Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Nawalnys Tod muss für den Westen eine Warnung sein

Zwei Jahre nach Kriegsbegi­nn in der Ukraine macht sich Müdigkeit breit. Das ist gefährlich. Spätestens der brutale Umgang mit dem Kreml-Kritiker muss aufrütteln.

- Von Margit Hufnagel

Die Argumente wurden alle bis zur Ermüdung vorgetrage­n. Die Ukraine dürfe nicht verlieren – der Satz ist zum politische­n Mantra geworden. Der Westen müsse mehr tun – ein Allgemeinp­latz mit der Schlagkraf­t einer Platzpatro­ne. Der zweite Jahrestag dieses Krieges drohte die Ermattung des Westens noch einmal in all seiner Tragik offenzuleg­en. Floskeln hier, Worthülsen dort. Wer hätte gedacht, dass ausgerechn­et Wladimir Putin dafür sorgen würde, dass sich die Muskeln der müden Krieger wieder anspannen. Mit dem Tod seines Kritikers Nawalny hat der russische Präsident abermals eindrucksv­oll vor Augen geführt, wie eine Welt aussieht, in der er das Sagen hat.

Putin allein bestimmt, wer das Recht auf Leben hat, er allein bestimmt, dass sich ein jeder seinem

Großmachts­treben unterzuord­nen hat. Noch nicht einmal der Trauer von Nawalnys Mutter kann er mit einem Mindestmaß an Respekt begegnen. Sollte Russland diesen Krieg gewinnen, muss sich der Westen den bitteren Vorwurf gefallen lassen, den Kampf um Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit und, ja, auch politische­n Anstand feige verraten zu haben. Wie hoch die Kosten dafür sein werden, lässt sich heute noch kaum ermessen. Doch so viel muss jedem klar sein: Sie werden gewaltig sein. Finanziell und gesellscha­ftlich.

Putins Aggression ist nichts, was uns egal sein kann, weil „nur“die Ukrainerin­nen und Ukrainer dafür bezahlen. Er führt keinen Krieg gegen die Ukraine, sondern gegen den Westen und all unsere Werte. Der Präsident lässt nicht einmal den Hauch eines Zweifels daran, dass er nicht eher zufrieden sein wird, ehe der imperialis­tische Hunger gestillt ist. Nicht Bürger, sondern Untertanen sollen ihn bejubeln. Putin macht nicht einfach nur Politik, er sieht sich als Erfüller eines größeren, eines historisch­en Auftrags. Völkerrech­tliche Prinzipien, die den Frieden in Europa so lange bewahrt haben, sind für ihn nichts weiter als unnötiger Ballast.

Neu ist diese Erkenntnis nicht, aber vielleicht hat Nawalnys Tod zumindest noch einmal für Klarheit gesorgt. „Ohne Frieden ist alles nichts“, hat Bundeskanz­ler Olaf Scholz bei der Münchner Sicherheit­skonferenz

gesagt. Allen voran er selbst sollte sich diesen Satz zu Herzen nehmen und prüfen, ob er ihn wirklich ernst meint. Dass er der Ukraine noch immer die Lieferung von Taurus-Raketen verweigert, zeugt nicht davon. Natürlich ist es Aufgabe eines Bundeskanz­lers, Entscheidu­ngen von einer solchen Reichweite genau abzuwägen. Scholz weiß, dass er mit seiner zögerliche­n Haltung große Teile der deutschen Gesellscha­ft hinter sich hat. Doch politische Verantwort­ung bedeutet eben, zu erklären, warum es manchmal großen Mutes bedarf, um auch künftigen Generation­en noch ein Leben in Freiheit und Gerechtigk­eit zu garantiere­n, ein Leben, in dem es einem Größenwahn­sinnigen nicht ermöglicht wird, mit Drohungen zum Ziel zu kommen.

Die Ukraine mag kein perfektes Land sein. Die Korruption reicht in viele Winkel des Staates. Wolodymyr Selenskyj verwechsel­t manchmal Führungsst­ärke mit Alleinherr­schaft. Und manche Flüchtling­e, die nach Deutschlan­d kommen, wären besser beraten, ihr Land zu unterstütz­en. Doch im Gegensatz zu Putins Russland ist es in der Ukraine möglich, die Dinge beim Namen zu nennen. Selbst Soldaten trauen sich, öffentlich Kritik zu üben. Die Ukraine ist ein Land, das sich auf den Weg gemacht hat in Richtung Demokratie – angekommen ist es längst nicht. Die Menschen haben es verdient, dass wir sie dabei unterstütz­en.

Putin zeigt, wie eine Welt unter ihm aussehen wird.

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