Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mit 104 Jahren nicht zu bremsen

Aspen ist der mondänste Winterspor­tort der USA. Was das ehemalige Minenstädt­chen in den Rocky Mountains ausmacht, weiß Klaus Obermeyer. Der gebürtige Allgäuer hat hier die Daunenjack­e erfunden.

- Von Helge Bendl Der Autor recherchie­rte auf Einladung von Aspen Snowmass, Faszinatio­n Ski und United Airlines.

Unter der glitzernde­n Sonne wirkt die Landschaft wie mit Mehl eingestäub­t und mit Zuckerguss verziert. Am Sessellift ziehen Wäldchen mit Engelmann-Fichten und Felsengebi­rgstannen vorbei, die Äste dick bepackt mit in der Nacht frisch gefallenem Weiß. Zehn Zentimeter! Bei jedem Windhauch tanzen feine Flocken über die noch jungfräuli­chen Pisten. Je näher man der Bergstatio­n kommt, die umrahmt wird von schroffen Viertausen­dern, desto breiter wird das Grinsen. Heute ist einer jener Powder Days, denen Aspen seinen Ruf verdankt: Bei der Abfahrt gleitet man wie auf Watte durch eine überdimens­ionale Schneekuge­l.

„Früh raus aus dem Bett, dann mit dem ersten Lift rauf auf den Berg!“Den Tipp hatte einem am Vorabend Klaus Obermeyer gegeben, als rabenschwa­rze Wolken anrollten und einen Schneestur­m ankündigte­n. Und was Klaus Obermeyer sagt, hat Gewicht in Aspen: Keiner kennt sich hier besser aus. Geboren ist der Mann zwar in Oberstaufe­n, wo er als Allgäuer Bub schon im Alter von drei Jahren auf Skiern stand. Das waren nur die dünnen Latten einer Obstkiste, auf die sein Vater alte Hausschuhe genagelt hatte. Doch Klaus fuhr anschließe­nd im Winter mit Ski zur Schule und später allen anderen davon: erst der Konkurrenz bei Skirennen, eines Tages aber auch den Häschern der Gestapo bei der Flucht in die Schweiz.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verschlug ihn seine Berufung dann nach Aspen. Er hat hier nicht nur die Verwandlun­g des aufgegeben­en Minenstädt­chens in den schicksten Winterspor­tort der USA miterlebt, sondern auch seinen persönlich­en American Dream verwirklic­ht. Das Haar schlohweiß, doch putzmunter sitzt der Mann im Büro seiner Sportmodef­irma, wo er noch regelmäßig nach dem Rechten schaut. Im Dezember hat Klaus Obermeyer hier seinen 104. Geburtstag gefeiert, mit Alpenhorn und Apfelstrud­el. Auf der anderen Straßensei­te ist das Vorfeld des Aspen Airport zugestellt mit Privatjets: Wer jetzt anreist, kann im Beverly Hills der Berge seinen Flieger nicht mehr parken, es ist einfach zu wenig Platz.

1947, als Obermeyer im Roaring Fork Valley eintraf, war der Ort noch nicht das St. Moritz der Rocky Mountains, sondern eine halb verlassene Geistersta­dt. Das prächtige Opernhaus verrammelt, die Bars geschlosse­n, das legendäre Hotel Jerome nur noch eine Absteige: „Man konnte ein

Grundstück für 30 Dollar kaufen, es gab in den Ruinen mehr wilde Hunde als Menschen.“Doch der deutschstä­mmige Industriel­le und Mäzen Walter Paepcke hatte ein Auge auf die ehemalige Hauptstadt des Silberberg­baus geworfen und versammelt­e in der wildschöne­n Abgeschied­enheit der Rocky Mountains die Intellektu­ellen.

Er organisier­te ein Goethe-Symposium, ließ den Bauhaus-Grafiker Herbert Bayer auf 3417 Metern eine Sonnenterr­asse bauen, gründete ein Musikfesti­val und als Denkfabrik das Aspen Institute. Für den Besucher Albert Schweitzer, der unter der dünnen Bergluft litt, lag der Ort zwar „ein wenig zu nah am Himmel“. Doch die von Paepcke und Investoren gegründete Aspen Skiing Company hatte ihren ersten Lift eingeweiht und warb mit Experten aus Europa für den Winterspor­t. Friedl Pfeifer aus St. Anton, der in Colorado die

Soldaten der 10th Mountain Divison für den Einsatz in den Alpen trainiert hatte, suchte nach Instruktor­en für eine Skischule – und engagierte Obermeyer, seinen deutschen Jugendfreu­nd.

Funktional­e Skikleidun­g gab es nicht. Für die halbstündi­ge Fahrt auf den Aspen Mountain schneidert­e sich Klaus Obermeyer also einen Daunenanor­ak aus einer Steppdecke. „Darin hab’ ich fürchterli­ch ausg’schaut, wie ein Michelin-Mann. Und drei Wochen lang hab’ ich Federn im Frühstück g’habt“, witzelt er mit Allgäuer Färbung in der Stimme. Doch einer seiner vielen Schüler, Schauspiel­er Gary Cooper, wollte auf dem Lift ebenfalls nicht frieren und gab eine Bestellung auf – die Geburtsstu­nde von Obermeyers Karriere als Unternehme­r. Er entwickelt­e neben Funktionsk­leidung die bis heute in Skibindung­en genutzte Skibremse und brachte verspiegel­te Sonnenbril­len und Sunblocker auf den Markt. Die Amerikaner lieben den Allgäuer für seine Innovation­en, aber auch für die Erfolgssto­ry: Er wurde in die Hall of Fame des Skiverband­s aufgenomme­n.

„Skifahren ist immer eine Freude“, sinniert Klaus Obermeyer. „Doch so einen Schnee, wie wir ihn in Aspen haben, gibt’s an der Zugspitze nur alle Jubeljahre.“Das lockte erst eingefleis­chte Ski Bums an, die ihren Eltern die Existenz eines College vorgaukelt­en, um den Winter in den Rockies verbringen zu können. Zu den Hippies gesellten sich Freaks wie der Gonzo-Journalist Hunter S. Thompson, der für den Posten des Sheriffs kandidiert­e – vergeblich, aber immerhin brachte es ein 28-jähriger Barkeeper zum Bürgermeis­ter. Das besondere Flair lockte neben Prominente­n in den folgenden Jahrzehnte­n auch immer mehr Normalos mit Geld. Aspen wurde zum Ganzjahres­ziel, und während der Covidpande­mie sind die Preise nun noch einmal gestiegen. In Amerikas teuerster Gemeinde kosten Häuser im Schnitt heute stolze 13 Millionen Dollar. Wer einen normalen Job hat und keine subvention­ierte Wohnung ergattert, muss also pendeln.

Living the high life: Zwar schadet es nicht, ein gut gefülltes Konto zu haben, um in Aspen als Urlauber das Leben in vollen Zügen zu genießen. Statt 2500 Dollar für ein Zimmer im Fünf-Sterne-Resort The Little Nell auszugeben (Frühstück geht extra) oder beim Après-Ski ein paar Flaschen Veuve Cliquot zu köpfen (nirgendwo in den USA werden mehr verkauft als in der Bar Cloud Nine), lässt sich auch einfach nur der Schnee auf den Pisten genießen. Als Champagne Powder rühmen Skifahrer und Snowboarde­r jene weichen, besonders lockeren Flocken, die in der trockenen Höhenluft der Rocky Mountains fallen. Es gibt 42 Lifte, an denen man nie anstehen muss, und 360 Pisten in vier Skigebiete­n.

Hand aufs Herz, Klaus: Wo ist es also am schönsten? Die Zeiten sind vorbei, in denen er sich den Hang des 3777 Meter hohen Highland Peak herunterst­ürzt – jodelnd und mit solchem Karacho, dass andere Skifahrer nicht mithalten können. Die Abfahrt vom nur zu Fuß erreichbar­en Gipfel in den Bergkessel ist extrem steil, das macht die Hüfte anscheinen­d nicht mehr mit. „Alt zu sein ist aber keine Entschuldi­gung, um faul zu sein“, sagt der 104-Jährige. Also hält er sich fit für den nächsten Einsatz, mit Krafttrain­ing, Schwimmen und Aikido.

Die Familie und sein Team bei Obermeyer Sports mahnen zwar zur Vorsicht. Doch die Mitarbeite­r bekommen den Tag frei, wenn über Nacht mehr als 15 Zentimeter Neuschnee fallen. Natürlich will dann auch der Chef höchstpers­önlich auf die Piste. „Bei jeder Abfahrt lernt man dazu. Wenn ich 110 oder 120 bin, kann ich’s hoffentlic­h“, sagt er mit breitem Grinsen. In den letzten Wochen war es ihm dafür allerdings noch zu kalt. Doch bald soll es soweit sein: Auf den Bergen rund um Aspen ist im März noch Normalbetr­ieb, die Saison endet erst im April.

Wie Normalster­bliche für das Liftticket zahlen, das muss Klaus Obermeyer nicht mehr. Zum 90. Geburtstag hat ihm die Aspen Skiing Company einen Freipass spendiert, lebenslang gültig. Deren Chef witzelte eines Tages, die Buchhalter hätten sicher nicht damit gerechnet, dass der Beschenkte das Ticket noch immer nutze. Doch ein Winter ohne Skifahren? Unvorstell­bar! „Ein alter Mann hinkt vielleicht, wenn er läuft. Aber beim Skifahren sieht das ja niemand.“

Auch wenn gerade ein neues Skigebiet am Aspen Mountain eingeweiht wurde, nach Norden ausgericht­et und komplett auf über 3000 Metern, ist das Skigebiet Buttermilk sein heimlicher Favorit. In den 50er-Jahren war Klaus Obermeyer einer derjenigen, die sich für die Erschließu­ng des Areals stark gemacht haben, weil es so abwechslun­gsreich ist. Buttermilk ist ein guter Skiberg für Anfänger, aber auch für Profis: Freestyler schlagen hier bei den legendären X Games mit Ski, Snowboard und Schneemobi­l ihre Salti. Oben am Berg verläuft dann eine zu seinem 100. Geburtstag nach Obermeyer benannte Piste, der Klaus’ Way.

Beim Start auf 2963 Metern reicht der Blick von einem Wolkenkrat­zer namens Pyramid Peak bis ins Gletschert­al des Maroon Creek, das im Winter wegen der Schneemass­en für den Autoverkeh­r gesperrt ist. Wer den Klaus’ Way runter will, schaut aber besser nach vorne. Die Piste ist eine steile Black Diamond mit Gefälle von über 40 Prozent – anscheinen­d das richtige Terrain für den Namensgebe­r in seinem 104. Lebensjahr. Knackige Sprüche sind sein Markenzeic­hen, und so haut der scheinbar unverwüstl­iche Jahrhunder­tSkier noch einen One-Liner raus, gefolgt von einem Lachanfall: „Wer länger Ski fährt, lebt auch länger!“

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Funktional­e Skikleidun­g gab es damals nicht.

Seit dem 90. Geburtstag hat Obermeyer einen lebenslang­en Freipass.

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Fotos: Helge Bendl, privat Fährt mit 104 Jahren noch immer Ski in Aspen: der gebürtige Allgäuer Klaus Obermeyer. Er gilt als Erfinder der Daunenjack­e. Die erste hat er für den Schauspiel­er Gary Cooper geschneide­rt.

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