Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wenn Kirchen nicht mehr Kirchen sind
Pfarr- und Gotteshäuser werden zukünftig vermehrt auch weltlich genutzt werden. Der Gempfinger Architekt Rainer Wilhelm hat aus St. Lukas ein Ferienhaus für 28 Personen gemacht.
Donau-Ries Früher einmal hat der liebe Gott dort gewohnt, jetzt ist weltliches Leben eingezogen: Büros und Wohnungen, Museen und Galerien, Dorfläden und sogar eine Bar haben sich unter gotischem Netzgewölbe niedergelassen, in sakralem Betonbrutalismus oder in einer weiß gekalkten Apsis. Noch sind es vereinzelte Beispiele dieser Art, über ganz Deutschland verteilt, doch hat längst eine Entwicklung begonnen, die sich fortsetzen wird. Und diese Entwicklung, so Bernhard Löhlein, Pressesprecher im Bistum Eichstätt, „schwappt spürbar nach Bayern“.
Denn die beiden großen Kirchen in unserem Land geben sich keiner Illusion hin: Immer mehr Kirchenaustritte – das sind nicht nur statistische Zahlen. Das sind auch nicht einfach nur weniger Schäfchen in der Seelsorge. Das sind vor allem auch leerer werdende Gotteshäuser und andere Gebäude. Dieser Trend zwingt zum Handeln. Für unbewohnte Pfarrhöfe, verwaiste Gemeindezentren und kleinere Kirchen stehen Kosten und Nutzen nicht mehr in Relation. Schließung, Verfall und Abriss sind eine denkbare Variante, die das Schicksal dieser Gebäude besiegeln könnte, Verkauf und Umwidmung eine andere.
In der gemeinsamen Schrift „Kirchliche Baudenkmale – Kulturelles Erbe auf einem steinigen Weg in die Zukunft“legen die evangelische Landeskirche und die katholischen Bistümer Deutschlands dar, dass sie bis 2060 rund
40.000 Immobilien verkaufen. 80 Prozent stehen unter Denkmalschutz. Kirchen und Käufer suchen nach Lösungen mit den Denkmalämtern und finden sie häufig auch.
Im Bistum Augsburg wurden vor über zehn Jahren schon zwei Gotteshäuser verweltlicht, allerdings gehörten sie – wie Pressesprecher Nicolas Schnall erklärt – seit der Säkularisation ohnehin dem Staat: die Kapuzinerkirche in Dillingen (heute Vortragssaal der Lehrer-Akademie) und die Hofkirche in Günzburg (Konzert- und Ausstellungssaal). Abrisse sind derzeit nicht beschlossen, sind aber laut Schnall nicht auszuschließen. Bei profaner Verwendung gehe es dem Bistum um „würdige Nachnutzung“.
Die Diözese Eichstätt, die in den nördlichen Donau-Ries-Kreis ragt, entwickelt bis 2025 ein Pastoralkonzept mit Immobilienplanung, in dem es auch um die Zukunft von
Kirchengebäuden geht. Wie Pressesprecher Löhlein sagt, ist bis dahin weder mit Verkauf noch mit Profanierung zu rechnen. Das könne dann aber kommen.
Gedankenspiele gibt es bereits um die kaum mehr genutzte Heilig-Geist-Kirche in Bäumenheim – erbaut in den 1950er-Jahren. Hier stellt sich die Frage: Verkauf, Abriss oder Sanierung? „Es läuft noch nichts konkret“, sagt der evangelische Dekan Frank Wagner, „aber das Gebäude ist sehr heruntergekommen.“Wagner vermutet: „In den nächsten sechs Jahren wird es eine Entscheidung geben.“
In Gempfing bei Rain lebt und arbeitet Architekt Rainer Wilhelm – Eigentümer einer entweihten Kirche. Er hat das denkmalgeschützte, ehemalige Gotteshaus im Bistum Regensburg erworben und einer neuen, weltlichen Nutzung zugeführt. Dabei hat er dezente Möglichkeiten gefunden, die den
Denkmalschutz respektieren. Sie geben dem einstigen Sakralraum dennoch einen augenfällig veränderten Charakter und erzeugen ein Spannungsfeld, das polarisieren kann.
Es ist die frühere evangelische Kirche St. Lukas in Kelheim. Dort steht nun die Kirchenorgel in Sichtweite eines Doppelbetts, der Altar prangt zwischen bunten Kirchenfenstern und kontrastiert mit der Sofalandschaft vor der Wohnwand mit Fernseher und Stereoanlage. Unter dem spitzen Zeltdach komplettieren Taufbecken, Küche, Ambo, Kirchenbänke an den Wänden, purpurfarbene Essstühle und Barhocker die Ausstattung. St. Lukas ist heute ein Ferienhaus – für jedermann zu buchen.
In den 1960er-Jahren hatte der namhafte Architekt Olaf Andreas Gulbransson das evangelische Gotteshaus errichtet. 54 Jahre lang wurden dort Gottesdienste gefeiert, dann kam 2015 die Entweihung – mangels Gläubiger. Viereinhalb Jahre stand das Gebäude zum Verkauf – zusammen mit dem Pfarrhaus 500 Quadratmeter Fläche. Dann erwarb es Rainer Wilhelm.
Für den Architekten ist das Gebäude ein wichtiges Kulturdenkmal. „Es ist ein Zeitdokument für die Bauphase der 60er-Jahre und es ist eine Spitzenleistung an Architektur“, sagt er. Den Widerspruch zwischen nach wie vor sakraler Atmosphäre und weltlicher Nutzung nimmt er wahr, empfindet ihn aber als nicht störend. Eine reizvolle Reibung. Lange hat er im Familienkreis debattiert, ob man das Wagnis Kirchenkauf eingehen wolle. Letztlich konnten die Wilhelms der Herausforderung nicht widerstehen. An baulicher Substanz wurde nichts weggenommen und nichts hinzugefügt. Lediglich der Boden wurde abgeschliffen. Die Elektrik war erneuerungsbedürftig. Ansonsten ging es lediglich um Mobiliar: Kirchenbänke kamen raus, moderne Wohnausstattung rein.
Dass es ein Ferienhaus werden würde, war eine überraschende Entwicklung, die sich erst mit dem Erfolgskonzept eines Mieters ergab. Andere Ideen – VHS-Saal, Reha-Praxis, Bestattungsinstitut, Friseursalon – ließen sich nicht umsetzen. „Ich bin zufrieden, wie es ist“, sagt Rainer Wilhelm, „denn es ist weiterhin ein offenes Haus.“Große Gruppen kommen dorthin, Tagungen finden statt, Feiern, Firmenfeste. „Es war eine Riesenaufgabe, dieses besondere Gebäude in eine neue Zeit zu führen.“