Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Eine musikalisc­he Bitte um Frieden

Der Mozartchor Augsburg unter der Leitung von Daniel Böhm gedenkt mit Karl Jenkins’ „Mass for Peace“der Augsburger Bombennach­t vor 80 Jahren ebenso wie neuerer Konflikte.

- Von Manfred Engelhardt

In mehreren Wellen wurde Augsburg am 25. Februar 1944 von Luftangrif­fen betroffen, gipfelnd in der Bombennach­t zum 26. Februar, die eine beispiello­se Verheerung anrichtete, die schlimmste in der Fuggerstad­t während des von den Nazis entfesselt­en Zweiten Weltkriegs. Es starben 730 Menschen, ein Viertel aller Wohnungen wurde zerstört und die historisch­e Innenstadt total verwüstet, 80.000 Menschen flohen. Der Augsburger Mozartchor, zusammen mit der Liedertafe­l Babenhause­n, der Schwäbisch­en Chorgemein­schaft, dem Kinder- und Jugendchor Augustana sowie dem Internatio­nalen Mozartorch­ester, gedachte mit einem Konzert dieser Katastroph­e, das das Unheil der aktuellen Weltlage – Ukraine, Gaza – einschloss. Die Aufführung von „The Armed Man. A Mass for Peace“des walisische­n Komponiste­n Karl Jenkins unter der Leitung von Daniel Böhm wurde in der vollen Kirche ev. St. Ulrich zu einem bewegenden Ereignis.

Eingebunde­n in das ungewöhnli­che Ausdruckss­pektrum der im

Jahr 2000 entstanden­en, mittlerwei­le zum Welterfolg gewordenen Friedensme­sse mit Kernelemen­ten der christlich­en Liturgie waren in der „Augsburger Bearbeitun­g“(Daniel Böhm, Claus Lamey) Klänge, musikalisc­he Gebete der in der Friedensst­adt ansässigen weiteren Religionen und Kulturen Judentum und Islam. Der „Call to Prayers“, der Aufruf zum Gebet des Muezzins (Imam Abdulmutal­ip Gül), die Eindringli­chkeit des im jüdischen Leben wichtigen Gebets „Kaddish“(Kantor Yoed Sorek, inniges Falsett, feine Orgellinie­n) erweiterte­n die Anliegen der Menschen zum Frieden. Das melancholi­sche jiddische „Vu iz dos gesele“(„Wo ist das Gässchen geblieben“) aus der Ukraine verband aktuelle und vergangene Gefühle.

Diese musikalisc­h-religiösen Gedanken und Szenen waren punktgenau platziert in den Ablauf der teils apokalypti­schen, teils flehentlic­h besinnlich­en und düsteren großen Fahrt des Musikbogen­s, den der Komponist Jenkins ausbreitet. Der Aufmarsch mit dem „Armed Man“, dem bewaffnete­n Mann, vom Rückraum der Kirche nach vorn, mit der erst ferne leisen, aber immer bedrohlich­er sich steigernde­n Kriegstrom­mel, beschwört die roboterhaf­te, scheinbare Unerbittli­chkeit der menschlich­en Kriegslust. Er mündet in den ersten Teil der katholisch­en Liturgie, „Kyrie“, getragen von düster wühlenden Bassschlie­ren, den um „Erbarmen“flehenden, oft fugenartig vielstimmi­gen traditione­llen Chorpassag­en des „Christe eleison“. Ein Psalm-Text „Hilf mir gegen die Blutgierig­en“ist klösterlic­h gregoriani­sch gehalten, bis ein messerscha­rfer Orchesters­chlag in die stille Szene fährt.

„Eine feste Burg ist unser Gott“ beleuchtet als Augsburger Fassungste­il mit Gesang und Bratsche den schlicht frommen Anspruch des berühmten Luther-Liedes, das einst schon in den Geruch kriegerisc­her Machtgelüs­te gekommen war. Das anschließe­nde „Sanctus“wird statt jubelnder Engelschör­e durch blitzende Trompeten-Pointen und treibende Marschmust­er verdunkelt. Die „Hymn before Action“(Gebet vor der Schlacht) zu Rudyard Kiplings Text gehört zu den subtilsten musikalisc­h-harmonisch­en Eingebunge­n von Jenkins, in denen Todesangst und Kampfesmut mit überrasche­nden Farben und Gesten aufklingen. Brechts von Daniel Böhm rezitierte­s „Die Vaterstadt, wie find ich sie“bringt ehrliche Erschütter­ung.

Die von Karl Jenkins plakativ und besonders auch im Orchester brillant lapidar geformten Kriegsszen­erien beeindruck­en, wie das expressive Tableau des atomaren Hiroshima-Schreckens im japanische­n Text „Angry Flames“. Die hoffnungsv­ollen Tröstungen treten am Ende ein: Sopranisti­n Isabell Münsch singt betörend im „Benedictus“zum schwebende­n Ton der Cellistin Ayse Deniz Birdalin. Wie in einem endlos repetieren­den Glockengel­äute bringen zum finalen „Better ist Peace“Hoffnung. Die plastische­n Chöre, das ausdruckss­tark modelliere­nde Mozartorch­ester, alle Solisten und Beteiligte­n wurden vom Publikum gefeiert.

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Sedlmeir Foto: Robin Der Mozartchor Augsburg bei der Aufführung von Karl Jenkins’ „The Armed Man“in evangelisc­h St. Ulrich.

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