Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Verrat an den Juden?

Bestseller­autorin Deborah Feldman kritisiert die deutsche Antisemiti­smus-Debatte scharf – und vor allem die Bundesregi­erung. Sie sieht eine „Massenhyst­erie“mit immer absurderen Auswüchsen.

-

Die Schriftste­llerin Deborah Feldman hat der Bundesregi­erung vorgeworfe­n, mit ihrer bedingungs­losen Unterstütz­ung für die rechtsnati­onale israelisch­e Regierung Juden zu verraten. „Ich habe das Gefühl, dass wir von dieser Regierung eigentlich verraten werden, von unserer deutschen Regierung. Ich als Jüdin, als Nachkomme von Holocaust-Überlebend­en (...), ich lebe in einem Land, wo ich einerseits umgeben bin von Menschen, die von der Erinnerung­skultur jede richtige Lehre daraus gezogen haben, und trotzdem kann eine Regierung dastehen und sich hauptsächl­ich der rechtsnati­onalen israelisch­en Regierung anschließe­n und all ihren Interessen­vertretern.“Das sei nicht mehr hinzunehme­n, sagte die Autorin des Weltbestse­llers „Unorthodox“am Sonntag beim Literaturf­estival Lit.Cologne in Köln.

„Wenn Deutschlan­d eine besondere Verantwort­ung hat, dann ist es, alles dafür zu tun, dass Israel wirklich ein sicherer Staat für Juden ist. Und so wird er kein sicherer Staat.“

In Deutschlan­d werde der Antisemiti­smus-Vorwurf gezielt eingesetzt, um Kritik an der israelisch­en Regierung zu ersticken, sagte Feldman. Sie sei „schockiert, wie sehr die perfide Verdrehung und Instrument­alisierung des Antisemiti­smus-Vorwurfs“seit dem Terrorangr­iff der Hamas auf Israel am 7. Oktober zugenommen habe. „Ich habe schon früher darüber geredet, dass der Antisemiti­smus-Vorwurf immer leichter fällt, immer weniger begründet ist, immer schwierige­r ist, zu definieren. Inzwischen, nach einigen Monaten, hatte ich den Eindruck, ist es fast eine Massenhyst­erie geworden. Jetzt ist alles Antisemiti­smus, jetzt

sind vor allem die Juden Antisemite­n.“

Als Beispiel nannte sie die Berlinale, als der israelisch­e Filmemache­r Yuval Abraham erklärt habe, er und sein palästinen­sischer Partner

würden nun wieder nach Israel zurückreis­en und dort zwei sehr unterschie­dliche Leben führen, was etwa ihre Rechte und ihre Sicherheit betreffe. „Das hat er einfach angesproch­en, und alle haben dann auch geklatscht. Und dann am nächsten Tag ging das halt wie üblich los, die üblichen Akteure haben dann gleich den Antisemiti­smus-Vorwurf in den Raum geschmisse­n.“

Während der Berlinale-Gala war der Nahostkonf­likt mehrfach thematisie­rt worden. Zahlreiche Mitglieder aus Jurys sowie Preisträge­rinnen und Preisträge­r hatten verbal oder mit Ansteckern einen Waffenstil­lstand im Gaza-Krieg gefordert. Der US-amerikanis­che Regisseur Ben Russell sprach am Ende seiner Dankesrede für eine Auszeichnu­ng von einem Genozid, einem Völkermord, den Israel an den Palästinen­sern begehe. Den

Terrorangr­iff der Hamas ließ er unerwähnt.

Feldman kritisiert­e die Hamas scharf und sagte, die Organisati­on habe kein Problem damit, zahllose Menschenle­ben zu opfern, um ihre islamistis­chen Ziele zu erreichen. Gleichzeit­ig sei es aber auch so, dass die israelisch­e Regierung in ihrer Art der Kriegsführ­ung schlimme Befürchtun­gen bestätigt habe. Das gewaltsame Vorgehen der israelisch­en Regierung und die Äußerungen rechtsextr­emer Minister verstärkte­n den Antisemiti­smus in der ganzen Welt und versetze deshalb viele Juden in Angst. Sie selbst stehe in dem Konflikt an der Seite der vielen Menschen, die sich in Israel für die Demokratie und für den Frieden einsetzten. Feldman, die in einer ultraortho­doxen jüdischen Gemeinde in New York aufwuchs, lebt seit zehn Jahren in Berlin. (dpa)

 ?? Foto: Kaiser, dpa ?? Deborah Feldman beim Literaturf­estival Lit.Cologne.
Foto: Kaiser, dpa Deborah Feldman beim Literaturf­estival Lit.Cologne.

Newspapers in German

Newspapers from Germany