Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Schatz aus der Tiefe

Der Lechspitz bei Genderking­en gilt als wasserreic­hste Gegend Bayerns. Seit 50 Jahren wird von hier aus der Nürnberger Raum mit Trinkwasse­r versorgt. Doch seit die Franken deutlich mehr aus Nordschwab­en abzapfen wollen, gibt es Streit.

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Genderking­en Eigentlich, denkt man, müsste man das Wasser in der Tiefe rauschen hören. Doch hier, im dichten Mischwald im Lechspitz, kurz bevor der Lech in die Donau mündet, zwitschern nur die Vögel. Leonhard Schwab weiß, dass es Vorstellun­gskraft braucht. Also zeigt der Genderking­er Bürgermeis­ter auf die umzäunte Anlage hinter sich, das Wasserwerk, weiter oben im Wald. Auf die Erdwälle mit Metalldeck­eln und Rohren neben ihm, die sich hier im Wald in regelmäßig­en Abständen aus dem Boden erheben. Es sind Wartungssc­hächte für die Wasserleit­ung, die in 1,30 Meter dicken Rohren darunter verläuft. Bürgermeis­ter Schwab zeichnet mit der Hand die Linie weiter, immer Richtung Norden. Unter der Donau hindurch und dann hinauf, über die Anhöhe, dort wo im Ort Graisbach der Hochbehält­er steht. „Ab da geht es immer bergab, 101 Kilometer, im freien Gefälle bis nach Nürnberg“, sagt Schwab.

Seit 50 Jahren wird in diesem Waldstück in Nordschwab­en der Grundwasse­rstrom, der Lech und Donau begleitet, gefasst – in drei Horizontal­filterbrun­nen, je zwölf Meter tief und fünf Meter breit. Bis zu 2300 Liter Wasser pro Sekunde können die Anlagen des Zweckverba­nds Wasservers­orgung fränkische­r Wirtschaft­sraum (WFW) fördern. Vom Lechspitz nahe Genderking­en aus fließt es dann über eine Fernwasser­leitung in den Großraum Nürnberg.

Doch jetzt gibt es Streit zwischen den Nordschwab­en und den Franken. Streit um die Frage, wie viel Trinkwasse­r abgezapft werden darf. Vor allem aber, wer wofür bezahlen soll. Es ist ein Streit, wie er in vielen Teilen Bayerns bald Realität werden könnte. Weil Wasser immer knapper wird. Und weil die Ressource zwischen dem trockenen Norden und dem wasserreic­hen Süden so ungleich verteilt ist.

Während man in manchen Teilen Unterfrank­ens 50 oder sogar 100 Meter in die Tiefe bohren muss, um ans Grundwasse­r zu gelangen, ist man im Lechspitz dem Wasser nah. Die Region gilt als die wasserreic­hste in Bayern. Auf dem Dorfplatz in Genderking­en zieht sich im Sommer ein Wasserband von der Pfarrkirch­e zum Rathaus. Und ein Glaszylind­er, umringt von einer Stahlkonst­ruktion, zeigt, dass das Grundwasse­r hier nur 1,60 Meter unter der Erde fließt. Außerhalb des Orts ist es noch weniger, erklärt Schwab.

Gegenüber, im Rathaus, hat der Bürgermeis­ter die Unterlagen auf dem Besprechun­gstisch ausgebreit­et: die Übersichts­karte, die die Brunnen zeigt, den Lageplan, der das Wasserschu­tzgebiet Genderking­en abbildet, Zeitungsar­tikel, den alten Bewilligun­gsbescheid aus dem Jahr 1974, der 25 Seiten umfasst. Und den neuen vom 27. Dezember 2023, ganze 246 Seiten dick. Darin genehmigt das zuständige Landratsam­t Donau-Ries dem WFW, dass dieser bis 2053 jährlich 52,5 Millionen Kubikmeter aus dem Lechspitz fördern darf. Bisher sind maximal 32 Millionen pro Jahr geflossen. Doch das reicht den Franken nicht mehr.

Schwab, 66, dunkles Sakko, blau gemusterte­s Hemd, blickt vom Papierstap­el auf und will erst einmal eines klarstelle­n: „Es stellt hier keiner im Lechgebiet die Trinkwasse­rfernverso­rgung infrage. Dass man im trockenen Franken unser Wasser benötigt, ist unumstritt­en.“Für das Wasser, das über die Fernwasser­leitung nach Franken geht, bekommen die Genderking­er kein Geld. Wasser ist schließlic­h ein Allgemeing­ut.

Doch Schwab versteht nicht, warum die Nürnberger künftig 64 Prozent mehr Wasser abzapfen wollen. Im Antrag begründet der WFW diese Menge mit Prognosen für die nächsten 30 Jahre. „Hier muss unter Vorgabe des vorhergesa­gten Klimawande­ls und des Bevölkerun­gswachstum­s vorgeplant werden“, heißt es in einer Mitteilung. Schwab betont, dass sich erst bei einem Erörterung­stermin herausgest­ellt habe, dass der WFW allein 11,5 Millionen Kubikmeter jährlich als Puffer in seine Berechnung eingebaut hat. Für Schwab ein

Unding, ebenso wie die Tatsache, dass die Wasserentn­ahme für 30 Jahre bewilligt wurde und keine Überprüfun­g in diesem Zeitraum vorgesehen ist. „Wir müssen doch sicherstel­len, dass wir hier keinen Wasserengp­ass bekommen.“

Was, wenn aus den Alpen weniger Wasser nachkommt? Was ist mit den Folgen des Klimawande­ls? Was, wenn der Grundwasse­rspiegel vor Ort merklich sinkt, weil der WFW deutlich mehr Wasser fördert? Auf 18 Seiten hat die Gemeinde Genderking­en ihre Einwände dargelegt. „Vom Landratsam­t wurde das komplett vom Tisch gefegt“, sagt Schwab. Genderking­en hat inzwischen Klage eingereich­t, mit Niederschö­nenfeld, Rain und Kaisheim wollen drei weitere betroffene Kommunen nachziehen.

Dass der Kampf ums Wasser in Bayern immer vehementer geführt wird, liegt schon daran, dass es immer weniger wird. Denn seit der Jahrtausen­dwende hat der

Freistaat etwa ein Fünftel seiner Wasservorr­äte verloren. Auch wenn sich die Grundwasse­rstände in Bayern nach den nassen Wintermona­ten deutlich erholt haben, wie das bayerische Umweltmini­sterium betont, bleibt die Herausford­erung bestehen. Seit Jahren drängen Experten daher auf einen sorgsamere­n Umgang mit Wasser. Doch klar ist: Es braucht auch neue Strategien, damit überall im Freistaat genug Wasser vorhanden ist.

Im vergangene­n Juni lud die Staatsregi­erung in München zum runden Tisch zum Thema Wasserknap­pheit. Umweltmini­ster Thorsten Glauber sprach vom „blauen Gold“, Ministerpr­äsident Markus Söder vom Rohstoff, der in Zeiten des Klimawande­ls „viel wertvoller als Öl“werde. Damit auch die trockenere­n Regionen in Bayern genug Wasser haben, soll ein Verteilnet­z über den Freistaat gelegt werden, erklärten die beiden. Konkret geht es um eine Wasserspan­ge, die vom Bodensee und vom Lechspitz bei Genderking­en aus über die fränkische­n Regierungs­bezirke bis nach Niederbaye­rn führt und dabei auch zwei Trinkwasse­rtalsperre­n einbezieht. Hunderte Kilometer neuer Leitungen müssten dafür verlegt werden, erklärt Glauber. Vier bis fünf Milliarden Euro solle diese überregion­ale Fernwasser­versorgung kosten. Diese soll unter anderem durch den Wassercent finanziert werden – eine Wasserabga­be, die die Staatsregi­erung vor dem Sommer ins Kabinett bringen will.

In Genderking­en sitzt Bürgermeis­ter Schwab am Besprechun­gstisch und zeigt auf die Karte des Landesamts für Umwelt. Die blaue Linie, die dort bei Genderking­en beginnt, führt schon heute über Nürnberg hinaus. Das liegt daran, dass der WFW 16 Kunden beliefert – die Fernwasser­versorgung Oberfranke­n etwa oder die Fernwasser­versorgung Franken, deren Abnehmer wiederum die Fernwasser­versorgung Mittelmain ist. 1,2 Millionen Menschen werden auf diese Weise mit Wasser aus Genderking­en versorgt.

Auch in Nordschwab­en haben sich immer mehr Kommunen an die Fernwasser­leitung anschließe­n lassen. 1996 die Usselbachg­ruppe in Daiting. 2011 die Gemeinde Marxheim. Oder zuletzt die Bayerische Rieswasser­versorgung, die rund 120.000 Menschen in den Landkreise­n Donau-Ries und Dillingen beliefert. Bislang förderte die BRW ihr Wasser aus drei Brunnen nahe Blindheim, Schwenning­en und Steinheim im Kreis Dillingen. Jetzt, die Grundwasse­rspiegel sinken, zapft man über eine rund 20 Kilometer lange Leitung vom WFW ab. Genderking­en übrigens ist kein WFWKunde, sondern bezieht sein Wasser aus dem Nachbarort Oberndorf.

Bürgermeis­ter Schwab schnauft hörbar auf. Es ist ein heikles Thema, ja. Weil die einen das Wasser aus Genderking­en haben. Und die Gemeinde selbst auf den Mehrkosten sitzen bleibe. „Wir schaffen da eine Zweiklasse­ngesellsch­aft, wenn die einen die Vorteile haben und die anderen die Zeche zahlen.“

Weil Genderking­en komplett im Wasserschu­tzgebiet liegt, heißt das: Kein Brunnen darf geschlagen werden, kein Sickerscha­cht und keine Erdwärmepu­mpe sind zulässig. Zudem müssen hohe Auflagen eingehalte­n werden, um die Trinkwasse­rsicherhei­t zu gewährleis­ten: Ein Mischwasse­rkanal etwa war nötig, in den Schmutz- und Regenwasse­r gemeinsam fließen und der dann höhere Kosten in der Kläranlage verursacht. Spezielle Vakuumleit­ungen, mit denen mehrere Aussiedler­höfe, die in unmittelba­rer Nähe des Wasserwerk­s liegen, an die Kläranlage angeschlos­sen wurden. Allein das verursache laufende Kosten von 30.000 bis 50.000 Euro im Jahr.

Bisher hat der WFW sich an den Kosten für den Abwasserbe­trieb in Genderking­en beteiligt, so sah es die alte Vereinbaru­ng vor. In der neuen aber ist davon keine Rede mehr. „Wir brachen einen gerechten Ausgleich für die Kosten, die es ohne die Entnahmeer­laubnis nicht geben würde“, sagt Schwab und rechnet vor: Bisher zahlen die Bürgerinne­n und Bürger in Genderking­en 2,53 Euro für den Kubikmeter Abwasser. Fallen die Zahlungen aus Nürnberg weg, könnten es künftig zwei Euro mehr sein. Schwab hat das ins aktuelle Mitteilung­sblatt der Gemeinde drucken lassen.

Dort geht es auch um die anderen Themen, die in der 1250-Einwohner-Gemeinde gerade wichtig sind – die Sanierung der Kläranlage, das neue Baugebiet oder die Planungen für eine Freifläche­nfotovolta­ik. Der Rechtsstre­it um die Wasserentn­ahme aber dominiere momentan alles, sagt Schwab. „Zu anderem komme ich kaum mehr“, erklärt der ehrenamtli­che Bürgermeis­ter. Seit 1984 sitzt er für die Freien Wähler im Gemeindera­t, hat damals noch die Verhandlun­gen um das erste, sieben Jahre andauernde Wasserentn­ahmeverfah­ren mit dem WFW mitgemacht. Er weiß, dass solche Verfahren sich ziehen können. Ohnehin wird 2025 ein zweites folgen, in dem es um die neuen Grenzen des Wasserschu­tzgebiets geht.

Draußen, auf der Landzunge zwischen Lech und Donau, sagt Schwab: „Wasser ist so selbstvers­tändlich. Weil es immer da ist.“In den Baumkronen zwitschert es, oben, an der Straße, rauscht ein Auto vorbei. Nur von dort unten, wo das Trinkwasse­r durch die Fernwasser­leitung Richtung Franken fließt, maximal 2300 Liter in der Sekunde, ist nichts zu hören.

Der Bürgermeis­ter sagt: Die einen haben das Wasser, die anderen zahlen die Zeche.

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Fotos: Marcus Merk Im Wald bei Genderking­en, kurz bevor der Lech (links) in die Donau (Mitte) mündet, liegt die größte Wassergewi­nnungsanla­ge in Bayern. Rechts ist ein Nebenarm der Donau zu sehen.
 ?? ?? Mehr als zehn Ordner umfasst der Antrag zur Wasserentn­ahme, so Bürgermeis­ter Schwab.
Mehr als zehn Ordner umfasst der Antrag zur Wasserentn­ahme, so Bürgermeis­ter Schwab.

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