Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Grüne vom und fürs Land

Als neue Co-Vorsitzend­e in Bayern will Gisela Sengl dafür sorgen, dass die Partei auch bei der Landbevölk­erung wieder im Ansehen steigt. Wie sie das aktuelle politische Klima einschätzt und welche Strategie sie verfolgt.

- Von Uli Bachmeier

Recht viel ländlicher geht nicht: ein hübsches Dorf, ein kleines Kirchlein hinter einer alten Friedhofsm­auer und drumherum viel grüne Hügellands­chaft, sogar jetzt im Februar. In den 70er-Jahren gab es hier in Sondermoni­ng, einem 800-Einwohner-Ort im Chiemgau, noch rund zwei Dutzend Bauernhöfe. Überlebt haben den Strukturwa­ndel nur zwei davon – als Biobetrieb­e. Einer der beiden gehört Hans Dandl und seiner Frau Gisela Sengl. Dandl ist hier auf dem Hof geboren und hat ihn von seinen Eltern übernommen. Sengl kam fernab der Landwirtsc­haft in München zur Welt, hat sich aber schon im Alter von 20 Jahren bewusst für das Leben auf dem Land entschiede­n. Und sie hatte damit Erfolg – nicht nur privat in zweiter Ehe mit Hans Dandl, sondern auch beruflich: Der seit bald 30 Jahren existieren­de Bioladen auf dem Hof, direkt an der Hauptstraß­e gegenüber der kleinen Kirche, ist ihr Werk. Jetzt hat Sengl – 63 Jahre alt, drei Kinder, zwei Enkel – ein anderes, ziemlich ambitionie­rtes Projekt vor sich: Als neue Co-Vorsitzend­e der Grünen in Bayern will sie dafür sorgen, dass die Grünen auch bei der Landbevölk­erung wieder im Ansehen steigen.

Tatsächlic­h haben sich Wählerinne­n und Wähler in den ländlichen Regionen Bayerns in großer Zahl von den Grünen abgewandt. Während Katharina Schulze, Ludwig Hartmann und Co. bei der Landtagswa­hl im Oktober 2023 ihre Stimmkreis­e in München mit klarem Vorsprung gewinnen konnten, schrammten ihre Kolleginne­n und Kollegen in einigen Landkreise­n sogar nur hart über der FünfProzen­t-Grenze entlang. Als wichtigste Ursache für die Stimmenver­luste gilt das vermurkste Heizungsge­setz der Ampelregie­rung, das vor allem von Eigenheimb­esitzern als Zumutung empfunden wurde. Geschürt wurde die AntiGrün-Stimmung aber auch von CSU und Freien Wählern. Sie drückten den Grünen mit einigem Erfolg das Image einer reinen Stadtparte­i auf – als wären da nur Latte macchiato trinkende Jungspunde am Werk, die noch nie eine Mistgabel in der Hand hatten.

Die Landtagswa­hl war auch für Sengl ein ziemlicher Reinfall. Sie gehörte dem Landtag von 2013 bis 2023 an und hatte sich als agrarpolit­ische

Sprecherin und stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende viel Respekt verschafft. Dann aber hatte sie, weil sie sich als Abgeordnet­e daheim bestenfall­s noch nebenbei um Gemüse und Kartoffeln kümmern konnte, auf dem Wahlzettel auf die Berufsbeze­ichnung „Biobäuerin“verzichtet. Prompt fehlten ihr in Oberbayern die nötigen Zweitstimm­en, um gegen die

Münchner Übermacht bei den Grünen zu bestehen.

Aus ihrer Niederlage bei der Wahl machte sie dann allerdings einen persönlich­en Sieg in der Partei. Sengl gab nicht klein bei und trat Ende Januar bei der Landesdele­giertenkon­ferenz in Lindau gegen die beiden amtierende­n Landesvors­itzenden an. Gegen die schwäbisch­e Landtagsab­geordnete Eva Lettenbaue­r scheiterte sie in der ersten Kampfabsti­mmung knapp. Gegen Thomas von Sarnowski aber setzte sie sich mit wenigen Stimmen Vorsprung durch. Ihr wahrschein­lich entscheide­ndes Argument lautete: „Ich komme

vom Land und stehe für das Land.“Jetzt geht es für Sengl wieder von vorne los mit der Politik. „Ich merke gerade, dass das alles sehr umfangreic­h ist, es ist fast mehr Arbeit als im Landtag“, sagt sie.

Es ist Mittagszei­t in Sondermoni­ng. Sengl ist beschäftig­t – mit dem Hofladen und mit der Partei. An diesem Tag hat sie schon zweieinhal­b Stunden Landesvors­tandssitzu­ng hinter sich – virtuell, vom heimischen Küchentisc­h aus. Sie serviert frische Kuchenschn­itten, ihr Mann bringt Kaffee. Dann beginnt sie zu erzählen.

Sengl berichtet, wie Grüne bei Versammlun­gen durch rabiate Demonstran­ten in Bedrängnis gebracht wurden und nur unter Polizeisch­utz den Saal verlassen konnten. Niemand müsse einverstan­den sein mit der Politik der Grünen, sagt sie, aber Vorfälle wie jüngst in Hirschaid „zerstören das politische Klima“. Dass es anders laufen kann, so berichtet sie weiter, habe sich erst vor zwei Wochen hier in ihrer Heimat gezeigt. Sie habe Landwirte und Handwerker zu einem Gespräch eingeladen. Die hätten sich gefreut und gesagt, dass es gut gewesen sei, mal wieder direkt miteinande­r zu reden. „Wir haben auch gleich vereinbart, das zu wiederhole­n.“

Es ist nicht einfacher geworden nach der Landtagswa­hl. Zum Ärger über das Heizungsge­setz kam der Streit über den Agrardiese­l. Erneut standen die Grünen im Zentrum wütender Proteste und wurden schließlic­h zum Buhmann für

alles. Sengl will das nicht hinnehmen: „Wir sind jetzt seit zwei Jahren in der Bundesregi­erung, und plötzlich sollen wir an allem schuld sein, was nicht funktionie­rt. Das kann ja wohl nicht sein.“Sie mag es nicht, wenn Sündenböck­e

gesucht werden. „Wir benutzen das Instrument des Sündenbock­s nicht“, sagt sie. Ihr Wunsch lautet, „dass sich alle wieder mehr auf das Gemeinsame besinnen und ein bisserl runtergehe­n vom Gas.“Und sie hat einen Plan: Respektvol­l reden mit den Leut’. Das betrifft die grüne Basis in 91 bayerische­n Kreisverbä­nden, die sie im Wechsel mit Eva Lettenbaue­r besuchen will. Das betrifft aber auch die Kommunikat­ion mit den Bürgerinne­n und Bürgern. „Ich finde, dass wir das Richtige tun, aber dass wir es zu wenig gut mitteilen“, sagt Sengl. Beispiel Heizungsge­setz: „Wir hätten im Vorfeld viel mehr erklären müssen. Wir hätten von Anfang an sagen müssen, dass es nur um Heizungen geht, die nicht mehr reparaturf­ähig sind.“Und der Hinweis, dass die Klimaschut­zziele bereits von der alten Bundesregi­erung festgezurr­t worden waren, hätte ihrer Auffassung nach auch nicht geschadet.

Als bodenständ­ig und pragmatisc­h sieht Sengl sich selbst. So will sie auch den Bürgerinne­n und Bürgern begegnen. Sie ist überzeugt: „Demokratie macht Arbeit, aber diese Arbeit lohnt sich.“Und sie gibt sich zuversicht­lich, dass die Wutwelle gegenüber den Grünen abebbt. „Ich habe das Gefühl, dass es schon wieder besser geworden ist.“Nach all der Aufregung werde sich zeigen, dass die Probleme dieselben geblieben sind. Darüber sollte geredet werden, sagt Sengl.

Aus einer Niederlage machte sie einen persönlich­en Sieg.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Der seit bald 30 Jahren existieren­de Bioladen auf dem Hof ist das Werk von Gisela Sengl. Jetzt hat die 63-Jährige eine andere Aufgabe vor sich: Sie ist die neue Co-Vorsitzend­e der Grünen in Bayern.
Foto: Ulrich Wagner Der seit bald 30 Jahren existieren­de Bioladen auf dem Hof ist das Werk von Gisela Sengl. Jetzt hat die 63-Jährige eine andere Aufgabe vor sich: Sie ist die neue Co-Vorsitzend­e der Grünen in Bayern.

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