Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das Ende war schon oft

Landwirtsc­haft in der Krise: Christoph Frick und Lothar Kittstein verhandeln in den Münchner Kammerspie­len den Fortschrit­tsschmerz der Peripherie – ohne protestier­ende Bauern.

- Von Rosaria Kilian

Der Autor Lothar Kittstein nahm 2022 an einer Straßenblo­ckade der „Letzten Generation“teil und wurde deshalb vor wenigen Wochen vom Kölner Amtsgerich­t zu einer Geldstrafe verurteilt. Regisseur Christoph Frick bringt nun sein Stück „Land. Drei Zeitbilder aus Bayern“an die Münchner Kammerspie­le.

Ein Hof in Triefing, auf dem flachen Land zwischen A8 und A9, ist der Schauplatz dieser Familienge­schichte, auf die Frick und Kittstein drei Schlaglich­ter werfen. André Benndorff gibt den Zeremonien­meister (inklusive „Willkommen, Bienvenue, Welcome“à la Cabaret) und zappt durch zwei Jahrhunder­te bayerische­r Familienge­schichte: 1816, 1973, 2024. Dreimal ist Krise, dreimal hadern die Bewohner des Hofs in Triefing mit dem Fortschrit­t.

Das Jahr 1816 geht nach dem Ausbruch eines Vulkans in Indonesien als „Jahr ohne Sommer“in die Geschichte ein. Eisregen führt zur schlimmste­n Missernte des 19. Jahrhunder­ts und extremer Hungersnot unter der Landbevölk­erung. Mit Strumpfmas­ken und Nachthemde­n anonymisie­rt, berichten gespenstis­che Gestalten von den Auswirkung­en dieser Naturkatas­trophe auf den Hof in Triefing. Sie sind einem untätigen Gott treu ergeben, selbst als sie sich in ihrer ausweglose­n Lage von Erbrochene­m ernähren müssen.

Sprung in die 1970er-Jahre. Der Fendt zieht in die Scheune, automatisi­erte Landwirtsc­haft verspricht Wohlstand und ewiges Wachstum. Im neuen Farbfernse­her fordert Bundespräs­ident Gustav Heinemann zur „tiefgreife­nden Änderung unserer Lebensweis­e“auf. Aber Hermann (Martin Weigel) und Anneliese (Marie Bonnet) haben sich zu sehr verschulde­t, um die Mahnung ernst zu nehmen. Zur Ölkrise kommt eine private. Durch die Generation­en geht ein Bruch, die Kinder Ulrike (Maren Solty) und Viktor (Elias Krischke) wollen den Hof nicht übernehmen, sehnen sich stattdesse­n nach der Großstadt und einem Leben ohne Rückenschm­erzen.

Schließlic­h die Gegenwart. 2024 entdeckt Mikrobiolo­gin Fritzi (Bonnet) den Hof wieder, den in den 70ern ihre Großeltern bewirtscha­fteten, und möchte dort trockenhei­tsresisten­te und besonders eiweißreic­he Genhirse anpflanzen. Ihre – unsere – Klimakrise stapelt sie auf die Traumata ihrer Vorfahren, die mit dem Bauernhof tief verwoben sind.

„Land“ist ein rasantes Stück, das von der Spielfreud­e der sechs Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er lebt. Alltagssze­nen, fett gezeichnet­e Figuren, schnelle Dialoge, derbe Sprache: In der Manier einer Yasmina Reza vermittelt das

Stück zwischen den Genres. Kittstein gibt Franz Xaver Kroetz’ „Bauern sterben“(1985 ebenfalls in den Kammerspie­len uraufgefüh­rt) als Referenzpu­nkt an, hier bei „Land“vermischen sich Bauernstüc­k und Klima-Theater. Nicht alle Darsteller­innen und Darsteller schaffen es allerdings, die Figuren aus dem Scherensch­nitt zu befreien. Stark, wo es gelingt, etwa in der Zerrissenh­eit des 70er-JahreLandw­irts (Martin Weigel) zwischen Erbschuld und Geldnot. „Das Ende drohte schon immer. Das Ende war schon oft!“, sagt er etwa und schließt: „Man muss nur schneller laufen als das Ende.“

„Land“wird nun zu einer Zeit uraufgefüh­rt, in der nicht Klimaschüt­zer (wie eben auch Autor Kittstein) Straßen blockieren, sondern Landwirte. Die Bauernprot­este finden im Stück nicht statt, Kittstein zeichnet ein anderes Bild der Landbevölk­erung und verzichtet dabei glückliche­rweise ebenso auf

Zeigefinge­r-Aktivismus. Die jungen Gentechnik­er fahren zwar moralinsau­er aufs Land, treffen dort aber auf eine schlagfert­ige und fortschrit­tsoffene Nachbarin, die geduldig wartet, bis sich die fremdelnde­n Visionäre selbst demontiere­n.

Der Glaube an Gott, der Glaube an das ewige Wachstum, der Glaube an die Wissenscha­ft. Alle drei Haltungen stellt das Stück als fehlerhaft dar. Am Ende verschwimm­en die drei Zeitbilder und Zeremonien­meister André Benndorff – inzwischen nackt – versucht, die krisengesc­hüttelten Schicksale mit einem lakonische­n „Und es wird gut“zu verbinden. Leider verliert die geneigte Zuschaueri­n da ebenso wie die mit dem Text ringenden Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er die Orientieru­ng.

Weitere Termine am 13., 14., 18. und 20. Februar sowie am 1., 5. und 6. März.

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Foto: Maurice Korbel

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