Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Ich will einfach mein Leben zurück“

Seit mehreren Monaten kommen Betroffene in Wertingen zusammen, um sich über ihre Long-Covid-Erkrankung auszutausc­hen. Für manche ist es der einzige Ort, an dem sie Verständni­s finden.

- Von Christina Brummer

Gut vier Jahre ist es her, dass das Corona-Virus zum ersten Mal auftauchte. Gut zwei Jahre lang hielt es die Bundesrepu­blik in Atem. Aerosole, AHA+L-Regeln, FFP2-Maske, mRNA-Impfstoff waren Vokabeln, die die Deutschen innerhalb kürzester Zeit draufhatte­n. Für viele war der Spuk dann aber irgendwann vorbei. Das Virus grassiert zwar zur Erkältungs­saison immer noch, doch für die meisten Menschen hat es seinen Schrecken verloren. Das macht die Lage von LongCovid-Patienten nicht besser. Seit ihrer Erkrankung kämpfen sie, dass Mitmensche­n, Behörden und Ärzte sie ernst nehmen. Und ihnen helfen. Doch oft fühlen sich die Betroffene­n alleingela­ssen. Um sich zumindest gegenseiti­g zu unterstütz­en, hat Elisabeth Knöferl in Wertingen eine Selbsthilf­egruppe gegründet. Für die Teilnehmer­innen und Teilnehmer ist es eine Erleichter­ung, endlich ernst genommen zu werden.

Im Mehrgenera­tionenhaus in Wertingen sitzen sie um zusammenge­schobene Tische herum. Sie sind schon voll im Thema. Es geht um Briefe von der Berufsgeno­ssenschaft, um eine nicht enden wollende Folge von Arzttermin­en. Von Diagnosen, Anträgen, Ablehnungs­bescheiden.

Die Teilnehmer der Gruppe wollen hier nur mit ihrem Vornamen vorkommen. Denn, wer Long-Covid hat, der wird von manchen belächelt. Oder erhalte wenig Verständni­s. „Mach doch Sport“, habe ihr Bruder ihr geraten, berichtet Anja. Ihr Bruder sei topfit, laufe Marathon. Er könne nicht nachvollzi­ehen, wie sie sich fühle. Wenn man aufstehe und bereits alle Muskeln schmerzten. „Als wenn man am ganzen Körper Muskelkate­r hat“, sagt Anja. Die anderen nicken, während sie ihre Erfahrunge­n schildert. Belastend dabei sei auch, dass sich die Symptome immer wieder änderten. Neben den Muskelschm­erzen habe sie immer wieder Hitzewallu­ngen, Blackouts, Sehstörung­en. „Es wird ständig anders, aber nicht besser“, beschreibt sie die Krankheit. Seit 2022 ist die ehemalige Qualitätsp­rüferin berufsunfä­hig.

Laut Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung, die unter dem Schirm des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums steht, ist Long-Covid eine Krankheit, die mit verschiede­nen Beschwerde­n einhergeht. Diese treten nach einer

Zeit neu auf oder enden nicht nach der Infektion. Viele Patienten berichtete­n von einem Fatigue-Syndrom, also einer chronische­n Erschöpfun­g. Hinzu kommen Kurzatmigk­eit, Muskelschm­erzen und kognitive Einschränk­ungen.

Auch die Teilnehmer­innen und Teilnehmer der Selbsthilf­egruppe in Wertingen erzählen von solchen Symptomen. Beim Arzt heiße es dann oft, man habe doch gute Werte, sagt Lothar. Er war früher als Maschinenf­ührer in einem Industrieu­nternehmen im Landkreis tätig. Nach seiner Infektion ging das nicht mehr. Er kämpfe immer wieder darum, dass seine Beschwerde­n ernst genommen würden. „Oft heißt es dann aber, das wäre vorher schon gewesen oder es wäre das Alter.“In der Selbsthilf­egruppe sitzen Menschen jeden Alters.

Manche standen am Ende ihrer Berufstäti­gkeit, andere am Anfang oder mittendrin. Die Tatsache, dass sie nicht mehr arbeiten können, führt, neben dem Kampf gegen die Krankheit, zu einem weiteren Konflikt: Immer wieder flatterten Briefe herein. Von Berufsgeno­ssenschaft, Arbeitsamt, Krankenkas­se, Rentenvers­icherung, berichten die Teilnehmer. Immer wieder müsse man Telefonate führen, Menschen in den Ämtern

finden, die zuständig seien, um Rehaplätze kämpfen. In ihren Schilderun­gen wirkt es wie der Weg vom Pontius zum Pilatus. „Ich soll nachweisen, dass ich mich am Arbeitspla­tz angesteckt habe“, sagt Anja, die um eine Anerkennun­g durch die Berufsgeno­ssenschaft kämpft. „Wie soll ich das nach drei Jahren tun? Ich saß in einem Großraumbü­ro.“Bei Claudia, die im Krankenhau­s gearbeitet hat, ist Post-Covid anerkannt. Damit sei es aber meist nicht vorbei, berichtet sie. Der Kampf gehe weiter. Mit dem Arbeitsamt und mit der Rentenvers­icherung.

„Die Krankenkas­se will dich loswerden, die Rentenvers­icherung will dich loswerden, und der VdK sagt nur, dass man abwarten soll“, sagt Peter. Er hat vor seiner Erkrankung eine Krankenhau­sküche geleitet. Einkauf, Personalpl­anung, alles habe er gemanagt. Müsse er nun etwa Maultasche­n zubereiten, wisse er nicht, wo er anfangen soll. Mit dem Kampf mit den Behörden käme auch die Angst vor dem sozialen Abstieg.

Viele in der Gruppe berichten von Geldsorgen. Solange nichts anerkannt ist, fließt oft auch kein Geld. Es scheint, als würden die Betroffene­n von Long-Covid in kein Raster passen. Und wo kein Raster ist, da ist oft auch keine Anerkennun­g seitens der Behörden.

Was macht ihnen noch Hoffnung? „Hoffnung ist da, aber für uns heißt es, mit der Situation umzugehen“, sagt Peter. Bei anderen Krankheite­n könne man ungefähr sagen, wie lange es dauert, bis man wieder gesund sei. Das ist bei LongCovid jedoch anders. „Mit den Schmerzen kann man sich arrangiere­n“, sagt Anja. „Aber womit man sich nur schwer abfinden kann, ist, dass man nichts mehr machen kann, was man früher gern gemacht hat.“Motorradfa­hren, Salsa-Tanzen, Freunde treffen. Ja, nicht mal mehr ein Buch lesen könne sie. Claudia nickt: „Ich will einfach mein Leben zurück.“

Long-CovidPatie­nten passen in kein Raster.

Info Die Long/Post-Covid-Selbsthilf­egruppe trifft sich an jedem ersten Donnerstag im Monat um 19 Uhr im Mehrgenera­tionenhaus in Wertingen, Fritz-Sauter-Straße 10. Mehr Informatio­nen gibt es unter austausch-lopoco@t-online.de.

 ?? Foto: Christina Brummer ?? Elisabeth (links) hat die Long-Covid-Selbsthilf­egruppe gegründet. Zusammen mit Peter, Anja, Dirk, Johanna, Claudia und Lothar sprechen sie regelmäßig über ihre Erfahrunge­n.
Foto: Christina Brummer Elisabeth (links) hat die Long-Covid-Selbsthilf­egruppe gegründet. Zusammen mit Peter, Anja, Dirk, Johanna, Claudia und Lothar sprechen sie regelmäßig über ihre Erfahrunge­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany