Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der Notarzt kommt per Video
Bayern steuert auf einen Mangel an Notfallmedizinern zu. 800 Rettungswagen sollen deshalb so ausgestattet werden, dass der Arzt nicht mehr vor Ort sein muss. Davon profitieren Firmen aus der Region.
Im medizinischen Ernstfall geht es für die Patientin oder den Patienten um jede Sekunde. Doch es mangelt – vor allem im ländlichen Raum – an Notärzten. Die Staatsregierung in München will in den kommenden Jahren mit dem Telenotarzt Abhilfe schaffen. Den Auftrag, die benötigte Infrastruktur zu schaffen, haben vier Unternehmen erhalten. Hauptvertragspartner ist ein Medizintechnikhersteller aus Kaufering (Landkreis Landsberg). Auch eine Firma aus Schwabmünchen (Landkreis Augsburg) ist beteiligt. Im Gespräch mit unserer Redaktion erläutert Thomas Jarausch, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte und Notärztinnen, warum das derzeitige System trotz ausreichender Personalstärke auf Kante arbeitet und welche Hoffnungen er mit dem Telenotarzt verbindet. Er übt auch Kritik an den Zweckverbänden für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung in Bayern (ZRF).
Die Empfehlungen einer mehr als 300 Seiten starken Studie des Instituts für Notfallmedizin des Klinikums der Universität München aus dem Jahr 2022 seien von keinem Zweckverband umgesetzt worden, beklagt Jarausch. „In Bayern gibt es aktuell mehr als 3500 Notärzte. Numerisch ist das ausreichend. Auch sind die 229 Standorte nicht zwingend notwendig. Die Studie hat gezeigt, dass bei cleverer Planung 190 Standorte ausreichend oder sogar besser für eine flächendeckende Versorgung sind.“Die notwendigen Veränderungen seien aber von keinem einzigen ZRF in Bayern in Erwägung gezogen worden. Es existieren auch keine Lösungsvorschläge.“Das Festhalten am Status quo wird es nicht besser machen.“Rund 20 Prozent der Notärzte im Freistaat seien über 60 Jahre alt, rund 50 Prozent über 50, der Mangel absehbar. Die Zeiten, in denen ein Landarzt nebenbei noch für Notarzteinsätze zur Verfügung stand, seien auch vorbei, so Jarausch, der in Würzburg arbeitet.
Günther Griesche, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft ZRF Bayern, sagt zu der Kritik: „Die Kassenärztliche Vereinigung Bayern ist für die Sicherstellung des Notarztdienstes zuständig.“Mit Blick auf die Reduzierung der Standorte verweist er darauf, dass in der Studie „weder auf eine Perspektive noch auf eine Finanzierung eingegangen“worden sei. Jede Schließung, Verlegung oder Zusammenführung sei eine Einzelfallentscheidung und löse nicht die vorhandenen strukturellen Problemstellungen.
Begegnen will der Freistaat dem Thema mit Telenotärzten. Die bekommen – mit Einverständnis des Patienten – vom Einsatzort oder aus dem Rettungswagen medizinische Daten wie EKG-Werte, Videos und Fotos zugeschickt. Die flächendeckende Nutzung werde eine spürbare Entlastung bringen, ist Jarausch sicher. „Der Telenotarzt hat sich an allen bisherigen Standorten bewährt und der Nutzen wurde durch Studien belegt. Unter anderem konnten die Aachener Kollegen aufzeigen, dass durch die Unterstützung des Telenotarztes in vielen Fällen auf die Anwesenheit eines Notarztes vor Ort verzichtet werden konnte, ohne die Qualität der Patientenversorgung einzuschränken.“Unnötige Einsätze seien neben der Arbeitsverdichtung in Klinik und Praxis und dem Nachwuchsmangel das größte Problem, sagt der Vorsitzende der Notärzte.
Die Ausschreibung des Innenministeriums für den Rahmenvertrag mit zehnjähriger Laufzeit hat der Medizingerätehersteller GS Elektromedizinische Geräte G. Stemple aus Kaufering, auch bekannt unter dem Markennamen Corpuls, gewonnen. Die Firma kümmert sich um die Einrichtung der Telenotarztarbeitsplätze, um die Kommunikationsverbindungen zu den Integrierten Leitstellen und Einsatzkräften und um die technische Einrichtung in den Rettungswagen. Außerdem ist das Familienunternehmen für die Schulung des medizinischen Personals zuständig. Das Unternehmen mit rund 500 Beschäftigten ist in den vergangenen Jahren nach eigenen Angaben konstant um jeweils etwa 25 Prozent gewachsen. Vergangenes Jahr ist ein skandinavischer Finanzinvestor bei Corpuls eingestiegen. Für das Projekt Telenotarzt werden 15 bis 20 neue Stellen geschaffen, so Geschäftsführer Christian Klimmer. Beteiligt ist auch die NoraTec GmbH aus Schwabmünchen – ein IT-Unternehmen, das im Bereich Notrufsysteme tätig ist.
Starten wird der Telenotarzt nach aktuellem Stand Ende des Jahres in Straubing, wo er bereits im Rahmen eines Pilotprojekts erprobt wurde. Schrittweise sollen Regensburg, der Norden der Oberpfalz, Landshut, Passau, Ingolstadt, Rosenheim und Traunstein eingebunden werden. Perspektivisch sollen es drei Standorte werden, die sich dank einheitlicher Technik auch untereinander aushelfen sollen. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagt: „Der Ort und Gebietszuschnitt für den nächsten Standort steht noch nicht fest.“Dieser werde sich aus dem Projektverlauf ergeben. Geplant ist, 800 Rettungswagen auszurüsten.