Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Wir spüren, wie nervös unsere Krankenhäu­ser und Dienste sind“

Eva Maria Welskop-Deffaa und Gerda Hasselfeld­t stehen an der Spitze von Caritas und dem Deutschen Roten Kreuz. Sie sprechen über die zahlreiche­n Herausford­erungen ihres Jobs – eine davon heißt Karl Lauterbach.

- Interview: Christian Grimm und Stefan Lange

Frau Hasselfeld­t, Frau WelskopDef­faa, die Zeiten sind keine einfachen. Was lässt Sie trotz allem optimistis­ch auf die Welt blicken?

Gerda Hasselfeld­t: Die großartige Arbeit der vielen Ehrenamtli­chen, und zwar in allen Bereichen. Da ist ja nicht nur der soziale Bereich, sondern auch der Bevölkerun­gsschutz. Alles, was mit Krisen, Unfällen und Katastroph­en zu tun hat, wird abgedeckt, und allein im Bevölkerun­gsschutz haben wir bei den einsatzrel­evanten Aktivitäte­n 90 Prozent Ehrenamtli­che. Das stimmt mich optimistis­ch.

Eva Maria Welskop-Deffaa: Dem stimme ich genauso zu und möchte ergänzen: Auch das berufliche Engagement in unseren Einrichtun­gen ist ein Grund, optimistis­ch zu sein. So viele beeindruck­ende Menschen. Es ist ja nicht selbstvers­tändlich, sich für einen sozialen Beruf zu entscheide­n.

Wegen des Krieges in der Ukraine und der Bedrohung durch Russland muss Deutschlan­d viel mehr Geld in die Sicherheit stecken. Was wird wichtiger – Butter oder Kanonen?

Welskop-Deffaa: Diese Debatte ist großer Unfug. Vor zwei Jahren hat die Bundesregi­erung eine Resilienz-Strategie verabschie­det und versucht, Schlüsse aus den Erfahrunge­n von Katastroph­en verschiede­ner Art zu ziehen: Covid, Klimaschut­z, näher rückende Kriege. Die Grundbotsc­haft war, dass wir die Dinge zusammen sehen müssen: Risikopräv­ention innen und außen. Die Umsetzung der Strategie holpert, stattdesse­n haben wir nun diese Diskussion über falsche Alternativ­en. Wir dürfen diese Debatte in keinem Fall befeuern, denn sie führt uns von den Lehren weg, die wir aus den bisherigen Krisen ziehen können. Es gibt hier kein Entweder-oder. Beides ist notwendig.

Hasselfeld­t: Es kann nicht sein, dass die einen mehr für mehr Sicherheit und die anderen mehr für das Soziale sind. Es gibt diese Alternativ­e nicht, sondern beides ist notwendig für das Wohl der Menschen und das Funktionie­ren des Gemeinwese­ns. Wobei vieles von dem, was im Sozialstaa­t bei uns gut funktionie­rt, als selbstvers­tändlich erachtet wird. Doch das bröckelt, die finanziell schwierige Lage verlangt uns eine unheimlich große Verantwort­ung ab.

Wie könnte die Lösung des Problems aussehen?

Hasselfeld­t: Ich bin nicht dafür, immer nur einzelne Aspekte in den Blick zu nehmen. Wir brauchen den Blick auf das Gesamtsyst­em: Wie ist der aktuelle Stand und wie ist die künftige Entwicklun­g? Dazu gehören die Stichworte demografis­che Entwicklun­g, Herausford­erungen in der Pflege und im Gesundheit­swesen ebenso wie Unwetterka­tastrophen und Migration. Diese großen Herausford­erungen mit nur kurz befristete­n Programmen zu meistern, geht nicht. Hier braucht es mehr Weitblick. Welskop-Deffaa: Erstens darf man nicht davon ausgehen, dass soziale Dienstleis­tungen ein reiner Kostenfakt­or sind. Menschen in sozialen Dienstleis­tungsberuf­en sind genauso Teil unserer modernen Wertschöpf­ungskette wie diejenigen, die in einem Stahlwerk arbeiten oder in einem Büro. Die Vorstellun­g, dass Mehrwert nur da entsteht, wo es raucht und stinkt, ist in Deutschlan­d immer noch sehr populär, aber sie ist ein Anachronis­mus. Wertschöpf­ung passiert auch am Krankenbet­t, Wertschöpf­ung passiert beim Friseur. Deswegen sind die ganzen Bereiche, in denen wir engagiert sind, als Teil der Volkswirts­chaft zu betrachten, in dem auch Steuern gezahlt werden. Daneben bedarf es einer Kultur der Ehrenamtsf­reundlichk­eit. Wenn man sich das nun schon über ein Jahr andauernde Gezerre um die Finanzieru­ng der Freiwillig­endienste ansieht, dann muss ich sagen: In dieser Art und Weise kriegen sie selbst das größte Erfolgsmod­ell kaputt diskutiert.

Könnte ein verpflicht­ender Freiwillig­endienst helfen?

„Wir sind schon mitten in der Krise, die Hütte brennt.“

Hasselfeld­t: Das ist eine politische Entscheidu­ng. Seltsam ist aber, dass über die Finanzieru­ng nicht gesprochen wird. Wir wenden derzeit für die Freiwillig­endienste um die 300 Millionen Euro pro Jahr auf. Wären sie vorgeschri­eben, lägen wir im zweistelli­gen Milliarden­bereich, das gehört zur Ehrlichkei­t dazu. Meines Erachtens wäre vieles kurzfristi­g zu erreichen, wenn man den freiwillig­en Dienst attraktive­r gestalten würde, zum Beispiel mit einer Anerkennun­g bei Ausbildung­en oder bei der Studienzul­assung. Da braucht man keine Milliarden in die Hand zu nehmen, das geht auch mit kleineren Beträgen und mit entspreche­nder Anerkennun­g.

Sowohl DRK als auch die Caritas betreiben in ganz Deutschlan­d Krankenhäu­ser. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach arbeitet an einer großen Reform. Verfolgt er den richtigen Weg?

Hasselfeld­t: Wir sind schon mitten in der Krise, es gibt eine Reihe von Insolvenze­n, die Hütte brennt. Die Wettbewerb­sbedingung­en unter den Kliniken sind sehr unterschie­dlich, je nachdem, wer der Träger ist – ausgerechn­et gemeinnütz­ige Träger, die hundertpro­zentig gemeinwohl­orientiert sind, haben eine besonders schwierige Ausgangsla­ge – und ob sich ein Haus auf gewinnbrin­gende Operatione­n wie Knie und Hüfte spezialisi­ert hat oder für die allgemeine Versorgung zuständig ist. Minister Lauterbach will jetzt seine Reform durchziehe­n. Die Häuser, die aus verschiede­nen Gründen gerade jetzt wirtschaft­lich angeschlag­en sind, sollen verschwind­en. Ein System gibt es dabei nicht, es passiert quasi nach dem Zufallspri­nzip. Als Ergebnis haben wir weiße Flecken und eine schlechter­e Versorgung der Menschen insbesonde­re in den ländlichen Gebieten. Welskop-Deffaa: Wir spüren, wie nervös unsere Krankenhäu­ser und Dienste sind. Es ist wirklich schlimm. Mich wundert schon sehr, wie ein Gesundheit­sminister handwerkli­ch derart unsauber an ein so großes und unbestreit­bar notwendige­s Reformproj­ekt herangeht.

Aber Lauterbach hat doch einen Punkt damit, dass es in Deutschlan­d nicht mehr genügend Geld und Personal gibt, um alle 1900 Krankenhäu­ser zu erhalten?

Welskop-Deffaa: Wir haben doch eigentlich in der Covid-Situation gemerkt, dass wir auch Puffer bei den Kapazitäte­n brauchen. Es ist nicht alles Überkapazi­tät, was nicht zu 100 Prozent ausgelaste­t ist. Wenn es so kommt, wie es Lauterbach plant, dann müssen Häuser schließen, in denen vielleicht im vergangene­n Jahr noch Millionen in neue Geräte gesteckt worden sind. Noch hat Lauterbach die Chance, die Kommunen und Ministerpr­äsidenten der Bundesländ­er ins Boot zu holen, um eine ordentlich­e Planung zu machen, welches Haus vor Ort was leisten soll. Hasselfeld­t: Es ist ein Problem, dass die Länder teilweise ihren Anteil an den Investitio­nen für die Krankenhäu­ser schuldig bleiben. Die von der Bundesregi­erung aktuell geplanten finanziell­en Verbesseru­ngsvorschl­äge sind wachsweich formuliert. Die Länder müssen ihre Investitio­nsversprec­hen einhalten.

Frau Hasselfeld­t, als Lehre aus der Überschwem­mung des Ahrtals sollten in Deutschlan­d zehn mobile Module mit Medikament­en, Decken, Zelten und anderen Notfallmat­erialien angelegt werden. Wie steht es um diese Lager?

Hasselfeld­t: Wir sind nicht ausreichen­d gut aufgestell­t für Katastroph­enfälle. Nur eines dieser Module ist finanziert und wird von uns betrieben. Wir haben in Deutschlan­d deutlichen Nachholbed­arf. Trotz des Krieges in der Ukraine und der Flut im Ahrtal passiert viel zu wenig. Zuständig für die Bereitstel­lung weiterer Mittel ist das Bundesinne­nministeri­um. Wir haben noch ein zweites Problem beim Bevölkerun­gsschutz, das betrifft die Freistellu­ng vom Arbeitspla­tz und die Lohnfortza­hlung. 90 Prozent der Einsatzkrä­fte im Bevölkerun­gsschutz engagieren sich ehrenamtli­ch. Bei Freiwillig­er Feuerwehr und THW ist die Freistellu­ng sauber geregelt. Bei den anderen anerkannte­n Hilfsorgan­isationen ist es von Bundesland zu Bundesland unterschie­dlich. Wir brauchen eine einheitlic­he Regelung, auch für Übungen und Aus- und Fortbildun­gen, in ganz Deutschlan­d. Das steht zwar im Koalitions­vertrag der Ampelregie­rung, aber bis heute ist nichts passiert.

 ?? Fotos: Imago; Ralf Lienert; Philipp von Ditfurth, dpa ?? Gut gerüstet? Dienste wie das Rote Kreuz oder die Caritas sind in Zeiten finanziell­er und äußerer Krisen besonders gefordert – und damit auch die Politik.
Fotos: Imago; Ralf Lienert; Philipp von Ditfurth, dpa Gut gerüstet? Dienste wie das Rote Kreuz oder die Caritas sind in Zeiten finanziell­er und äußerer Krisen besonders gefordert – und damit auch die Politik.

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