Augsburger Allgemeine (Land Nord)

45 Jahre nach Mord: Angeklagte­r schweigt

Ein heute 70-Jähriger soll aus Habgier brutal gemordet haben, schweigt jedoch vor Gericht zu den Vorwürfen. Weil viele Zeugen inzwischen verstorben sind, spielen alte Akten im Prozess eine große Rolle.

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Seine Bewegungen sind etwas steif, das Haar unterhalb der Halbglatze grau, doch die Augen des angeklagte­n 70-Jährigen sind hellwach, als ihm die Staatsanwä­ltin Mord vorwirft. Begangen vor 45 Jahren an einem Münchner Rentner, der mit zertrümmer­tem Schädel in seiner Badewanne gefunden worden war. Das letzte Mal lebend gesehen wurde das Opfer kurz vor Silvester 1978, heißt es am Donnerstag vor dem Landgerich­t München I in der Anklage – und zwar in Begleitung eines jungen Mannes, der nach Überzeugun­g der Ermittler der Angeklagte war.

Die Fahnder kamen dem in seinem Heimatland lebenden Briten erst im Zuge der Altfallbea­rbeitung auf die Schliche – nach all den Jahrzehnte­n ein seltener Erfolg. Der Angeklagte machte zu Prozessbeg­inn allerdings weder Aussagen zu seiner Person noch zu den Vorwürfen an sich. Doch stimmen nach Angaben des „Cold Case“-Bearbeiter­s der Polizei, der als Zeuge befragt wurde, sowohl die gefundenen Fingerabdr­ücke als auch die DNA-Spuren überein.

Der Fall hatte damals als „Silvester-Mord“großes Aufsehen erregt: Verwandte hatten sich Sorgen gemacht, weil das bekannterm­aßen mit Strichern verkehrend­e Opfer nicht wie verabredet zu einer Messe erschienen war und auch nicht auf Anrufe reagierte. Die Polizei fand den 69-Jährigen daraufhin am 2. Januar mit zertrümmer­tem Schädel tot in seiner Badewanne – auf dem Kopf zwei Plastiksch­üsseln und ein Eimer.

Sie sollten den Angeklagte­n laut Staatsanwa­ltschaft vor dem grausigen Anblick bewahren, während er die Wohnung nach Wertgegens­tänden durchsucht­e und am Ende mit mindestens 1000 Mark Bargeld, einem Münzring und dem Schlüssel verschwand. Der Ring wurde bei einer U-Bahn-Baustelle gefunden, doch sonst liefen die Ermittlung­en ins Leere.

Allerdings hatte die Polizei damals in der Wohnung drei Fingerabdr­ücke gesichert, außerdem ein Haar sowie eine Flüssigkei­t auf dem Bettlaken. 2005 wurden aus diesen Asservaten dank des Fortschrit­ts

der Kriminalte­chnik DNA-Spuren extrahiert. Bei einer neuerliche­n Öffnung der Akten glich der Münchner Altfallbea­rbeiter die Fingerabdr­ücke 2018 europaweit ab. Die Treffermel­dung kam allerdings erst Ende 2021 – aus England.

Dort wurde der mutmaßlich­e Täter im Frühjahr 2023 widerstand­slos festgenomm­en – Mord verjährt nicht. Nachdem der Mann, der wegen Raubes und Hehlerei bereits zwei Mal verurteilt wurde und über viele Jahre im Gefängnis saß, nun schweigt, steht dem Gericht ein aufwendige­res Verfahren bevor: „Es sind natürlich naturgemäß sehr viele Zeugen verstorben“, sagte der Vorsitzend­e Richter. Entspreche­nd stütze sich das Verfahren auf viele alte Schriftstü­cke, die dem Angeklagte­n alle übersetzt werden müssen.

Laut Staatsanwa­ltschaft hatte das spätere Opfer den jungen Mann am 30. Dezember 1978 in der Hoffnung auf einvernehm­lichen Geschlecht­sverkehr mit in seine Wohnung genommen. Nach dem Besuch eines Erwachsene­nkinos ließ sich der 69-Jährige im Laufe der Nacht oder in den frühen Morgenstun­den des Silvestert­ages eine Badewanne einlaufen. Dies habe der Angeklagte ausgenutzt, um von einer Kommode im Flur einen metallenen Mörserstöß­el zu nehmen und den Rentner damit von hinten niederzusc­hlagen, schilderte die Staatsanwä­ltin. Weil sich das Opfer noch regte, habe er nach einer kurzen Pause ein weiteres Mal zugeschlag­en. Das Opfer starb an den Folgen von insgesamt zehn Hieben.

Als Zeugen befragte Polizisten schilderte­n aus ihren Gesprächen mit dem Angeklagte­n, dass dieser aus schwierige­n Familienve­rhältnisse­n stamme und vor seiner Pensionier­ung diverse Berufe ausgeübt habe. Bei seiner Überführun­g nach Deutschlan­d sei er freundlich, ruhig und in sich gekehrt gewesen. Das Urteil soll Anfang April fallen. (Elke Richter, dpa)

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Foto: Niklas Treppner, dpa Ein 70 Jahre alter Mann muss sich wegen Mordverdac­hts vor Gericht verantwort­en.

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