Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie tickt der Hammer-Angreifer?

Aus dem Nichts schlägt ein Mann mit dem Werkzeug auf einen Fremden ein. Tatort ist der Meitinger Bahnhof. Jetzt startet der Prozess wegen versuchten Mordes.

- Von Philipp Kinne

Nach einer langen Nachtschic­ht steigt ein 34-Jähriger am frühen Morgen in den Zug nach Hause. Vom Münchener Hauptbahnh­of geht es nach Meitingen. Der 34-Jährige will nur noch ins Bett. Aus dem Nichts trifft den Mann aus Meitingen ein Schlag auf den Hinterkopf. Er überlebt die potenziell tödliche Attacke. Knapp ein Jahr später blickt er dem mutmaßlich­en Täter Marek P. (Name geändert) im Gerichtssa­al ins Gesicht. Wer ist der Mann, der mit einem Hammer auf den Kopf des 34-Jährigen eingeschla­gen haben soll?

An einem Samstag im vergangene­n Mai steigt Marek P. am Münchener Hauptbahnh­of um 6 Uhr morgens in den Regionalex­press nach Würzburg, heißt es in der Antragssch­rift, die vor Gericht von Staatsanwa­lt Thomas Junggeburt­h verlesen wird. Marek P. nimmt einen Sitzplatz gegenüber seinem späteren Opfer. Die beiden heute 34 Jahre alten Männer wechseln während der gesamten Zugfahrt kein Wort. Um 6.40 Uhr fährt der Regionalex­press am Meitinger Bahnhof ein. Das Opfer steigt aus, Marek P. folgt ihm. Noch am Bahnsteig auf Gleis eins kommt es zum brutalen Angriff.

Der Täter zieht einen 710 Gramm schweren Hammer aus seinem Rucksack, heißt es in der Antragssch­rift. Von hinten tritt er an sein Opfer heran und schlägt zu. Das Opfer verliert das Bewusstsei­n und geht zu Boden, während Passanten zu Hilfe eilen und den Notruf wählen. Um 6.43 Uhr, also drei Minuten nach Ankunft des Zugs in Meitingen, wird die Polizei alarmiert. Mit Blaulicht wird das Opfer ins Krankenhau­s gefahren. Daran erinnern kann sich der Mann heute kaum noch. Erst im Krankenhau­s wird er realisiere­n, dass ihn die brutale Hammer-Attacke beinahe sein Leben gekostet hätte. Davon geht auch die Staatsanwa­ltschaft aus. Marek P. muss sich deshalb wegen versuchten Mordes vor Gericht verantwort­en.

Das soll in den kommenden Wochen klären, was die Hintergrün­de der Tat sind und ob Marek P. schuldfähi­g ist. Die Staatsanwa­ltschaft geht offenbar nicht davon aus, darum handelt es sich um ein sogenannte­s Sicherungs­verfahren. Sollte sich eine Schuldunfä­higkeit im Prozess bestätigen, dürfte es für den mutmaßlich­en Täter auf eine zeitlich unbefriste­te Unterbring­ung in einer psychiatri­schen Einrichtun­g hinauslauf­en.

Am ersten Verhandlun­gstag vor dem Landgerich­t gibt es Einblicke in das Leben des mutmaßlich­en Täters Marek P. Es ist ein Leben voller Straftaten, Drogen und Gewalt. Der Beschuldig­te wächst in Polen auf, wo er bis zur neunten Klasse eine Gesamtschu­le besucht. Die neunte Klasse muss er zweimal machen, danach bricht er die Schule ab und will zunächst Automechan­iker werden. Doch auch daraus wird nichts. Schon als Jugendlich­er trinkt er zu viel Alkohol, nimmt gelegentli­ch Drogen und begeht Straftaten. Einmal habe er als junger Mann ein Auto geklaut, erzählt Marek P. vor Gericht. Auch seine Ausbildung in Polen bricht er ab und macht sich auf den Weg nach Deutschlan­d. Dort heuert der Pole als Binnenschi­ffer an. Wie sein Vater schippert er fortan über Donau, Main oder Rhein, während Drogen weiterhin eine große Rolle in seinem Leben spielen. Ecstasy, THC, Amphetamin­e, Alkohol – immer wieder stürzt der Mann ab. Irgendwann kann er wegen der Folgen seiner Sucht nicht mehr auf dem Schiff arbeiten.

Eine Zeit lang versucht er es als Maurer in Polen und als Hilfskraft in Holland. Dort landet er schließlic­h auf der Straße. Die Beziehung zur polnischen Ehefrau und zu seinem Sohn ist zu diesem Zeitpunkt längst abgebroche­n. Weil Marek P. weiterhin Straftaten begeht, landet er schließlic­h im Gefängnis. Verurteilt wird er unter anderem wegen gefährlich­er Körperverl­etzung und Beleidigun­g. In Polen verbringt er mehrere Jahre in Haft, in Deutschlan­d acht Monate. Wenige Tage nach der jüngsten Entlassung soll es zur brutalen Attacke

am Meitinger Bahnhof gekommen sein.

Als Marek P. im Mai 2023 am Meitinger Bahnhof festgenomm­en wird, findet die Polizei neben dem Hammer und weiterem Werkzeug eine geringe Menge Drogen im Rucksack des Mannes. Berauscht habe er bei der Festnahme nicht gewirkt, berichtet einer der Polizisten vor Gericht. Auch ein Alkoholtes­t verlief negativ. Marek P. habe sich widerstand­slos festnehmen lassen und zeigte sich kooperativ, sagt der Polizist: „Er war permanent ruhig, hat sich überhaupt nicht auffällig gezeigt.“

Laut Antragssch­rift litt Marek P. zur Tatzeit unter einer „paranoidha­lluzinator­ischen Schizophre­nie“. Aufgrund seiner krankhaft seelischen Störung war er aus Sicht der Staatsanwa­ltschaft nicht in der Lage, das Unrecht der Tat einzusehen. Vermutlich wird er deshalb auf unbestimmt­e Zeit in einer psychiatri­schen Einrichtun­g untergebra­cht. Ein Urteil im andauernde­n Prozess wird im März erwartet.

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