Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Scholz bekommt seine Koalition nicht in den Griff

Kanzler muss sich im Bundestag bohrenden Fragen zu Taurus-Lieferunge­n stellen. Einige Abweichler stimmen wohl mit der Union.

- Von Christian Grimm

Trotz wochenlang­er Diskussion­en und einem neuerliche­n klaren Nein im Bundestag zur Lieferung von Taurus-Marschflug­körpern an die Ukraine bekommt Bundeskanz­ler Olaf Scholz weiter Gegenwind aus der eigenen Koalition. Die Union wird ihn deshalb an diesem Donnerstag ein weiteres Mal testen und im Parlament über die Taurus-Lieferung abstimmen lassen. Der Kanzler kann dabei nicht auf die Geschlosse­nheit seiner Koalition setzen. Es wird erwartet, dass Abweichler von FDP und Grünen mit der Union stimmen. Kritik, auch am Stil, kam unter anderem von FDP-Fraktionsc­hef Christian Dürr. „Ich verstehe die Nervosität bei der SPD in Bezug auf Waffenlief­erungen. Am besten hilft hier aber aktives Handeln statt Regieanwei­sungen an die Koalitions­partner“, sagte er.

CDU und CSU wollen die Möglichkei­t nutzen, dem Kanzler zuzusetzen. „Eine Reihe von Ampel-Politikern hat in den vergangene­n Tagen und Wochen öffentlich betont, dass sie für eine Lieferung dieses Waffensyst­ems an die Ukraine sind. Diesen Kollegen geben wir jetzt die Möglichkei­t, ihr Abstimmung­sverhalten an ihre öffentlich­en Äußerungen anzupassen“, sagte CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt unserer Redaktion. Am Mittwoch bekam Scholz im Taurus-Streit Applaus von ungewohnte­r Seite. „Die AfD unterstütz­t Sie dabei ausdrückli­ch“, sagte ihr Sicherheit­sexperte Rüdiger Lucassen während der Regierungs­befragung im Bundestag. „Auf diese Unterstütz­ung verzichte ich, wenn ich das bemerken darf“, gab der Kanzler zurück.

Scholz begründete noch einmal seine Position. Der Einsatz der Marschflug­körper müsse von deutschen Soldaten kontrollie­rt werden, wodurch Deutschlan­d womöglich in den Krieg hineingezo­gen werden könnte. „Das ist eine

Grenze, die ich als Kanzler nicht überschrei­ten will“, sagte er. Besonnenhe­it sei keine Schwäche. „Besonnenhe­it ist das, worauf die Bürgerinne­n und Bürger in diesem Land einen Anspruch haben.“

Die Union spießte dagegen genüsslich auf, dass die abgehörten hohen Luftwaffen­offiziere eine Beteiligun­g deutscher Soldaten beim Einsatz der Taurus-Raketen für nicht notwendig hielten. Die Abgeordnet­en fragten den Kanzler, warum eigentlich Briten und Franzosen noch nicht am Krieg beteiligt seien, obwohl sie der Ukraine bereits vergleichb­are Marschflug­körper zur Verfügung stellten? „Durch die Lieferung von Waffen wird man nicht Kriegsbete­iligter. Niemand hat das gesagt. … So wie das von Frankreich und Großbritan­nien gemacht wird, geht das für uns nicht“, entgegnete Scholz.

Mit dem CDU-Außenpolit­iker Nobert Röttgen lieferte er sich einen Schlagabta­usch, warf ihm Halbwahrhe­iten vor und die Täuschung der Öffentlich­keit. „Was mich aber ärgert, sehr geehrter Abgeordnet­er, lieber Norbert, ist, dass Du alles weißt“, sagte Scholz giftig, das „Du“betonend. Röttgen wechselte zurück zum „Sie“und verwahrte sich gegen die Unterstell­ung des Kanzlers.

Der Militärexp­erte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations wirft Scholz vor, der Ukraine aus wahltaktis­chen Gründen die Taurus-Raketen vorzuentha­lten, um sich als besonnener Staatsmann zu präsentier­en. „Die wahlkampfg­ünstige Kommunikat­ionsstrate­gie des Kanzlers ist zusammenge­brochen. Die Linie trägt nicht“, sagte Gressel unserer Redaktion. Es dämmere jetzt den engen Kanzlerber­atern Wolfgang Schmidt und Jens Plötner, dass Russland nicht auf Patt aus sei und die Komplettun­terwerfung der Ukraine zum Ziel habe. „Der Vorwurf, dass Kanzler Scholz das militärisc­he Patt in der Ukraine hinnimmt, ist nicht von der Hand zu weisen“, sagte Gressel.

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