Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Vier neue Meiler

Anders als Deutschlan­d oder Österreich, setzt Tschechien massiv auf die Kernenergi­e. Kritiker warnen vor hohen Kosten und negativen ökologisch­en Folgen. Doch in Prag finden sie kein Gehör.

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Die tschechisc­he Regierung macht beim Ausbau der Atomkraft kräftig Tempo: Der liberalkon­servative Ministerpr­äsident Petr Fiala will gleich bis zu vier neue Reaktorblö­cke auf einen Schlag in Auftrag geben, wie er zur Überraschu­ng vieler Beobachter bekannt gab. Die laufende Ausschreib­ung, die zunächst nur die Fertigstel­lung eines neuen Reaktors bis 2036 vorsah, wurde nun erweitert.

„Die tschechisc­hen Haushalte, die tschechisc­hen Bürger und die tschechisc­hen Firmen müssen die Gewissheit haben, dass es auch in Zukunft genug Energie geben wird - und zu akzeptable­n Preisen“, begründete er sein Vorhaben. „Das ist die Grundlage unseres Wohlstands.“Das Industriel­and Tschechien könne zu einem „Zentrum der Kernenergi­e“werden. Fiala rechnete mit einem Preisnachl­ass von bis zu 25 Prozent je Reaktor bei einer größeren Sammelbest­ellung.

Der französisc­he Atomkonzer­n EDF und der südkoreani­sche Konkurrent KHNP sind aufgerufen, bis Ende April ihre Angebote vorzulegen. Die Entscheidu­ng könnte bereits im Mai fallen. Nicht mehr dabei ist der US-Konzern Westinghou­se, der den Auftrag für den Bau des ersten Atomkraftw­erks in Polen erhalten hatte.

Wie viele Reaktoren es in Tschechien genau werden, ist noch unklar. Der Staat als Investor könne alle Optionen nutzen, müsse es aber nicht, erläuterte Petr Suler vom teilstaatl­ichen Atombetrei­ber CEZ. Aktuell gehe man davon aus, dass zunächst über den Ausbau des AKW-Standorts Dukovany um zwei Blöcke und erst danach über zwei weitere Blöcke in Temelin entschiede­n werde. Suler verwies darauf, dass die EU die Atomkraft unter bestimmten Bedingunge­n als klimafreun­dlich eingestuft habe.

In den ausländisc­hen Nachbarreg­ionen sorgen die Prager Pläne für Verunsiche­rung. Das AKW Temelin mit zwei Druckwasse­rreaktoren

vom Typ WWER 1000/320 liegt weniger als 60 Kilometer von den Grenzen zu Bayern und Niederöste­rreich entfernt. Von Dukovany, das über vier Altmeiler sowjetisch­er Bauart WWER-440/213 verfügt, sind es nach Wien nur knapp 100 Kilometer.

Urban Mangold von der bayerische­n „Plattform gegen Temelin“teilte mit, die tschechisc­hen Pläne gefährdete­n die Sicherheit der bayerische­n Bevölkerun­g. Atomkraft sei teuer, gefährlich und mache abhängig von Uranliefer­ungen.

Im schlimmste­n Fall könnten Atomreakto­ren zum militärisc­hen Angriffszi­el werden. Für Überraschu­ng sorgte der CSU-Politiker Erwin Huber, der die Ausbauplän­e als „sensatione­ll“begrüßte. Bayern solle sich Stromkonti­ngente sichern.

Erst vor wenigen Tagen fachte ein Zwischenfa­ll die Sorgen vieler Grenzbewoh­ner um die Sicherheit neu an: In Temelin kam es zu einer Störung, die zur unplanmäßi­gen Abschaltun­g des zweiten Reaktorblo­cks führte. Ein Kühler des Generators

außerhalb des nuklearen Bereichs musste nach CEZ-Angaben ausgetausc­ht werden.

Die neueste Energiestr­ategie der tschechisc­hen Regierung sieht vor, den Anteil der Kernenergi­e am Strommix von einem Drittel bis 2040 auf mehr als die Hälfte zu erhöhen. Die Kohleverst­romung soll dafür bis 2033 enden. Der ProAtomkur­s trifft in der Bevölkerun­g und in den Medien weitgehend auf Zustimmung.

Zu den wenigen Kritikern zählt Pavel Vlcek von der Bürgerinit­iative für Umweltschu­tz aus dem südböhmisc­hen Budweis (Ceske Budejovice). „Tschechien­s Politiker wollen die neuen Reaktorblö­cke wortwörtli­ch um jeden Preis, geradezu hysterisch“, kritisiert er. Vlcek sieht das als Folge der langfristi­gen Lobbyarbei­t der Atomindust­rie, die sich eine in Europa einmalige Stellung gesichert habe.

Zum größten Stolperste­in könnte die Finanzieru­ng werden. Finanzmini­ster Zbynek Stanjura musste im Fernsehsen­der CT einräumen, dass es sich um ein „hochriskan­tes Projekt“handele. Die Schätzunge­n von Analysten zu den Gesamtkost­en gehen weit auseinande­r und reichen von mehr als 30 Milliarden bis hin zu fast 80 Milliarden Euro. Kritiker warnen, dass sich das nicht unbedingt rechnen werde – je nachdem, wie sich die Preise auf den Strommärkt­en in der Zukunft entwickeln. (Michael Heitmann, dpa)

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Foto: Armin Weigel, dpa

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