Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Zu Besuch in der Welt der Bierdeckel
Tausende Kilometer nach Gersthofen anreisen – und das für ein paar Stücke Karton? Nein, bei dieser Tauschbörse geht es um einiges mehr als nur Pappe.
Mehrere Dutzend Stände sind auf dem Parkplatz des Gasthofs Stern in Gersthofen aufgebaut, ob auf Bierbänken oder im Kofferraum der Autos. Italien, Luxemburg, Österreich, Litauen, Serbien; von überall kommen die Sammlerinnen und Sammler her, die meisten von ihnen Bierfans, insgesamt aus zwölf Ländern.
Noch internationaler sind die vielen Bierdeckel in allen verschiedenen Größen, Formen, Farben. Ob aus Kasachstan oder Kolumbien, ob druckfrisch oder von 1920, beim 61. jährlichen Bierdeckelsammlertreffen des Internationalen Brauereikulturvereins (IBV) ist alles geboten. Neben Bierdeckeln sind aber auch noch weitere Sammlerstücke vertreten; Kronkorken, Etiketten, Gläser, Pilsdeckchen und ein rostiger Zapfhahn mit deutscher Gravur aus Breslau vor 1945.
Dessen Besitzer, Jacek Jakubek aus Polen, kann vom Tauschen und Handeln mit Brauereiartikeln sogar leben. Der weißhaarige Mann aus der Nähe von Stettin reist seit Jahrzehnten regelmäßig zu Tauschbörsen in Luxemburg, Belgien, den Niederlanden, Prag und natürlich nach Gersthofen. Nicht nur das ist ein eindeutiges Symptom der Bierdeckelleidenschaft, sondern auch die Aufregung, mit der er die brasilianische Version der Getränkeuntersetzer einer bekannten niederländischen Brauerei untersucht. „Ich wusste das nicht – oh mein Gott!“, ruft er begeistert, als er die zwei Grüntöne der Deckel erkennt, die seiner Expertise nach in unterschiedlichen Druckereien in Südamerika gefertigt worden sein müssen, „zwei verschiedene Farben!“
Am Stand nebenan freut man sich mit ihm: Auch Maarten van den Heuvel und Thomas Hoebers teilen die Passion. Die meisten Sammlerinnen und Sammler sind im fortgeschritteneren Alter, doch „Nesthäkchen“Hoebers stellt mit seinen 43 Jahren eine Ausnahme dar. Der Niederländer ist der jüngste der an die 200 Mitglieder des IBV. Seit er Anfang 20 sei, komme er nach Gersthofen. Das gemeinsame Hobby schweiße zusammen, und so seien schon viele Freundschaften entstanden. Insgesamt fällt auf, dass die Stimmung fröhlich und der Umgang miteinander vertraut und herzlich ist.
Doch nicht nur Freundschaften werden auf diesen Treffen geschlossen – Stephane Vignard aus Frankreich, der mittlerweile 30 Jahre dabei ist, hat fast all seine Deutschkenntnisse auf Tauschbörsen erworben. So präsentiert er nun mit leichtem französischen Akzent seine älteren Exemplare, die man gut und gerne „Vintage“oder „retro“nennen könnte. Vor allem wird getauscht, aber einige
Deckel kann man auch für ein paar Euro käuflich erwerben. Wie weit Preise bei Bierdeckeln gehen können? Theoretisch sind die Beträge nach oben offen.
Hier sei Vorsicht geboten, erklärt der Rheinländer Günther Maldaner, ehemaliger Präsident des IBV. „Manchmal tauchen im Internet einzelne scheinbar seltene Deckel auf, die dann Hunderte Euro kosten, und einige Zeit später stellt sich heraus, dass es sie in Wirklichkeit massenhaft gibt.“Nicht nur in dieser Hinsicht ist das Internet ein schwieriges Pflaster. Vor allem die jüngeren Sammlerinnen und Sammler lebten ihre Leidenschaft virtuell aus und bestellten Deckel einfach online; teilweise für ein Vielfaches von dem, was ein Bierdeckelfreund oder eine -freundin auf einer Börse verlangen würde, so Maldaner, der selbst stolzer Besitzer von rund 120.000 Exemplaren ist.
Ein mit Sicherheit besonderes Stück ist der „Goldene Bierdeckel“, der Ehrenpreis des IBV, der jedes Jahr traditionell beim Treffen in
Gersthofen an Mitglieder, die sich in besonderer Weise um den Verein verdient gemacht haben, verliehen wird. Oder besser gesagt verliehen wurde, da sich unter den Brauereien im Moment keine Sponsoren finden, die die mit echtem Gold besetzte Trophäe mitfinanzieren können. Aufgrund gestiegener Kosten in der Getränkeherstellung hätten die Brauereien kaum finanziellen Spielraum. Das wirke sich auch auf ihre Großzügigkeit aus, was die Ausgabe von regulären Bierdeckeln angeht, erklärt Maldaner.
Trotz Krise lohne es sich aber, nach Bierdeckeln Ausschau zu halten, verrät Brigit Slikker, die mit ihrem Mann aus der Nähe von Groningen in den Niederlanden angereist ist. Das sei auch der erste Schritt zum Sammlertum. „Einfach in Restaurants und Cafés nachfragen und dann mal bei einer Tauschbörse vorbeischauen“, ist ihr Tipp für Einsteigerinnen und Einsteiger.
Günther Maldaner ist stolzer Besitzer von 120.000 Exemplaren.
Am Samstag, 16. März, kann man das Treffen noch besuchen.