Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Rätseln macht glücklich!
Knobelaufgaben stimulieren nicht nur das Denkvermögen, sie können auch zum Wohlbefinden beitragen. Auch Puzzeln hat positive Effekte, wie Wissenschaftler der Uni Ulm herausgefunden haben.
Mary ist 24 Jahre alt und damit doppelt so alt, wie Anne war, als Mary so alt war, wie Anne heute ist. Wie alt ist Anne? Wem nicht gleich die Antwort einfällt, befindet sich in guter Gesellschaft. Schon vor über hundert Jahren zerbrachen sich Menschen in den USA den Kopf über dieses Rätsel, das 1903 in der New York Times veröffentlicht worden war. Die Aufgabe beschäftigte die Nation so stark, dass der Satz „Wie alt ist Anne?“damals zu einer gängigen rhetorischen Frage wurde. Sie sollte so viel heißen wie „Wer weiß das schon?“.
Rätsel und Knobelaufgaben faszinieren Menschen von jeher, wie der Rätselmacher Stefan Heine in seinem Buch „Ich rätsle, also bin ich“schreibt. Bereits das altägyptische Papyrus Rhind, eine Schriftrolle aus dem Jahr 1550 vor Christus, enthält neben Mathematikaufgaben eine Knobelaufgabe. Inzwischen sind es laut einer Allensbach-Umfrage rund 10 Millionen Deutsche, die in ihrer Freizeit gerne Rätsel lösen. Als einen der wesentlichen Gründe für die Leidenschaft nennt Heine das menschliche Bedürfnis nach Vollständigkeit und Ordnung: „Wenn wir einmal etwas begonnen haben, wollen wir es vollenden, denn Unvollständigkeit geht auf Kosten unseres Seelenfriedens.“So lässt sich auch der sogenannte Zeigarnik-Effekt – benannt nach der russischen Psychologin Bluma Zeigarnik – erklären, wonach sich Menschen besser an unerledigte als an abgeschlossene Aufgaben erinnern.
Kreuzworträtsel, Sudokus und Co. können helfen, beim Warten in der Arztpraxis oder auf langen Zugfahrten die Zeit totzuschlagen. Heine ist davon überzeugt, dass sie noch viel mehr leisten können: nämlich die geistige Fitness fördern, zur Entspannung beitragen und Glücksgefühle auslösen.
Wie sich mit Spielen und Knobeln die kognitiven Leistungen verbessern lassen, beschäftigt Hirnforscherinnen und Hirnforscher schon lange. Dass es das Denkvermögen grundsätzlich stimuliert, sich an Rätseln zu versuchen, ist für die Neurologin Prof. Christine von Arnim unstrittig. „Dabei werden verschiedene kognitive Domänen aktiviert“, sagt von Arnim, Direktorin der Klinik für Geriatrie an der Universitätsmedizin Göttingen. Auch das Spielen von klassischen Brettspielen, das mit Rätseln einiges gemein hat, scheint geistig fit zu halten. So zeigte eine Kohortenstudie der Universität Bordeaux, für die rund 3700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer 20 Jahre lang begleitet worden waren, dass Spielen offenbar ein Stück weit vor geistigem Verfall schützt. Menschen, die häufig Brettspiele spielten, hatten
demnach ein um 15 Prozent geringeres Risiko, eine Demenz zu entwickeln, als Nicht-Spieler. Dabei bleibt aber unklar, ob die Effekte wirklich auf das Spielen zurückgingen oder ob die Spiele-Liebhaberinnen von vornherein geistig fitter waren. Offen bleibt auch, was genau gespielt wurde und ob nicht die soziale Interaktion beim Spielen, weniger das Spiel als solches, der entscheidende Faktor war. Mittlerweile ist gut belegt, dass der Austausch mit anderen Menschen geistig fit hält. Insofern ist gemeinsames Rätseln – wie etwa bei
den seit Jahren enorm erfolgreichen Escape-Games – eine optimale Kombination. „Das ist in der Tat eine gute Sache“, sagt der Psychologe Peter Sturm, Vorsitzender der Gesellschaft für Gehirntraining. Das Knobeln im Team stärkt nicht nur den Teamgeist: „Wenn man gewinnt, freut man sich gemeinsam umso mehr.“Scheitert man dagegen, lässt sich die Enttäuschung leichter wegstecken, als wenn man allein dasteht.
Ein häufiger Einwand in Bezug auf Knobeln als Denksport ist, dass nur ganz bestimmte Aufgaben trainiert werden. Wer zum Beispiel oft Kreuzworträtsel löst, kennt nach einer Weile häufig gefragte Begriffe auswendig und kann sie fast automatisch abrufen – das Gehirn ist kaum noch gefordert. Auch wer hervorragend Sudokus löst, ist
in der Regel nur in diesem Bereich fit, tut sich aber bei anderen Problemen nicht leichter. Eine groß angelegte Übersichtsarbeit des USPsychologen Daniel Simons und weiterer Wissenschaftler kommt zu dem Schluss, dass es umfangreiche Belege dafür gibt, dass digitales Gehirntraining die Leistung bei den trainierten Aufgaben steigert. Weniger gut bewiesen ist, ob sich bei ähnlichen Aufgaben Fortschritte zeigen. Dafür, dass sich die Leistung bei ganz anderen Aufgaben oder auch im Alltag verbessert, gibt es kaum Belege.
Dennoch, findet die Neurologin von Arnim, sind auch einfache Kreuzworträtsel für die geistige Fitness besser als keine Beschäftigung: „Das ist wie beim Sport: Ein Spaziergang ist zwar kein Marathonlauf, aber besser als nur herumzusitzen. Es ist aber gut, immer mal wieder abzuwechseln und etwas Neues auszuprobieren.“Oft kostet es ein bisschen Überwindung, sich auf ein neues Spiel oder Rätsel einzulassen, aber meistens lohnt es sich. Wichtig ist, dass der Spaß im Vordergrund steht. „Zu etwas zwingen sollte man sich nicht“, sagt von Arnim. „Es bringt dann nämlich auch nichts.“Wer etwa Schach gar nicht leiden kann, steigert seine geistige Fitness nicht dadurch, dass er sich schlecht gelaunt durch das Spiel kämpft.
Das Gehirn lässt sich aber keineswegs nur mit Denksportaufgaben trainieren. Auch Puzzeln hat einen positiven Effekt, wie von Arnim mit einem Wissenschaftlerteam der Uni Ulm in einer Studie zeigte: Im Projekt „Jigsaw Puzzles As Cognitive Enrichment“(PACE) zeigte sich, dass das Puzzeln zahlreiche
Brettspiele scheinen das Demenzrisiko zu senken.
An einer Frage biss sich ein ganzes Land die Zähne aus.
kognitive Fähigkeiten, darunter schlussfolgerndes Denken, Aufmerksamkeit und Gedächtnis, beansprucht. Zudem waren die kognitiven Fähigkeiten bei Erwachsenen ebenso wie die aktuelle psychische Gesundheit umso besser, je mehr sie in ihrem Leben gepuzzelt hatten. Abgesehen davon dienen Puzzles vielen Menschen zur Entspannung – ein Effekt, den auch viele Rätsel und Spiele haben, wie die Wissenschaftlerin bestätigt.
Wem das Knobeln liegt, profitiert auch insofern von Rätseln, dass sie zum Wohlbefinden beitragen – sie machen einfach Spaß. „Wenn man ein Rätsel löst, ist das Dopamin pur“, sagt von Arnim. „Das gibt einem einen richtigen Schub.“Auch der Psychologe Peter Sturm bestätigt, dass bewältigte Knobel-Aufgaben indirekt Glücksgefühle auslösen können. Allerdings, wendet er ein, dürfen Rätsel weder zu leicht noch zu schwer sein. Manchmal aber verbeißt man sich auch in die Aufgabe, wie jene US-Amerikaner des frühen 20. Jahrhunderts, die sich an der Frage „Wie alt ist Anne?“abarbeiteten.
Die Aufgabe lässt sich am einfachsten mit einem mathematischen Ansatz lösen. Mary (m) ist älter als Anne (a). Der Altersunterschied (d) beträgt also: d = m - a Wie war das nun vor d Jahren, als Mary so alt war wie Anne? Wir wissen bereits m - d = a, aber was ist mit a - d, dem damaligen Alter von Anne? Darüber wird ja gesagt, dass das Doppelte davon m = 24 ist, das heißt also: a - d = 12. Es gilt also, die beiden Gleichungen d = 24 - a und a - d = 12 zu lösen. Setzt man die eine in die andere ein, ergibt sich: a - (24 - a)=12. Das heißt a- 24 + a=12, also 2a=36, damit a=18. Anne ist 18 Jahre alt!