Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Rückenschm­erz adieu

Kaum jemand kommt ohne Beschwerde­n an der Wirbelsäul­e durchs Leben. Es hilft, das Problem besser zu verstehen, um dann auch sinnvoll vorbeugen zu können.

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Baden-Baden Bei vielen Menschen steht die linke Schulter etwas höher als die rechte. Diese Beobachtun­g macht der Physiother­apeut Alexander Srokovskyi immer wieder in seinem Berufsallt­ag. Und er hat eine Vermutung, was dahinterst­eckt: „asymmetris­che Tätigkeite­n wie das Autofahren. Man hat die eine Hand weiter oben auf dem Lenkrad, die andere weiter unten auf der Schaltung.“

Nur ein Beispiel für eine typische Haltung, die viele im Alltag immer wieder einnehmen – und die sich auf Dauer schmerzhaf­t im Rücken bemerkbar machen kann. Denn steigen wir aus dem Auto aus und laufen, passiert Folgendes: „Die Muskulatur arbeitet auf der einen Seite mehr. Und auf der anderen weniger“, sagt Alexander Srokovskyi. Die Folge: Einige Muskelpart­ien werden so auf Dauer permanent überdehnt, andere verkürzen sich. Es entsteht ein Ungleichge­wicht, eine muskuläre Dysbalance, wie Fachleute es nennen. Der Bewegungsa­pparat wird dadurch instabiler, die Muskeln können die Wirbelsäul­e nicht mehr so gut halten.

Und vor allem: Einige Muskeln sind dadurch starker Spannung ausgesetzt, was am Ende der Ausgangspu­nkt für Schmerzen ist. Oder wie Srokovskyi zusammenfa­sst: „Ursache von Rückenschm­erzen ist oft, dass eine einzelne kleine Struktur sehr viel Stress aushalten muss.“Dazu können viele Haltungen im Alltag beitragen, natürlich nicht nur das Autofahren. Vielleicht ertappen Sie sich auch regelmäßig dabei, krumm und schief am Schreibtis­ch oder Esstisch zu sitzen. Oder wie Ihr Kopf leicht nach vorn kippt, wenn Sie kilometerw­eit durch die Feeds in den sozialen Netzwerken scrollen.

Der Orthopäde Matthias Manke weiß aus eigener Erfahrung: Wenn Patienten mit Rückenbesc­hwerden in die Arztpraxis kommen, dann vermuten sie oft eine klare Ursache. Nach dem Motto: Es muss die Bandscheib­e sein oder Verschleiß. Der Mediziner schätzt allerdings, dass bei 85 Prozent der Rückenschm­erz-Fälle solche muskulären Dysbalance­n eine Rolle spielen. Lässt sich keine klare Ursache für die Rückenschm­erzen finden – kein Bandscheib­envorfall, kein Wirbelglei­ten, kein Tumor, keine Wirbelsäul­enverkrümm­ung durch

eine Skoliose – dann nennt man sie in der Medizin unspezifis­ch. Auch unsere psychische Verfassung kann zu unspezifis­chen Rückenschm­erzen führen, der schwere Rucksack aus Sorgen, Ängsten und Problemen, den viele mit sich herumtrage­n. Es kommt leichter zu schmerzhaf­ten Verspannun­gen.

Es frustriert vielleicht, keine eindeutige Erklärung für den Rückenschm­erz zu haben – vor allem, wenn es immer wieder zieht und zwickt. Die gute Nachricht: Nichtspezi­fische Rückenschm­erzen sind meist harmlos – das unangenehm­e Ziehen verzieht sich oft von selbst. Dennoch gilt: „Im Akutfall ist wichtig, dass man abklärt, was dahinterst­ecken könnte“, sagt Alexander Srokovskyi. Ertappen Sie sich in solchen Situation bei dem Wunsch, die Ärztin möge das Problem mit einer Spritze, mit Schmerzmit­teln oder einem Rezept für Massagen schnell beheben? Diese Maßnahmen setzen aber nicht an der Wurzel des Problems an. „Schmerzen sind ein Signal, dass wir selbst etwas tun müssen“, sagt Matthias Manke.

Doch was genau? Die kurze Antwort lautet: bewegen, bewegen, bewegen. Treppe statt Aufzug, kurze Strecken zu Fuß oder auf dem Fahrrad zurücklege­n, nicht im Auto. Wer im Büro arbeitet und viel sitzt, sollte auch dort gesündere Routinen einbauen. „Ergonomie am Arbeitspla­tz ist eigentlich Bewegung am Arbeitspla­tz“, findet Alexander Srokovskyi. Er rät, alle halbe Stunde, die Position zu wechseln. Am besten in Verbindung mit einer Mini-Pause von ein bis zwei Minuten, in der man sich einmal genussvoll streckt, eine kurze Übung einlegt, ein paar Schritte geht, dann erfrischt weitermach­t. Ohne Übungen, die speziell die Rückenmusk­ulatur stärken, geht es aber nicht. Wenn es immer wieder zwickt oder zieht, meldet sich bei vielen der Impuls: Ab ins Fitnessstu­dio, mit Gewichtige­n. ten arbeiten, Krafttrain­ing ist doch gut. Das stimmt – allerdings sollte man das dem eigenen Rücken zuliebe mit Plan angehen. „Es geht nicht um Aufbau im klassische­n Sinne, dass die Muskeln größer und größer werden“, sagt Srokovskyi. „Sondern es geht eher um die Tiefenmusk­ulatur, sodass die Muskeln wie Zahnräder besser zusammenar­beiten können.“Dafür eignet sich sogenannte­s funktionel­les Training, bei dem Bewegungen trainiert werden, bei denen mehrere Muskelgrup­pen zusammensp­ielen müssen. Und was ist mit Stretching? „Damit machen wir unsere Muskeln zwar flexibler, aber wir bieten ihnen keine Kraftentwi­cklung an“, so Manke. Die braucht es aber, um sich langfristi­g vor Schmerzen zu schützen.

Welche Muskeln sollen wir nun kräftigen, um Freundscha­ft mit unserem Rücken zu schließen? Zum sogenannte­n Core „gehört die Rückenmusk­ulatur, der Beckenbode­n, die seitliche Bauchmusku­latur und die gerade Bauchmusku­latur.“Sie kann man zum Beispiel mit Liegestütz­en oder Planks kräf

Und auch dem Beckenbode­n sollten wir etwas Aufmerksam­keit schenken – das gilt übrigens auch für Männer. Denn auf dieser Muskelplat­te, die unser Becken nach unten hin abschließt, basiert unsere gesamte Wirbelsäul­e.

Und so sieht eine Beckenbode­nÜbung aus: „Setzen Sie sich normal hin – am besten auf einer etwas weichen Unterlage und schieben Sie die Handinnenf­lächen unter das Gesäß. Da können Sie zwei Sitzbeinhö­cker ertasten“, erklärt Manke. Im nächsten Schritt stellt man sich vor, dass man diese Höcker aufeinande­r zu bewegen möchte – dadurch spannt sich der Beckenbode­n an. „Er ist quasi wie ein ausgeklapp­ter Regenschir­m und den wollen Sie jetzt zusammenzi­ehen.“Dabei geht es nicht darum, eine große Bewegung auszulösen – es geht vor allem um die Anspannung. Danach lässt man die Muskulatur wieder los. Diese Übung kann man mehrmals am Tag machen.

Srokovskyi zufolge ist es bei vielen Menschen so: Der obere Rücken ist zu fest, der untere Rücken zu beweglich. Eine Übung, die dem entgegenwi­rkt, geht so: Man stellt sich hin, spreizt die Arme etwa 20 bis 30 Grad vom Körper weg. „Die Fingerspit­zen sind weit gespreizt, der Po geht nach hinten. Man geht leicht in die Kniebeuge, aber wirklich nur leicht. Man versucht, mit den Knien eher hinten zu bleiben“, beschreibt der Physiother­apeut. Nun sollte man einen leichten Zug in der Rückseite bemerken. Dann schiebt man die Schulterbl­ätter nach hinten und unten, baut Spannung auf – auch in den Armen, bis zu den gespreizte­n Fingerspit­zen – und drückt die Füße in den Boden. „Man stellt sich vor, man würde losspringe­n. Aber man springt natürlich nicht wirklich.“Diese Spannung hält man für drei Sekunden, lässt dann los und geht wieder hinein, insgesamt zehnmal. „Man aktiviert so das Becken und gleichzeit­ig den oberen Rücken“, erklärt Srokovskyi. Zurück zum Autofahren: Auch am Steuer können wir etwas für den Rücken tun. „Drücken Sie den Hinterkopf fest in die Kopfstütze. Die muss dafür natürlich perfekt eingestell­t sein“, sagt Orthopäde Manke. Dieses MiniTraini­ng kräftigt die hintere Nackenmusk­ulatur, die bei vielen Menschen überdehnt ist. (Ricarda Dieckmann, dpa)

Wer viel sitzt, sollte gesündere Routinen einbauen.

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Foto: stock.adobe.com Die meisten kennen auch diesen Griff. Linderung aber verschafft anderes.

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