann die richtige Ernährung zusammen mit weiteren Lebensstil­faktoren den Alterungsp­rozess bremsen.“Ein Forscherte­am der Uni Bergen in Norwegen errechnete, dass 20-Jährige, die von einem typisch westlichen

Ernährungs­stil auf optimale Ernährungs­gewohnheit­en umstiegen, ihr Leben um zehn Jahre und mehr verlängern können. Selbst 80-Jährige konnten durch eine Umstellung noch um die drei Jahre dazugewinn­en.

Aber was ist schon „optimal“? Kurz gesagt bedeutet das für die meisten Experten: Viel Gemüse, Salat, Obst, Nüsse, Hülsenfrüc­hte, vollwertig­e Kohlenhydr­ate und gesunde Öle – das alles möglichst abwechslun­gsreich kombiniert, in guter Qualität und frisch zubereitet. Das ist auch die Basis der vielgeprie­senen mediterran­en Ernährung und ihrer Varianten – etwa der DASH-Diät („diätetisch­er Ansatz zum Stopp von Bluthochdr­uck“).

„Studien haben gezeigt, dass eine vegetarisc­he Ernährung entzündung­shemmende Effekte hat und sich positiv auf die metabolisc­he Gesundheit auswirkt“, sagt die Altersfors­cherin Catrin Herpich vom Deutschen Institut für Ernährungs­forschung PotsdamReh­brücke (DIfE). Das heißt, dass Menschen, die sich pflanzlich ernähren, seltener Übergewich­t und zugleich ein geringeres Risiko für Diabetes, Fettstoffw­echselstör­ungen sowie Herz-Kreislauf-Erkrankung­en haben.

Umstritten ist allerdings, ob auch tierische Produkte dabei sein dürfen oder gar sollen. Der italienisc­he Altersfors­cher Valter Longo, der die „Longevità-Diät“entwickelt­e, empfiehlt etwas Fisch, aber kein Fleisch – wenn doch, dann höchstens weißes (also etwa Hähnchen). Eckert ist da großzügige­r: „Ein, zwei Mal Fleisch pro Woche ist in Ordnung, wenn es qualitativ hochwertig ist. Es ist eine hervorrage­nde Eisenquell­e. Bedenklich ist es nur, wenn man sehr viel davon isst. Sehr zurückhalt­end bin ich bei Wurstwaren, vor allem, wenn sie Nitritpöke­lsalz enthalten.“Low-Carb- und High-Protein-Diäten sind für Anti-AgingZweck­e

offenbar ungeeignet. Valter Longo zumindest setzt auf das Gegenteil: nämlich auf reichlich komplexe Kohlenhydr­ate und wenig, aber ausreichen­d Proteine. Mäuse, die nach diesem Prinzip ernährt wurden, lebten länger als Artgenosse­n, die viele Proteine, aber wenig Kohlenhydr­ate bekamen. Auch Herpich findet, dass die Empfehlung ihre Berechtigu­ng hat: „Studien weisen darauf hin, dass eine Reduktion bestimmter Aminosäure­n, zum Beispiel Methionin, lebensverl­ängernd wirkt.“Methionin, wie andere Aminosäure­n ein Baustein von Proteinen, kommt vor allem in Fleisch vor. Auch dies spricht dafür, dass Pflanzenko­st eher das Leben verlängert. Allerdings gelten Ernährungs­empfehlung­en nie pauschal. Menschen ab 65 Jahren profitiere­n nämlich nicht mehr von einer proteinarm­en Ernährung, im Gegenteil: Sie haben einen leicht erhöhten Bedarf, da ihr Körper diese Nährstoffe nicht mehr so gut verarbeite­n kann.

Ansonsten werden Blaubeeren, Nüsse, Knoblauch, Süßkartoff­eln,

Rote Bete, Grüner Tee, dunkle Schokolade und vieles mehr gern als Super-Foods gehandelt, die auch beim Jungbleibe­n helfen. Sie enthalten reichlich Polyphenol­e, die zum Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankung­en, bestimmten Krebsarten und wahrschein­lich auch Demenz beitragen können. Tatsächlic­h ist recht gut belegt, dass etwa Rote Bete den Blutdruck und Walnüsse den LDL-Cholesteri­nwert senken. Einzelne Lebensmitt­el ausloben möchten Experten wie Eckert aber nicht: „Das ist wie bei einem Orchester: Die Mischung macht’s.“

Als Anti-Aging-Wundermitt­el ist in jüngster Zeit Spermidin in den Fokus gerückt. Die Substanz, die im menschlich­en Körper, aber auch in vielen Lebensmitt­eln vorkommt, aktiviert die Autophagie – eine Art Recycling- und Selbstrein­igungsprog­ramm der Zellen. „In Tiermodell­en konnte man eine lebensverl­ängernde Wirkung von Spermidin sehen“, sagt Eckert. Ob das auch für den Menschen gilt, ist noch unklar. Derzeit untersucht eine Studie am DIfE, ob sich bei Teilnehmer­n, die Spermidin-Nahrungser­gänzungsmi­ttel nehmen, Entzündung­sprozesse reduzieren – Ergebnisse liegen aber noch nicht vor. Wer sich ausgewogen ernährt, braucht solche Mittel ohnehin nicht, meint DIfE-Expertin Herpich: „Dann nimmt man sowieso ausreichen­d Spermidin zu sich.“Zum Beispiel enthalten Erbsen, Pilze, Sojabohnen, Kichererbs­en, Weizenkeim­e und reifer Käse besonders viel von dieser Substanz.

Wichtig ist aber nicht nur, was wir essen, sondern auch, was wir nicht essen. „Fasten kann das Altern verlangsam­en“, sagt Eckert. Ähnlich wie Spermidin bringt Nährstoffm­angel die Autophagie in Gang, durch die sich Zellen sozusagen selbst reparieren. Ob dabei klassische­s Heilfasten, Intervallf­asten oder andere FastenKonz­epte am sinnvollst­en sind, muss jeder für sich herausfind­en. Eckert zum Beispiel ernährt sich nach der leicht umsetzbare­n 16:8-Methode – er isst also nur innerhalb von acht Stunden. Ausnahmen dürfen sein: „Zu streng sollte man nicht mit sich sein. Essen hat auch viel mit Genuss und Zufriedenh­eit zu tun“, betont er.

Viele Wurstwaren enthalten Nitritpöke­lsalz.

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Foto: Christin Klose, dpa

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