Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Belastete Kinder überfordern Pädagogen
Immer mehr Jugendliche kommen mit sich selbst und der Gemeinschaft schlecht zurecht. Was Experten von Schulen und OGTS in Landkreis Augsburg raten und gleichzeitig von den Familien erwarten.
Von immer mehr Kindern, die besondere Aufmerksamkeit benötigen, hat Juliane Schretzmair aus dem Jugendpflegeteam der Stadt Stadtbergen jetzt im Ausschuss für Kultur und Soziales berichtet. Kein Einzelfall im Landkreis. Auch die Schulen sprechen von immer größeren Aufgaben.
Jürgen Brendel ist der Leiter der Parkschule in Stadtbergen, aus der knapp 90 Kinder die OGTS (Offene Ganztagsschule) besuchen. Er weiß, wovon Juliane Schretzmair spricht. Da sind zum einen Kinder mit einer besonderen Herausforderung, die in immer mehr Fällen die Regelschule besuchen. Das mache man gerne möglich, so Brendel. „Aber das ist schon ein großer Spagat.“In den Schulen im Landkreis fallen jedoch noch ganz andere Besonderheiten im Verhalten der Kinder und Jugendlichen auf.
Juliane Schretzmair berichtete im Ausschuss von Grundschülern in der Nachmittagsbetreuung, die keine Grenzen anerkennen, die nicht auf die Betreuer in der OGTS hören, die keine Tischmanieren kennen oder sich in einer Gruppe nicht zurücknehmen können. Also ein zweiter Themenkomplex, bei dem es eher darum geht, ob Kinder zu Hause überhaupt noch richtig erzogen werden. „Ich bin in den Familien nicht dabei, aber manchmal könnte man den Eindruck bekommen, hier gibt es auch eine gesellschaftliche Veränderung“, so Jürgen Brendel zurückhaltend.
Zeitgleich müssen vorwiegend Grund- und Mittelschulen aktuell mit einem Mangel an Lehrkräften zurechtkommen. Jürgen Brendel sagt, dass inzwischen schon Teilzeitlehrkräfte, die nur wenige Stunden in der Woche arbeiten, eine Klassenleitung übernehmen müssen, um überhaupt jede Klasse versorgen zu können. Dazu würden vor allem Studentinnen im Unterricht mithelfen, um alle Stunden stattfinden lassen zu können und den Kindern möglichst gerecht zu werden.
Auffälligkeiten machen sich auch in den weiterführenden Schulen bemerkbar, weiß die stellvertretende Schulleiterin des Leonhard-Wagner-Gymnasiums
in Schwabmünchen, Marianne Mayer. Sie arbeitet seit 36 Jahren an der Schule und beobachtet die Entwicklung besorgt. Vermehrt gebe es Kinder und Jugendliche mit ADHS, psychischen Problemen, Panikattacken, Angst- und Essstörungen, Verhaltensauffälligkeiten und mangelnder Sozialkompetenz – trotz einer gestiegenen Anzahl an Psychologen und Sozialarbeitern an den Schulen. „Früher waren das Einzelfälle, heute stehen diese Probleme, überspitzt formuliert, auf der Tagesordnung“, sagt sie.
Hauptsächlich macht sie für die Entwicklung die Medien, allen voran das Internet, verantwortlich. Facebook, Instagram oder TikTok würden „zeigen, wie man zu sein hat, um dazuzugehören“. Viele Stunden würden Kinder und Jugendliche jeden Tag am Handy, Tablet, PC oder vor dem Fernseher sitzen. Zum Thema Spiel- und Mediensucht gibt es an den Leonhard-Wagner-Schulen einen eigenen Elternabend mit Vorträgen von Experten. Prävention und die Kontrolle durch die Eltern hält Marianne Mayer für wichtig. Zudem rät sie, den Kindern und Jugendlichen Hobbys im realen Leben zu ermöglichen, etwa Musik oder Sport im Verein. „Das fördert die Sozialkompetenz und stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl. In einer Gruppe muss man sozial interagieren. Und in dieser Zeit sitzen die Kinder schon mal nicht vor einem Gerät.“
Der fachliche Leiter des Schulamts für den Landkreis Augsburg, Thomas Adleff, kennt diese Berichte aus vielen Schulen im Landkreis. Er berichtet von ähnlichen Beobachtungen schon in den Kindergärten. Hier sei man unbedingt auf die Mithilfe in den Elternhäusern angewiesen. „Selbstverständlich hat Schule immer auch einen Erziehungsauftrag, aber die fundamentale Sozialisierung findet nach wie vor in den Elternhäusern statt“, sagt er. Doch was kann helfen, wenn Eltern ihre Kinder nicht mehr richtig erziehen?
Thomas Adleff setzt da auf multiprofessionelle Teams, eine Forderung, die von verschiedenen Teilen der Schulfamilien immer wieder zu hören ist, wenn es um die Lösung aktueller Schwierigkeiten vor dem Hintergrund des Lehrkräftemangels geht. Jugendsozialarbeit, aber auch Heilpädagogen und Pflegekräfte könnten helfen, den Schulalltag zu meistern. Den größten Druck verspürten die Schulen dabei durch Kinder mit Beeinträchtigungen aus dem Autismusspektrum oder mit sozio-emotionalen Störungen, weil für diesen Bereich einfach zu wenige Fachkräfte zur Unterstützung zur Verfügung stünden.
Zurück zum Thema einer möglichen gesellschaftlichen Veränderung. Schulamtsleiter Thomas Adleff sieht Schule allgemein und die Grundschule im Besonderen da als eine Art Früh-Indikator. „Schule war immer schon eine gesellschaftliche Abbildung.“Je nachdem, wie die Gesellschaft sich entwickelt, würde Schule reagieren und eventuell in neuen Handlungsfeldern agieren müssen. Aber allein sei das für die Schulen nicht zu schaffen.
Immer mehr Kinder haben ADHS, Angstund Essstörungen oder Panikattacken.