Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Schluss mit Schlips
Aus Deutschlands Büros verschwindet ein Stück Kulturgeschichte: Mit der Krawatte fällt eine Erfindung der Barockzeit dem Wandel der Kleiderordnung zum Opfer.
Die Lockerung der Kleiderordnung in Unternehmen weltweit zieht einen dramatischen Einbruch der Ein- und Ausfuhren von Krawatten nach sich: In den zehn Jahren von 2014 bis 2023 sind die Importe nach Deutschland um zwei Drittel geschrumpft. Das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamts hervor, die der Modeverband Germanfashion zur Verfügung stellte.
Demnach wurden 2014 noch 14,4 Millionen Krawatten und Schleifen – der textile Fachbegriff für Querbinder und Fliegen – in die Bundesrepublik importiert, 2023 waren es nur noch knapp 4,8 Millionen. Auch die Ausfuhren sind um knapp 60 Prozent von 5,2 auf 2,1 Millionen Stück geschrumpft. „Wir befinden uns in einem äußerst schwierigen Fahrwasser, das wir in den letzten Jahren durch mehr Internationalität und durch höhere Diversifizierung meistern“, sagt Jan Moese, Chef des Krefelder Krawattenherstellers Ascot.
Das auf hochwertige Krawatten aus Seide spezialisierte Unternehmen ist mit seiner Schwesterfirma Hemley nach Moeses Angaben der einzig verbliebene Hersteller, der noch in Deutschland produziert. Doch auch mit dieser Sonderstellung ist der deutsche Markt allein zu klein. „Wir haben mittlerweile eine Exportquote von über 50 Prozent.“
Auch die Arbeit im Homeoffice ist eine unerfreuliche Entwicklung für Krawattenhersteller, denn nur die allerwenigsten Männer legen daheim den gleichen Wert auf Chic wie vor den Augen der Kolleginnen und Kollegen im Büro. Der Trend zu Casual Wear bei der Arbeit und im Homeoffice sei ungebrochen, Krawatten würden nur noch wenig getragen, meint Axel Augustin, der Geschäftsführer des Handelsverbands Textil Schuhe Lederwaren in Köln. „Leider ist der Markt für Krawatten weltweit schwierig, obwohl
es natürlich nationale Unterschiede gibt“, sagt Ascot-Geschäftsführer Moese.
Doch Dutzende anderer deutscher Krawattenhersteller haben in den vergangenen Jahrzehnten aufgegeben. Manche Fachleute machen die US-Technologieindustrie verantwortlich, deren Chefs in den
1970er-Jahren auf Krawatten verzichteten und damit zu modischen Trendsettern in der Geschäftswelt wurden. Manchmal wird auch der italienische Modemacher Giorgio Armani zum Schuldigen erklärt, weil dieser den Anzug mit dem T-Shirt kombinierte. Kulturgeschichtlich ist die Krawatte ein
Überbleibsel der Barockzeit, der Name verweist auf das Herkunftsland Kroatien. Im 17. Jahrhundert übernahm der französische Adel die damals eher einem Halstuch ähnelnde Krawatte. Wie auf zahlreichen Gemälden vom 16. bis zum späten 18. Jahrhundert dokumentiert, pflegten sich wohlhabende Männer – insbesondere im Adel – ehedem ebenso farbenfroh und modisch zu kleiden wie Frauen.
Mit der Französischen Revolution und dem Aufstieg des Bürgertums geriet pfauenartige Männerkleidung außer Mode, als einziger Farbtupfer im Männerkostüm verblieb die Krawatte. „Die Krawatte war beim dreiteiligen Herrenanzug seit der Zeit um 1700 integraler Bestandteil, denn die Hemden hatten in dieser Zeit keine Kragen. Folglich wurde der Hals mit der Krawatte bedeckt“, sagt die Historikerin Adelheid Rasche, Fachfrau für die Geschichte der Bekleidung am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. „Auch der im frühen 19. Jahrhundert entwickelte Anzug nach englischem Stil wurde immer mit Hemd und Krawatte kombiniert. Entsprechend trug jeder Herr in einer gewissen Position beruflich wie privat Krawatte.“
Eine Besonderheit der Krawatte ist auch, dass sie in der seit Jahrzehnten üblichen Form keinerlei praktischen Nutzen mehr hat, auch wenn manche Befürworter argumentieren, dass sie füllige Bäuche kaschiere. „So ganz funktionslos war die Krawatte ursprünglich nicht, sagt Rasche. „Sie war um 1700 ein Halstuch aus feinem Leinen, das geschlungen oder geknotet wurde. Leinen konnte gewaschen werden, somit diente das Krawatten-Tuch in gewisser Weise der Körperhygiene. Die Krawatte bedeckte und schützte außerdem den Halsbereich.“Hätte die Krawatte ihre praktische Funktion behalten, wäre es heute schwieriger, auf sie zu verzichten. (dpa)