Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Leerstände und kein Grund zur Freude: Wie steht es um Wertingen?
In einem offenen Brief an den Bürgermeister schreibt ein Wertinger vom „Niedergang“der Stadt. Er nennt dabei einige Kritikpunkte. Was Willy Lehmeier dazu sagt.
Es sind scharfe Worte, die Herbert Königbauer aus Wertingen in seinem offenen Brief an Bürgermeister Willy Lehmeier findet: „Es liegt ein Gefühl des Niedergangs über der Stadt“, schreibt er. „Die Bürger von Wertingen haben nichts zu lachen, sie haben keinen Grund zu feiern, sie haben keinen Anlass, mit Freude durch das ,Städtle’ zu gehen.“Es sei nichts mehr Liebenswertes an dem schmucken Schwabenstädtchen. Den Brief hat Königbauer – seit 1980 Rechtsanwalt in Wertingen, unter anderem mit den Schwerpunkten Baurecht, Auto und Verkehr – unserer Redaktion zukommen lassen. Wir haben ihn zum Anlass genommen, um mit dem Bürgermeister über die kritisierten Punkte zu sprechen.
Mit am Tisch im Bürgermeisterbüro sitzen neben Willy Lehmeier auch dessen Sekretärin Verena Beese und Wirtschaftsförderin Alexandra Killisperger. Konkret wird es gleich um Leerstände gehen, um geschlossene Gasthäuser, fehlende Fröhlichkeit und die Verkehrsregelung am Marktplatz. Vorab macht Lehmeier klar: Er könne nachvollziehen, dass sich Menschen vom steten Wandel in einer Schnelligkeit, wie er heute überall auf dem Planeten vonstattengehe, überfordert fühlen. „Aber würde sich nie etwas ändern, dann würden die Langenmantel und die Pappenheimer noch immer hier im Schloss sitzen“, ergänzt er in Bezug auf die Familien, die früher dort herrschten, wo heute das Rathaus untergebracht ist. Aus seiner Sicht bleibe nur, das Beste aus der Veränderung zu machen.
Eine dieser Veränderungen betrifft das Kundenverhalten. Vieles kaufen die Menschen nicht mehr vor Ort, sondern im Internet – was mitunter in vielen Städten für Leerstände sorgt. In Herbert Königbauers offenem Brief nimmt die Kritik an leeren Geschäften und geschlossenen Gastrobetrieben in Wertingen viel Raum ein. Doch eben weil weniger im Laden und mehr online eingekauft wird, sei „in modernen Innenstädten“Verena Beese zufolge noch etwas anderes wichtig: nämlich „konsumfreier Raum“. Gemeint sind damit Bereiche, in denen Menschen nichts kaufen müssen, sich aber dennoch mit Qualität aufhalten
können. Genau solch einen Begegnungsort möchte Wirtschaftsförderin Alexandra Killisperger in der neuen Bücherei schaffen, die am Marktplatz entstehen soll. Einziehen soll sie in das Gebäude, in dem bis Januar noch der Drogeriemarkt Müller untergebracht war. Killisperger erzählt mit Begeisterung von dem Projekt – Herbert Königbauer hingegen spricht von einem „Armutszeugnis besonderer Art“und einer „traurigen Notlösung“. Gegenvorschläge nennt er nicht.
Das möchte die Wirtschaftsförderin nicht auf sich sitzen lassen. Die Idee sei eben „nicht nur“eine Bücherei, sondern der genannte Ort, an dem sich die Wertinger
aufhalten, treffen und unterhalten können. Außerdem soll es hier einmal Veranstaltungen und Lesungen geben. Bürgermeister Lehmeier ergänzt, dass sich gerade auch die vielen Schulen schon lange eine solche Bibliothek gewünscht hätten. Ein Schulstandort – das sei Wertingen nämlich auch. Kindergärten und Bildungseinrichtungen seien voll, man komme aus dem Erweitern und Bauen gar nicht mehr heraus.
Dass in den ehemaligen Drogeriemarkt eine Bücherei einziehen soll, war nicht die erste Idee. Zuvor habe die Stadt Gespräche mit dem Einzelhandel geführt – ohne Erfolg. Viele Geschäftsinhaber wollten heute Größe, viele Parkplätze
und ebenerdige Verkaufsflächen. All das kann das Gebäude in der Hauptstraße nicht bieten. Daneben hätten andere Drogerieketten abgelehnt, weil Müller noch immer in Wertingen ist, nämlich in der Industriestraße. Da sei die Konkurrenz zu groß.
„Wenn in Wertingen ein Laden schließt, dann nehmen wir am nächsten Tag Kontakt auf und versuchen, eine Lösung zu finden“, sagt Willy Lehmeier. Für das geschlossene Café Madlon zum Beispiel ist die Nachfolge klar: Familie Richter, die bereits die Cafés Contur in Buttenwiesen und Meitingen betreibt, startet aller Voraussicht nach Ende des Jahres mit ihrer neuen Filiale. Sanierungsarbeiten
haben zu Verzögerungen im Zeitplan geführt, wie Verena Beese erklärt, eigentlich sollte das Café schon früher eröffnen. „Wir versuchen, zu lenken und zu leiten“, sagt der Bürgermeister, doch alles habe man als Kommune nicht in der Hand. Die Geschäfts- und Gastroinhaber entscheiden eigenständig. Und auch die Bürgerinnen und Bürger spielen eine Rolle. Dass Geschäfte früher schließen, sei ganz klar, wenn abends nichts mehr los sei, finden die drei Vertreter der Stadt. Damit beziehen sie sich auf Königbauers Kritik, dass Hauptstraße und Marktplatz nach 18 Uhr wie ausgestorben wirkten. Lehmeier findet außerdem schade, dass oft nur gesehen werde, was schließt – und nicht, was neu eröffnet. Er nennt als Beispiel den noch jungen Bau am Marktplatz 7, in dem ein Restaurant mit Bar und ein Friseursalon untergebracht sind.
Neben Leerständen bemängelt Herbert Königbauer aber auch, dass im gerade zu Ende gegangenen Fasching „Fröhlichkeit und Ausgelassenheit nicht anzutreffen waren“. Dabei habe die Kommune erstmals wieder einen Kinder-Faschingsumzug mit Faschingstreiben organisiert, was gut angenommen worden sei und nächstes Jahr wieder stattfinden soll, wie Verena Beese ankündigt. Sie ist für die Koordinierung städtischer Veranstaltungen zuständig – wovon es in diesem Jubiläumsjahr zu 750 Jahren Stadt Wertingen so einige gibt. Dazu gehören Volksfest, Frühlings- und Herbstmarkt, die Wertinger Nacht und einige mehr. Beese zufolge staunten andere Städte gleicher Größenordnung, wenn sie hörten, dass Wertingen sein Stadtfest nicht nur an einem, sondern an drei Tagen veranstaltet.
Die Kommune stecke „Energie und Geld in Maßnahmen, die nun wirklich unwichtig sind“, findet Herbert Königbauer außerdem, wenn es um die Verkehrsregelung am Marktplatz geht. An dieser Stelle betont Willy Lehmeier, dass sich dazu ein Arbeitskreis intensiv beraten und „der Stadtrat als gewähltes Gremium“eine Entscheidung getroffen habe.
Für die Verkehrsberuhigung im Innenstadtbereich wird es zunächst einmal eine Probephase geben. Sollte die Stadt damit keine guten Erfahrungen machen, sei „nichts verbaut, die Schilder können dann wieder abgeschraubt werden“.
Alles in allem ist es eine Stimmung des Niedergangs, die Herbert Königbauer skizziert. Und er schreibt: Zu Zeiten des Vorgänger-Bürgermeisters Dietrich Riesebeck sei das noch anders gewesen. „Er hat viel Aktivität und Leben in den Ort gebracht, er hat den Ort aufgebaut, es war eine ungeheure Aufbruchstimmung zu spüren“, so der Wortlaut im offenen Brief. Dazu möchte der jetzige Bürgermeister, der bereits seit 2002 im Amt ist, nicht viel sagen. Sein Vorgänger habe gute Arbeit geleistet – doch aus seiner Sicht mache auch er selbst keine schlechte.