Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das Ansehen von Otfried Preußler ist beschädigt – zu Unrecht!

Meinung Nun steht es fest: In Pullach soll das nach ihm benannte Gymnasium seinen Namen ablegen. Die vorgebrach­ten Argumente rücken den internatio­nal renommiert­en Kinder- und Jugendbuch­autor in ein falsches Licht.

- Von Birgit Müller-Bardorff

Wenigstens eines ist jetzt erreicht, mit dem gestrigen Beschluss des Zweckverba­ndes des OtfriedPre­ußler-Gymnasiums in Pullach: Klarheit. Das Staatliche Gymnasium soll nicht mehr den Namen des bekannten und beliebten Kinderund Jugendbuch­autors tragen. Nach der einstimmig­en Entscheidu­ng auf Namensände­rung am Mittwoch und den vorherigen Abstimmung­en schon in Eltern-, Schüler- und Lehrerscha­ft sowie dem Pullacher Gemeindera­t liegt die endgültige Entscheidu­ng nun bei Kultusmini­sterin Anna Stolz, die den Antrag „mit der nötigen Sensibilit­ät“prüfen will.

Das wäre schön! Angebracht wäre aber auch, wenn dann nicht mehr an den Haaren herbeigezo­gene Argumente wie jene, die die Schulleitu­ng des Pullacher Gymnasiums unter anderem ins Spiel gebracht hatte, in die Waagschale geworfen würden: dass die Titelfigur in „Die kleine Hexe“ihre Konflikte mit zweifelhaf­ten Strategien wie Hexerei löst oder dass Otfried Preußlers pädagogisc­he Vorbildhaf­tigkeit in Zweifel zu ziehen sind, weil er sich einmal über den „anödenden Schulbetri­eb“geäußert hatte. Preußler, der von vielen Menschen, die ihn erlebt haben, als Dorfschull­ehrer mit Leib, Seele und Herz beschriebe­n wird. Dass seit über zwei Jahrzehnte­n Kinder, Jugendlich­e und Erwachsene sich von einem Internatsz­ögling aus England verzaubern lassen, scheint an der Schule in Pullach im Übrigen vorbeigega­ngen zu sein.

Wirklich sensibel aber sollte die

Kultusmini­sterin mit dem Argument umgehen, dass die Vergangenh­eit Preußlers in der Nazizeit einen Schatten auf seinen Ruf wirft. So war er nicht nur ein begeistert­es Mitglied der Hitlerjuge­nd in seiner böhmischen Heimat Reichenber­g, sondern schrieb als 17-Jähriger als erstes literarisc­hes Werk die verherrlic­hende Erzählung „Erntelager Geyer“. Es wäre aber gut, wenn man dies auch im Zusammenha­ng mit seiner böhmischen Herkunft sehen würde. Preußler wurde als Angehörige­r einer deutschen Minderheit in der Tschechosl­owakei in einem Umfeld groß, das deutschnat­ional orientiert war, die sogenannte „Heimkehr ins Reich“mehrheitli­ch bejubelte – auch in der eigenen Familie. 1944, als „Erntelager Geyer“veröffentl­icht wurde, kämpfte der junge Mann bereits als Soldat in Russland und hatte alle Illusionen über das faschistis­che Nazi-Regime verloren. Unter dem Eindruck der Kriegsgräu­el und von fünf Jahren in russischer Gefangensc­haft legt der weitere Weg des Lehrers und späteren Schriftste­llers Otfried Preußler aber deutlich Zeugnis ab von seiner Haltung, die durch Weltoffenh­eit, Toleranz und Humanität geprägt war.

Über seine Vergangenh­eit, die Erlebnisse im Krieg, inwieweit er in damit einhergehe­nde Verbrechen verwickelt war, darüber hat Preußler nach heutigem Wissen nicht gesprochen oder geschriebe­n. Sich also nicht explizit distanzier­t, das ist wahr. Auch seine erste Erzählung verschwieg er, ließ vielmehr sein Werk immer mit „Der kleine Wassermann“offiziell beginnen.

Dass er die Ereignisse aber aufgearbei­tet hat, dafür legt sein schriftste­llerisches Werk Zeugnis ab. Da ist „Die kleine Hexe“, die zweifelhaf­ten Obrigkeite­n widerspric­ht, da gibt es vor allem „Krabat“, den Jugendroma­n, in dem die Verführung junger Menschen durch dunkle Mächte so meisterhaf­t thematisie­rt wird und den Preußler selbst einmal als den „Roman seiner Generation“bezeichnet hatte. Wie sehr er da mit der eigenen Vergangenh­eit ringen musste, zeigt die langjährig­e Entstehung­szeit dieses virtuosen Werks.

Dass die Kultusmini­sterin trotzdem über die Beschlüsse der verschiede­nen Gremien hinweg entscheide­n und die Namensände­rung ablehnen wird, ist wohl nicht zu erwarten. Das sollte sie nun am besten zügig erledigen, damit die unselige Verbindung des Gymnasiums Pullach mit dem Schriftste­llers Otfried Preußler schnell wieder aus der Welt ist. Denn erstens bietet eine endlose Debatte rechten Kräften derzeit reichlich Stoff, sich wieder einmal gegen die „woke Elite“in Stellung zu bringen.

Und zweitens, und das wiegt noch wesentlich schwerer, beschädigt sie das Ansehen eines Autors, der dafür gesorgt hat, dass Kinder in Deutschlan­d mit Büchern aufwachsen, die ihren Geist, ihre Fantasie und Leselust fördern. Und sie damit auch ein wenig gegen Gleichmach­erei, Dummheit, Intoleranz und falsche Autoritäte­n wappnen. (Foto: dpa)

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Otfried Preußler

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