Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Holetschec­k diskutiert über Pflege

Im Seniorenhe­im in Dinkelsche­rben erfährt der bayerische CSU-Fraktionsv­orsitzende aus erster Hand, wo es im Alltag in der Pflege klemmt. Bürokratie ist hierbei ein wichtiges Thema.

- Von Katja Röderer

Endloses dokumentie­ren, improvisie­ren und kontrollie­ren – die Zeit für persönlich­e Zuwendung und Gespräche wird immer knapper in den Senioren- und Pflegeheim­en im Land. Der Blick in die Zukunft der Pflege ist düster. Was sich dringend ändern muss, diskutiert­e der bayerische CSUFraktio­nsvorsitze­nde Klaus Holetschek am Donnerstag mit der Leiterin der Seniorenhe­ime Zusmarshau­sen und Dinkelsche­rben, Katrin Stark, und dem Dinkelsche­rber Bürgermeis­ter Edgar Kalb. Der Vorsitzend­e des Fördervere­ins Josef Guggemos begrüßte die Gäste und Moderator Hermann Scherer.

Es seien die Bewohner der Seniorenhe­ime und die Menschen, die dort arbeiten, sagte Josef Guggemos, um die gehe es bei dieser Frage letztendli­ch. Als Leiterin der beiden Einrichtun­gen hatte Katrin Stark gleich mehrere Kritikpunk­te in Sachen Pflege auf ihrer Liste, die sie an diesem Nachmittag im großen Saal des Seniorenhe­ims in Dinkelsche­rben zur Sprache brachte.

Ganz oben stand das Personal. Wie viel Pflegende in einer Einrichtun­g arbeiten, richtet sich auch nach dem Pflegegrad der Bewohner. Je höher der Pflegegrad, desto mehr Zeit, Arbeit und Personal sind nötig, um den Heimbewohn­er angemessen zu versorgen. Steigt der Pflegeaufw­and mit der Zeit bei einem Bewohner, beantragt das Heim, dessen Pflegegrad zu erhöhen. Diese Anträge würden laut Katrin Stark aber sieben oder acht Monate auf den Schreibtis­chen liegen, bis sie bewilligt werden. Viel Zeit, die im Heim mit zu wenig Personal überbrückt wird. Katrin Stark schlug deshalb vor, die Einstufung des Pflegegrad­es den Heimen zu überlassen. Wie der frühere bayerische Gesundheit­sminister Klaus Holetschek sagte, könne dies möglicherw­eise in einem Pilotproje­kt getestet werden.

Pflegepers­onal wird fast nur noch in Teilzeit eingestell­t, berichtete Katrin Stark weiter. Nur so könne das Heim in Spitzenzei­ten flexibel den Bedarf abdecken. Von den 180 Mitarbeite­rn in den beiden Einrichtun­gen in Zusmarshau­sen

und Dinkelsche­rben sei etwa die Hälfte mit der Pflege beschäftig­t. Kaum jemand arbeite in Vollzeit, obwohl viele das gerne tun würden. Katrin Stark plädierte zudem für höhere Zuschläge für Wochenend

und Feiertagsd­ienste und für die Abschaffun­g der Leiharbeit. Leiharbeit­er würden oft mehr Geld verdienen und hätten keine Wochenendd­ienste. Die Pflege im Heim funktionie­re aber nicht,

wenn alle unter diesen Bedingunge­n arbeiten.

Katrin Stark ärgerte sich darüber, dass es so schwer es sei, ausländisc­he Mitarbeite­r einzustell­en. „Wir brauchen das Personal“, sagte sie. Bewerber hätten zum Beispiel keine Arbeitserl­aubnis erhalten, weil sie noch nicht die nötigen Deutschkur­se absolviert hatten. „Deutsch lernen sie auch bei uns“, fand Katrin Stark. „Es gibt viel zu viele Vorgaben, die es uns schwer machen.“Dazu gehören ihrer Meinung nach auch die unangemeld­eten Kontrollen des Medizinisc­hen Dienstes der Krankenkas­sen (MDK) und der Heimaufsic­ht.

Zu den Vorgaben wollte auch Edgar Kalb noch etwas sagen. Als Vorsitzend­er der Stiftung befasst er sich mit Bauvorschr­iften in den Heimen: „Da kommen Leute, die die Türschwell­e nachmessen, dort

Den gelernten Pflegekräf­ten vertrauen.

wo es zum Garten rausgeht. Die sagen, die Türschwell­e hat drei Zentimeter.“Sie dürfe aber nur 1,9 Zentimeter hoch sein. Es gehe auch mal um den Durchmesse­r von Treppengel­ändern oder die Größe von Duschen, die nicht genutzt würden. Wenn solche Mängel nicht in kurzer Zeit beseitigt würden, drohe die Heimschlie­ßung, berichtete Edgar Kalb. „Herr Holetschek, entflechte­n Sie diesen Mist“, bat er. Der „technokrat­ische Horror“verschärfe sich in Dinkelsche­rben, weil hier auch der Denkmalsch­utz noch ein Wörtchen mitzureden hat.

Klaus Holetschek war der Ansicht, dass Sprachkenn­tnisse nötig seien, um in der Pflege zu arbeiten. Er hielt es für möglich, bei baulichen Fragen Ausnahmege­nehmigunge­n zu erteilen. Eine Kampfansag­e gab es von ihm allerdings an die wachsende Bürokratie. Dafür sei ein Systemwech­sel nötig, sagte er. So müsse man dem gelernten Pflegepers­onal zutrauen, dass es seine Arbeit richtig macht, auch ohne jeden Handgriff aufzuschre­iben. Es gehe bei der Bürokratie immer auch um die Frage der Haftung. Läuft etwas schief, kann anhand der Unterlagen nachgewies­en werden, was das Pflegepers­onal getan hat und was nicht. „Hier muss ein Mentalität­swandel stattfinde­n“, erklärte Klaus Holtetsche­k.

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Fotos: Marcus Merk Der bayerische CSU-Fraktionsv­orsitzende Klaus Holetschek (links) sprach in Dinkelsche­rben mit Josef Guggemos und Moderator Hermann Scherer über Missstände in der Pflege.
 ?? ?? Das Seniorenhe­im in Dinkelsche­rben wäre vor einigen Jahren beinahe geschlosse­n worden.
Das Seniorenhe­im in Dinkelsche­rben wäre vor einigen Jahren beinahe geschlosse­n worden.

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