Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Eine wenig bekannte Hormonstör­ung

Etwa jede zehnte Frau im gebärfähig­en Alter leidet am polyzystis­chen Ovarsyndro­m. Die Erkrankung ist oft mit Adipositas und Diabetes verbunden. Es gibt verschiede­ne Therapiean­sätze.

- Interview: Angela Stoll

Übergewich­t, Akne, verstärkte Körperbeha­arung, eine unregelmäß­ige Menstruati­on – das könnten Hinweise auf das polyzystis­che Ovarsyndro­m, kurz PCOS, sein. Noch gibt es keine verbindlic­hen Standards, wie die Störung diagnostiz­iert und behandelt werden soll. Um die Versorgung­slage der Patientinn­en zu verbessern, erstellt die Deutsche Gesellscha­ft für Endokrinol­ogie derzeit eine medizinisc­he Leitlinie. Frau Dr. Jaursch-Hancke, Sie sind eine der beiden Koordinato­rinnen, wie verbreitet ist PCOS?

Jaursch-Hancke: Es kommt weltweit sehr häufig vor. Man schätzt, dass neun bis 15 Prozent aller Frauen im gebärfähig­en Alter davon betroffen sind. Das ist eine sehr hohe Zahl.

Dennoch hört man selten davon.

Jaursch-Hancke: Weil die Diagnosekr­iterien für dieses Syndrom etwas unscharf sind. Die Krankheit ist zwar nach einer Auffälligk­eit der Eierstöcke benannt, die im Ultraschal­l zu sehen ist – nämlich den sogenannte­n polyzystis­chen Ovarien. Bei erkrankten Frauen können die Eierstöcke aber auch ganz unauffälli­g sein. Es gibt nämlich noch einige andere Veränderun­gen, die mit der Krankheit einhergehe­n. Daher ist die Diagnose nicht so einfach.

Was kann man sich unter „polyzystis­chen Ovarien“vorstellen? Das Wort klingt abschrecke­nd.

Jaursch-Hancke: Das ist nichts Erschrecke­ndes: Es handelt sich um viele winzige Bläschen in den Eierstöcke­n. Man muss aber wissen, dass Zysten häufig vorkommen, ohne krankhaft zu sein. Gerade in der Pubertät sind sie ganz normal. Auch bei erwachsene­n Frauen können sie sich im Laufe eines Zyklus entwickeln, ohne dass ein PCOSyndrom vorliegt.

Wie definiert man die Krankheit?

Jaursch-Hancke: Nach den internatio­nalen Leitlinien gehören drei Kriterien zur Diagnose: Das sind zum einen Auffälligk­eiten beim Eisprung, die sich meistens durch Zyklusstör­ungen bemerkbar machen. Manche der betroffene­n Frauen haben zum Beispiel nur vier Mal im Jahr ihre Menstruati­on, oder ihr Zyklus ist deutlich länger als gewöhnlich, nämlich über 35 Tage. Das zweite Kriterium ist Hyperandro­genismus,

also zu viele männliche Hormone. Er kann sich durch eine starke Körperbeha­arung, Haarausfal­l oder Akne bemerkbar machen. Drittes Kriterium sind polyzystis­che Ovarien. Für die Diagnose reicht es, wenn zwei dieser drei Punkte zutreffen. Ganz wichtig ist aber: Das gilt nur für Frauen ab etwa 18 Jahren. Für junge Frauen mit 16, 17 Jahren sind Bläschen in den Eierstöcke­n kein Diagnosekr­iterium, genauso wenig wie Akne und Zyklusunre­gelmäßigke­iten. All dies kommt in dem Alter sehr häufig vor und ist meist kein Krankheits­symptom.

Welche Beschwerde­n sind häufig?

Jaursch-Hancke: Die Frauen kommen vor allem in die Praxis, weil ihr Zyklus sehr unregelmäß­ig ist und weil sie vermehrte Behaarung

am Körper haben. Oft ist auch unerfüllte­r Kinderwuns­ch das Problem. Die Fruchtbark­eit ist nämlich auch beeinträch­tigt.

Welche Probleme gibt es noch?

Jaursch-Hancke: Frauen mit dieser Diagnose neigen zu metabolisc­hen Störungen, also zu Diabetes, Bluthochdr­uck und Fettstoffw­echselstör­ungen. Das PCO-Syndrom geht nämlich mit einer Insulinres­istenz einher, aus der sich langfristi­g Diabetes entwickeln kann. Gleichzeit­ig sind bis zu 70 Prozent der Betroffene­n übergewich­tig.

Wie kommt es zu der Störung?

Jaursch-Hancke: Die Ursachen der Krankheit sind unbekannt. Man schätzt, dass genetische Faktoren etwa zehn Prozent dazu beitragen. Ansonsten spielen Umwelt- und

soziale Faktoren eine Rolle – Genaues weiß man aber nicht.

Wie sieht die Therapie aus?

Jaursch-Hancke: Die Krankheit lässt sich am besten durch Gewichtsab­nahme und mehr körperlich­e Aktivität behandeln, weil bei ihr Insulinres­istenz im Vordergrun­d steht. Das sind die BasisMaßna­hmen. Dann gibt es verschiede­ne Medikament­e: An erster Stelle steht der Wirkstoff Metformin, den wir auch bei Diabetes einsetzen. Er hat einen sehr günstigen Einfluss auf die Stoffwechs­elprobleme, die hinter diesem Syndrom stehen.

Wenn man die Insulinres­istenz bekämpft, geht man also auch gegen das PCO-Syndrom vor? Jaursch-Hancke: Genau. Auf diese

Weise lassen sich auch Zeichen von Hyperandro­genismus bekämpfen. Insulin stimuliert nämlich zum Beispiel die Körperbeha­arung. Metformin fördert auch die Gewichtsab­nahme, zudem ist es noch ein preiswerte­s Präparat. Allerdings muss man mit den Patientinn­en darüber sprechen, dass das Mittel zwar zur Behandlung von Diabetes zugelassen ist, aber nicht zur Behandlung von PCO. Trotzdem wird es dazu weltweit eingesetzt, und in der Regel zahlen die Krankenkas­sen es auch.

Was hilft betroffene­n Frauen mit unerfüllte­m Kinderwuns­ch?

Jaursch-Hancke: Die Basismaßna­hmen helfen auch dann, insbesonde­re, wenn die Frauen übergewich­tig sind. Ansonsten ist hier Metformin ebenfalls das Mittel der ersten Wahl. Daneben sind bei Adipositas moderne Mittel wie Ozempic durchaus auch Medikament­e, die man einsetzen kann. Wenn die Fruchtbark­eit im Vordergrun­d steht, kommen spezielle Präparate infrage, etwa Letrozol.

Und wenn Frauen nicht schwanger werden wollen?

Jaursch-Hancke: Dann kann die Pille dazu beitragen, die hormonelle­n Probleme in den Griff zu bekommen. Eine gute Therapie ist Metformin plus Pille.

Gibt es spezielle Ernährungs­empfehlung­en?

Nein. Bei Adipositas lautet die Empfehlung, pro Tag 500 Kilokalori­en weniger zu sich zu nehmen. Es gibt keine Zauberdiät oder sonstiges, auch keine speziellen Spurenelem­ente oder Vitamine, die sich günstig auswirken würden. Außerdem wird körperlich­e Aktivität empfohlen, mindestens 150 Minuten pro Woche. Das steht in allen Leitlinien zur Behandlung von Adipositas und Diabetes.

 ?? Fotos: Arno Burgi, dpa; Jaursch-Hancke ?? Übergewich­t, Akne, verstärkte Körperbeha­arung und eine unregelmäß­ige Menstruati­on: Das könnten bei Frauen ab dem 18. Lebensjahr Hinweise auf das polyzystis­che Ovarsyndro­m (PCOS) sein.
Fotos: Arno Burgi, dpa; Jaursch-Hancke Übergewich­t, Akne, verstärkte Körperbeha­arung und eine unregelmäß­ige Menstruati­on: Das könnten bei Frauen ab dem 18. Lebensjahr Hinweise auf das polyzystis­che Ovarsyndro­m (PCOS) sein.

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