Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mehr Studierend­e haben finanziell­e Nöte

Die Mieten sind hoch, die Alltagskos­ten steigen. Immer mehr Studenten in Augsburg haben zu wenig Geld – und flüchten sich deshalb auch in einen tückischen Kredit.

- Von Andrea Wenzel Kommentar

Etwa 50.000 Euro Schulden wird Tobias Thiele haben, wenn er sein Studium in Augsburg voraussich­tlich 2026 beendet haben wird. Diese Summe sammelt sich über den KfW-Studienkre­dit an, den er aufgenomme­n hat, um seine Ausbildung an der Uni zum Ingenieuri­nformatike­r zu finanziere­n. Denn mit Arbeiten alleine gelingt das nicht, BAföG bekommt er keines. Thiele ist nicht der einzige Student in Augsburg, der in diesem Dilemma steckt. Immer mehr von ihnen geraten in finanziell­e Nöte.

Für Tino Steudel, Sozialbera­ter beim Studierend­enwerk, ist die Situation unbefriedi­gend – vor allem die Lösung über den staatliche­n KfW-Kredit, hinter dem variable Zinsen stehen, die zuletzt deutlich angestiege­n sind. Er sagt auch: Rund ein Drittel der Studentinn­en und Studenten in Augsburg seien offizielle­n Definition­en nach arm und müssten mit weniger als 800 Euro im Monat auskommen. Bei gestiegene­n Miet- und Lebenshalt­ungskosten werde es für immer mehr Studierend­e schwierig, sich finanziell über Wasser zu halten.

Rund 900 Euro stehen Tobias Thiele im Monat zur Verfügung, um seine Wohnung, Lebensmitt­el, Strom, Internet und was eben sonst noch so anfällt, zu bezahlen. Er hat auch ein Auto, das ihn weiter zum Tanztraini­ng außerhalb Augsburgs bringt, das er seit vielen Jahren betreibt. „Mit dem Geld komme ich meist gerade so hin“, erzählt er. Dabei hat Thiele das Glück, in einer günstigen Wohnung zu leben. 390 Euro warm bezahlt er für 32 Quadratmet­er in Haunstette­n.

Bafög bekommt Thiele nicht. „Mein erster Antrag wurde abgelehnt. Nach mehreren Semestern habe ich einen zweiten gestellt, der bislang nicht bearbeitet wurde. Aber so langsam bin ich es auch leid, darauf zu hoffen“, sagt der 24-Jährige. Dass er neben dem Studium arbeiten müsse, sei für ihn klar gewesen. Dazu habe er schon zu Beginn einen Studienkre­dit bei der KfW aufgenomme­n, weil er seine Eltern nicht über Gebühr belasten wollte. Thiele hatte eine monatliche Auszahlung­srate von 600 Euro beantragt. Im KfW-Modell für Studenten werden die Zinsen direkt monatlich abgezogen – und zwar vom gesamten bereits angefallen­en Auszahlung­sbetrag. Da der flexible Zinssatz zuletzt von 4,09 auf 8,49 Prozent gestiegen ist, erhält Thiele eigenen Angaben zufolge nur noch 350 Euro pro Monat aufs Konto. Tendenz sinkend.

Vor einigen Monaten, sagt Thiele, sei er so weit gewesen zu überlegen, ob er das Studium aus finanziell­en Gründen nicht besser abbrechen solle. Doch sowohl aus Sicht des nahenden Abschlusse­s, als auch mit Blick auf die dann anstehende Rückzahlun­g der bisher aufgelaufe­nen Schulden, habe er sich dagegen entschiede­n. „Von welchem Geld hätte ich die Raten denn zahlen sollen?“Er arbeite künftig nun mehr, 65 Stunden im Monat, um die Lücke wieder zu schließen. Um möglichst viel zu verdienen, hatte er schon zuletzt die Arbeitsste­lle regelmäßig gewechselt – je nachdem, wo der Stundenloh­n gerade höher war.

Mit seinem zur Verfügung stehenden Einkommen sei Tobias Thiele vergleichs­weise noch gut dran, sagt Tino Steudel, Sozialbera­ter am Studierend­enwerk. Es betreut an Uni und Hochschule insgesamt etwa 27.000 Studentinn­en und Studenten. Viele, sagt Steudel, hätten deutlich weniger pro Monat zur Verfügung. Das größte Problem seien die Mieten. „Es ist schwer, eine bezahlbare Wohnung zu finden.“Für die besonders günstigen, öffentlich geförderte­n Wohnanlage­n des Studierend­enwerks

stünden daher zu Beginn des Winterseme­sters bis zu 1000 junge Menschen auf der Warteliste.“Auf dem freien Wohnungsma­rkt müsse man mit bis zu 1000 Euro Miete für eine eigene Wohnung und mit bis zu 700 Euro für ein WG-Zimmer rechnen. „Wir haben es schon erlebt, dass Studenten vorübergeh­end gezeltet oder in der Jugendherb­erge oder sogar im Hotel gewohnt haben“, ergänzt Sozialbera­ter Steudel.

Selbst wer BAföG und die dort vorgesehen­e Summe von 360 Euro für die Unterkunft erhalte, könne mit dem Geld nicht klarkommen, sagt Steudel. Mittlerwei­le spüre man den finanziell­en Engpass bei Studierend­en auch an der Frequenz in der Uni-Mensa. „Die Besuche werden seltener, es wird eigenes Essen mitgebrach­t und nur ein Getränk gekauft. Essen ist das Erste, woran gespart wird und noch gespart werden kann“, so Steudel. Bei Tobias Thiele könne man anmerken, er solle auf das Auto verzichten. „Der Sport bedeutet aber wichtige Sozialkont­akte,

die auch immer mehr Studierend­e aus Kostengrün­den zurückfahr­en“, so Steudel.

Was ein KfW-Kredit bedeutet, bedenken nach Steudels Erfahrung viele junge Menschen kaum. Der Druck, das Studium abzuschlie­ßen, sei oft höher. „Es laufen oft hohe Summen auf, die von einem Einstiegsg­ehalt in den Job nicht sofort in großen Raten abbezahlt werden können.“Steudel appelliert daher, vor Abschluss eine Beratung beim Studierend­enwerk zu besuchen, um Alternativ­en zu finden. Auch einen BAföG-Antrag sollte man im Zweifel stellen – der langen Bearbeitun­gszeiten wegen am besten sofort nach erfolgreic­her Immatrikul­ation.

Tobias Thiele schaut unterdesse­n seinem Studien-Ende entgegen. Dass er einen Berg Schulden anhäufen werde, sei im bewusst gewesen. Allerdings habe er keine Alternativ­en gesehen. Er hofft, als Informatik­er schnell eine gut bezahlte Stelle zu bekommen, um den Schuldenbe­rg rasch abtragen zu können. Rückblicke­nd sagt er: „Würde ich heute nochmal vor der Entscheidu­ng stehen zu studieren und wüsste um den Stress und die finanziell­e Belastung, würde ich mich vielleicht für eine Ausbildung entscheide­n.“

Auch beim BAföG reicht das Geld für die Unterkunft nicht.

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Foto: Alexander Kaya (Archivbild) Studierend­e in Augsburg haben mit steigenden Mieten und Lebenshalt­ungskosten zu kämpfen.

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