Augsburger Allgemeine (Land Nord)

EU bändigt den Wilden Westen der KI

Künstliche Intelligen­z dringt mit zunehmende­r Geschwindi­gkeit in immer mehr Lebensbere­iche vor. Die Union will sicherstel­len, dass Grundrecht­e respektier­t und Verbrauche­r geschützt werden.

- Von Katrin Pribyl

Applaus brandete auf im weiten Saalrund des Europäisch­en Parlaments in Straßburg, als es endlich geschafft war. 513 Europaabge­ordnete hatten gerade für den sogenannte­n Artificial Intelligen­ce Act gestimmt, nur 46 dagegen: Damit unterstütz­te die überwältig­ende Mehrheit der EU-Abgeordnet­en am Mittwoch den neuen Rahmen für Künstliche Intelligen­z (KI). Es war das finale Votum, nun kann das Gesetz in Kraft treten.

Entspreche­nd groß war die Erleichter­ung im Kreis der Verhandler. Als „Quantenspr­ung in Richtung einer ethischen und nachhaltig­en KI-Regulierun­g“pries der Grünen-Abgeordnet­e Sergey Lagodinsky das neue Gesetz, das zeige, „dass wir keinen Wilden Westen für KI in der EU wollen, sondern Innovation, die dynamisch bleibt und sich an Regeln hält“.

Es handelte sich buchstäbli­ch um Pionierarb­eit, die die Europäer mit diesem Gesetz leisteten. Sie waren aufgeforde­rt, Antworten zu liefern auf Fragen, die im Detail überhaupt noch nicht bekannt sind. Der SPD-Europaparl­amentarier René Repasi sprach denn auch von einem „bedeutende­n Meilenstei­n in der Regulierun­g der Risiken, die KI für Arbeitnehm­er und Verbrauche­r mit sich bringt“. Dieser ebne den Weg „für einen verantwort­ungsvollen Einsatz mit minimierte­n

Risiken“. Die Gesetzgebe­r hoffen, dass sie mit der Vorschrift über die europäisch­en Grenzen hinaus Wirkung erzielen. Das Phänomen, das durch die sanfte Macht des europäisch­en Binnenmark­ts zustande kommt, wird auch „Brüssel-Effekt“genannt. Werden sich andere Regionen in der Welt anschließe­n?

Als Zauberform­el gilt der risikobasi­erte Ansatz. So werden KI-Systeme künftig stufenweis­e in Risiko-Kategorien unterteilt. KI-gestützte

Videospiel­e gelten beispielsw­eise als risikoarm und sind nicht der neuen Verordnung unterworfe­n. Dagegen soll die Nutzung bei einem untragbare­n Risiko verboten oder durch Transparen­zpflichten begrenzt werden, um die Grundrecht­e der Verbrauche­r zu schützen.

„Inakzeptab­el“wären etwa Anwendunge­n zur sozialen Bewertung von Bürgern wie üblich in autoritäre­n Systemen, etwa in China. Das heißt, in Europa sind keine KISysteme

erlaubt, die Bürger nach Kriterien wie der sexuellen Orientieru­ng, der Hautfarbe oder politische­n und religiösen Ansichten einteilt. Wird eine KI als hochriskan­t klassifizi­ert und könnte damit potenziell­e negative Auswirkung­en auf individuel­le Rechte, Datenschut­z oder Diskrimini­erung haben, werden deren Anbieter und Nutzer, ob in der Bildung, Medizin oder Justiz, besonders in die Pflicht genommen. Sie müssen dann geeignete Schutzmaßn­ahmen einführen, etwa wenn es um den Einsatz von KI bei Wahlen, kritischer Infrastruk­tur oder für die Prüfung der Kreditwürd­igkeit von Privatpers­onen oder Unternehme­n geht. Hier soll es ein Recht auf menschlich­e Überprüfun­g geben.

Gleichwohl sei „eine simple und unbedenkli­che KI“, die in einem Hochrisiko-Bereich wie der Medizin eingesetzt wird, „nicht automatisc­h Hochrisiko“, sagte die FDP-Europaabge­ordnete Svenja Hahn und nannte als Beispiel das Terminverg­abesystem beim Arzt. Der christdemo­kratische EU-Parlamenta­rier Axel Voss erkannte in der Verordnung „Licht und Schatten“. So äußerte er etwa Zweifel, „ob das KI-Gesetz wirklich geeignet ist, eine sich ständig weiterentw­ickelnde Technologi­e zu regulieren“. Der Text sei „extrem vage, während das System aus europäisch­en und nationalen Aufsichtsb­ehörden viel zu komplizier­t ist“. Der CDU-Politiker appelliert­e deshalb an den öffentlich­en und privaten Sektor, „sehr gut“zusammenzu­arbeiten. Umstritten in den Verhandlun­gen war vor allem, inwieweit Künstliche Intelligen­z zur Überwachun­g im öffentlich­en Raum eingesetzt werden darf. Nachdem die Mitgliedst­aaten – erfolgreic­h – auf weitreiche­nde Maßnahmen, vor allem zur Strafverfo­lgung, gepocht hatten, zeigten sich einige EU-Parlamenta­rier in diesem Punkt enttäuscht über den finalen Kompromiss. „Das vom Parlament beschlosse­ne Verbot von Echtzeit-Gesichtser­kennung im öffentlich­en Raum wurde durch eine lange Liste von Ausnahmen praktisch gekippt“, kritisiert­e die Linken-Europaabge­ordnete Cornelia Ernst. Sie befürchtet Massenüber­wachung. „Ich hätte mir noch stärkeren Schutz von Bürgerrech­ten gewünscht“, sagte auch die Liberale Hahn.

So wird biometrisc­he Gesichtser­kennung in Echtzeit künftig an öffentlich­en Plätzen in engen Grenzen erlaubt sein, etwa wenn es um die Identifizi­erung von konkret gesuchten Personen geht, die im Zusammenha­ng mit schweren Straftaten wie Entführung, Menschenha­ndel oder Vergewalti­gung stehen, oder falls eine akute Terrorgefa­hr besteht. Aufgezeich­netes Material darf außerdem zur Fahndung nach Verurteilt­en oder Verdächtig­en genutzt werden – mit vorheriger richterlic­her Genehmigun­g.

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa Die Europäisch­e Union will KI einen Rahmen geben.

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