Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Warum so viele Syrer nach Deutschlan­d kommen

Seit Langem machen Schutzsuch­ende aus dem arabischen Land den größten Anteil in hiesigen Asylstatis­tiken aus. Dass der Bürgerkrie­g schon in sein 14. Jahr geht, ist aus der öffentlich­en Wahrnehmun­g fast verschwund­en.

- Von Margit Hufnagel

Sie überqueren das Mittelmeer in der Hoffnung auf ein besseres Leben, und das in großer Zahl: Flüchtling­e aus Syrien machen seit Jahren die größte Gruppe unter jenen aus, die in Deutschlan­d einen Antrag auf Asyl stellen – ein Ende der Fluchtbewe­gung scheint nicht in Sicht. Zahlen des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e (Bamf) in Nürnberg zeigen: Etwa drei Fünftel der seit Jahresbegi­nn gestellten Asylanträg­e entfielen auf die drei Hauptherku­nftsländer Syrien, Afghanista­n und die Türkei. Allein aus Syrien kamen 14.024 Erstantrag­steller.

Die Chance, dass sie in Deutschlan­d bleiben dürfen, ist für Syrerinnen und Syrer vergleichs­weise hoch. Mehr als 88 Prozent der Anträge aus Syrien wurden im vergangene­n Jahr positiv beschieden – das heißt, es wurde ein Schutzstat­us gewährt. Zum Vergleich: Bei den Antragstel­lern aus Afghanista­n lag die Quote bei 76,5 Prozent. Nur 13 Prozent der Asylsuchen­den aus der Türkei erhielten im Jahr 2023 einen Schutzstat­us. Im Schnitt lag die Schutzquot­e über alle Herkunftsl­änder bei 51,7 Prozent – fast die Hälfte der Asylbewerb­er werden also abgelehnt. „Maßgeblich ist die Gefahr, die bei einer möglichen Rückkehr droht“, so eine Sprecherin des Bamf gegenüber unserer Redaktion. „Dementspre­chend ist auch die hohe Gesamtschu­tzquote für syrische Asylantrag­stellende auf den von Ihnen angesproch­enen seit Frühjahr 2011 anhaltende­n Konflikt zurückzufü­hren.“

Doch warum kommen überhaupt nach wie vor so viele Menschen aus Syrien nach Deutschlan­d? „Die Syrien-Krise bleibt eine der größten Vertreibun­gskrisen der Welt mit rund zwölf Millionen Menschen, die ihre Heimat verloren haben“, sagt Peter Ruhenstrot­h-Bauer, Nationaler Direktor der UNO-Flüchtling­shilfe. Der Krieg, von dem viele Menschen annehmen, er sei längst beendet, geht in diesen Tagen in sein 14. Jahr. Am 15. März 2011 war es in Syrien im Zuge der arabischen Aufstände erstmals zu Protesten gegen Präsident Baschar al-Assads Führung

gekommen. Dessen Sicherheit­skräfte gingen mit Gewalt gegen die Demonstran­ten vor.

Daraus entwickelt­e sich ein Bürgerkrie­g mit internatio­naler Beteiligun­g, der nicht nur Hunderttau­sende Leben kostete, sondern auch bis heute andauert – mit dramatisch­en Folgen für die Einwanderu­ngsstatist­ik: Seit dem Jahr 2014 stehen Menschen aus Syrien durchgängi­g auf Platz eins der deutschen Asylstatis­tik. Und nicht nur dort – denn die meisten syrischen Flüchtling­e leben nahe ihrer Heimat: „Mehr als fünf Millionen syrische Flüchtling­e sind in den Nachbarlän­dern registrier­t und etwa sieben Millionen leben als Vertrieben­e in Syrien selbst“, sagt Ruhenstrot­h-Bauer. Die humanitäre und wirtschaft­liche Lage habe sich in den vergangene­n Jahren sogar weiter verschlech­tert – sowohl in Syrien als auch in den wichtigste­n Aufnahmelä­ndern wie der Türkei, dem Libanon und Jordanien.

Das habe zur Folge, dass auch der Stress und Druck auf die Gastgemein­den immer stärker wird. Und die Motivation, weiter nach Europa zu ziehen, größer wird.

„Für die syrischen Flüchtling­e und Vertrieben­en wird die Lage immer verzweifel­ter“, sagt der UNExperte.

90 Prozent der Flüchtling­e in Jordanien, Libanon und Ägypten seien stark verschulde­t, sie leihen sich Geld von Freunden und Nachbarn, um ihren täglichen Lebensbeda­rf decken zu können. „Um nur ein Beispiel zu nennen: In Jordanien hat sich das durchschni­ttliche Einkommen der Syrer innerhalb kürzester Zeit, zwischen dem vierten Quartal von 2022 und dem ersten Quartal von 2023, um zwölf Prozent verringert“, sagt Ruhenstrot­h-Bauer. „Die sich ständig verschlech­ternde wirtschaft­liche Lage in den Aufnahmelä­ndern, wie zum Beispiel die explodiere­nde Inflation in der Türkei und im Libanon, trägt zu einer beschleuni­gten Verarmung der syrischen Flüchtling­e bei. Ausbeutung, vermehrte Kinderarbe­it sowie Frühund Zwangsheir­aten von Mädchen sind die schrecklic­hen Folgen.“

Und doch spielt die soziale Komponente bei Entscheidu­ngen, wer in Deutschlan­d bleiben darf,

eine untergeord­nete Rolle. Asylberech­tigt ist, wer in seiner Heimat schweren Menschenre­chtsverlet­zungen ausgesetzt ist. NDR und WDR berichtete­n kürzlich aus dem vertraulic­hen Asyllagebe­richt des Auswärtige­n Amtes zu Syrien: In dem Schreiben von Anfang Februar werde festgehalt­en, dass die „systematis­che Verfolgung“von Opposition­sgruppen und anderen Regimekrit­ikern und Feinden des Regimes „unveränder­t“andauere. Willkürlic­he Verhaftung­en, so zitieren NDR/WDR, mit „häufig daran anschließe­nder Isolations­haft“seien ein „allgegenwä­rtiges Phänomen“– ebenso das sogenannte „Verschwind­enlassen“von Personen.

Mehr als 100.000 Menschen würden in Syrien mittlerwei­le als vermisst gelten, die meisten von ihnen seien Männer und viele von ihnen dürften tot sein. Auch aus diesen Gründen werden seit Jahren keine Geflüchtet­en nach Syrien abgeschobe­n. Gefährder oder Straftäter werden in kleiner Zahl in sichere Drittstaat­en gebracht.

Zwar sitzt Baschar al-Assad wieder fest im Sattel, nimmt sogar an internatio­nalen Gipfeln teil. Die Regierung beherrscht wieder zwei Drittel des Landes. Doch im Land selbst sind immer noch Milizen und Rebellengr­uppen aktiv. Immer wieder flammt Gewalt auf. Der Islamische Staat (IS) kontrollie­rt keine Gebiete mehr, verübt aber immer wieder Anschläge, zuletzt starben bei einem mutmaßlich­en IS-Angriff im Osten des Landes mindestens 18 Menschen. Die Regierung finanziert sich unter anderem durch Drogenhand­el. Eine echte politische Lösung für Syrien ist nicht in Sicht. Inzwischen bombardier­t

Das Regime verfolgt nach wie vor Opposition­sgruppen und Kritiker.

auch Israels Luftwaffe regelmäßig Ziele im benachbart­en Syrien. Der Grund: Dort sollen Waffenlage­r der proiranisc­hen Milizen eingericht­et worden sein.

„Natürlich müsste der Konflikt schnellste­ns beendet werden“, mahnt UN-Experte Peter Ruhenstrot­h-Bauer. Doch eine politische Einigung und ein baldiger Friedenssc­hluss seien nicht in Sicht. „Darüber hinaus bräuchte Syrien wieder dringend mehr internatio­nale Aufmerksam­keit“, sagt Ruhenstrot­h-Bauer. Andere Konflikte stünden aktuell in den Schlagzeil­en, wie Gaza und die Ukraine. „Und es fehlen einfach die Hilfsgelde­r, um den Flüchtling­en Zukunftspe­rspektiven und ein Leben in Würde zu ermögliche­n.“

Die Syrien-Hilfe sei drastisch unterfinan­ziert: Laut regionalem Hilfsplan des UN-Flüchtling­shilfswerk­s (UNHCR) und des UN-Entwicklun­gsprogramm­s (UNDP) werden fast sechs Milliarden USDollar für die Syrien-Hilfe benötigt. „Von diesem Betrag sind erst 22 Prozent angekommen“, sagt der Flüchtling­sexperte. Im Libanon, wo 785.000 syrische Flüchtling­e aufgenomme­n wurden, stünden aktuell sogar nur 18 Prozent der benötigten Summe zur Verfügung.

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Foto: Thomas Baier, dpa Lange Zeit Alltag für die Bundespoli­zei: Geflüchtet­e aus Syrien und der Türkei werden hinter der deutschen Grenze aufgegriff­en.

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