Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Dem Rest der Welt zehn Jahre voraus
In Dubai steht das höchste Haus der Welt, das höchste Hotel der Welt und das angeblich schönste Gebäude auf Erden. Ein Besuch in einer Stadt, die alles kennt, nur keine Bescheidenheit.
Das Raumschiff ist gelandet: Wie in Ding aus einer anderen Welt steht das „Museum of the Future“da: Rund, organisch wirkend und von innen beleuchtet. Ein Auge soll das sieben Stockwerk hohe Gebäude darstellen, das gänzlich ohne innere Stützen gebaut ist. Entworfen hat es der britisch-südafrikanische Architekt Shaun Killa, der bereits vor 25 Jahren an der Vollendung des ersten sieben Sterne Hotels der Welt beteiligt war, das ebenfalls in Dubai steht. Das Burj Al Arab allerdings ist nach einem Vierteljahrhundert in die Jahre gekommen. Derzeit plant Killa eine Sanierung des 321 Meter hohen Hotels, das zum Startpunkt und Wahrzeichen für eine rasante Entwicklung des Emirats am Persischen Golf wurde. Killa, Jahrgang 1980, lebt seit 23 Jahren in Dubai und denkt groß: Städte, die Weltgeltung haben wollen, so seine Überzeugung, brauchen Anziehungspunkte, die ans Limit der Ingenieurkunst gehen. Das sei beim Eiffelturm oder dem Pantheon nicht anders als bei seinem „Museum of the Future“.
Bescheidenheit ist eine Zier, doch Dubai kommt weiter ohne ihr. Die Entwicklung von Dubai von einer ziemlich unbedeutenden Stadt zu einem Anziehungspunkt, wie es nur wenige auf der Welt gibt, macht Killa an drei Gebäuden fest: Auf die touristische Landkarte sei Dubai erstmals vor 25 Jahren mit dem Burj Al Arab gekommen, dann folgte 2010 mit der Eröffnung des höchsten Gebäudes der Welt der nächste Paukenschlag. Der Burj Khalifa ist ein 828 Meter in die Höhe ragendes Ausrufezeichen, eine vertikale Stadt, die jedes Jahr Millionen von Menschen anzieht.
Als bislang fehlendes Puzzlestück bezeichnet Killa das 2022 eröffnete „Museum of the Future“. Der an einen überdimensionalen Donut erinnernde asymmetrische Ring aus Stahl und Glas, sei ein Symbol für den Willen Dubais, immer zehn bis 15 Jahre der Entwicklung voraus zu sein. Als der Architekt die Entwürfe dem allmächtigen Scheich Muhammad bin Raschid Al Maktum präsentierte, habe der das Loch im Gebäude als den wichtigsten Part bezeichnet: „Das repräsentiert das Unbekannte.“Es werde ein leerer Raum erschaffen, der auf symbolische Weise die ungewisse Zukunft darstellt, in die die Menschheit und Welt blicken. Wenig bescheiden wird das Gebäude auf einem
Schild am Eingang als „The Most Beautifuf Building On Earth“– „Das schönste Gebäude der Welt“bezeichnet.
Die kalligrafischen Elemente auf der Fassade setzen sich aus Gedichtzeilen aus der Feder von Scheich Muhammad Bin Rashid Al Maktum zusammen. Jedes Schriftzeichen ist ein Fenster. Der Star ist hier die Architektur – weniger das Museum an sich. Die Tickets zu den experimentellen Ausstellungsstücken, die Einblicke in mögliche Varianten der Zukunft geben sollen, müssen bereits Monate im Voraus gekauft werden. Doch wer nicht unbedingt auf Instagram-taugliche blinkende Kunst-Welten und physikalische Experimente und Computer-Spielereien steht, dem genügt womöglich auch der (kostenfreie) Besuch der Eingangshalle.
25 Jahre nachdem Killa als Co-Architekt den von seinem Kollegen Tom Wright entworfenen Burj Al Arab fertiggestellt hatte, kehrt er doppelt zur ersten schlagzeilenträchtigen Ikone Dubais zurück: In direkter Nachbarschaft steht das Marsa Al Arab, ein Luxushotel samt Jachthafen und Appartementhaus vor der Fertigstellung. Geschwungen gebaut mit der Silhouette zweier gigantischer Luxusjachten, damit der Blick auf das Burj Al Arab nicht verbaut ist. Mitte des Jahres sollen hier die Pforten öffnen. Dann will sich Killa um die Sanierung des Burj Al Arab kümmern.
Dass Dubai zwischen Januar und November 2023 mit insgesamt 15,37 Millionen internationalen Übernachtungsgäste einen Anstieg von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum verbuchte und als einzige Region der Welt zum dritten Mal in Folge von der weltgrößten Reiseplattform (TripAdvisor) zum beliebtesten Reiseziel auf dem Globus gewählt wurde, hängt laut Killa direkt mit gezielten langfristigen Investitionen in Architektur zusammen. „Es wurden ganz gezielt Ikonen geschaffen.“Ikonen mit Anziehungskraft.
Und es braucht schon jetzt viele Hotelzimmer, um jährlich fast 16 Millionen Menschen ein Bett zu bieten. Damit ist auch zu erklären, warum gefühlt hier ständig ein neues Hotel eröffnet. Allein auf der zwölfspurigen Sheikh Zayed Road gibt es 25 Fünf-Sterne-Hotels auf drei Kilometern. Darunter das mit 358 Metern wohl höchste Hotel der Welt, das Gevora Hotel.
An der Anbindung hapert es noch. Zumindest aus Fußgängersicht. Wer das „Museum of the Future“verlässt, hat erst mal Mühe, einen riesigen Kreisverkehr zu überqueren. Querungshilfen? Fehlanzeige. Dafür können Fußgänger inmitten des Kreisverkehrs das erste Bürogebäude aus dem 3D-Drucker besichtigen, das seit 2016 hier steht. Doch auch daran wird gearbeitet: Wer den Kreisverkehr überwunden hat, der landet auf einer der ersten Fußgängerzonen
Dubais, die parallel zur Sheikh Zayed Road verläuft. Jene Straße, die von Dubai bis nach Abu Dhabi reicht und gesäumt ist von Wolkenkratzern, die nach einigen Kilometern im neuen Stadtteil Downtown Dubai im WeltrekordTurm Burj Khalifa gipfeln. Wie es sich für eine Fußgängerzone in einer nicht ganz armen Wüstenstadt gehört, wurde sie auf zwei Ebenen angelegt: an frischer Luft für die kühleren Wintermonate und als eine Mall unterirdisch und klimatisiert. Markiert wird der Beginn der Fußgängerzone von „The Gate“, einer modernen Variante des Pariser Triumphbogens, der das Original auch noch um mehr als zehn Meter überragt. Es ist das 15-stöckige Tor zum
Finanzviertel von Dubai – und zu noch mehr Hinguckern führt. Der 328 Meter hohe Al Yaqoub Tower wurde dem Big Ben in London nachempfunden. Der 2013 von einem saudischen Investor fertiggestellte Turm soll komplett leer stehen. Von den einheimischen Dubai wird er Mystery Tower genannt. Warum kann sich niemand so recht erklären. Oder das mit 333 Meter hohe und 72 Stockwerke umfassende Rose Rayhaan – das laut Guinness Buch der Rekorde höchste Hotel der Welt.
Jenseits dieses Rekordstrebens gibt es Ikonen der Architektur. Etwa „The Opus“, einem der letzten Entwürfe von Zaha Hadid, der posthum gebaut und 2020 eröffnet wurde. Ein spektakuläres Gebäude, das von innen ausgehöhlt wirkt und an einen Eiswürfel erinnert, der gerade unter der heißen Wüstensonne zu schmelzen scheint. In 71 Metern Höhe sind die Türme über eine fast 38 Meter lange, geschwungene Brücke verbunden. Das Büro des Architekten Norman Foster hat sich gleich mehrfach verewigt: Gebäude wie der Index-Tower oder der 282 Meter hohe, völlig verglaste ICD-Brookfield-Tower gelten als architektonische Meisterwerke.
Und wo geht die Reise hin für Dubai? Definitiv in neue Höhen, wie Georges El Hachem von der Select-Group, einem der größten privaten Projektentwickler in den Vereinigten Arabischen Emiraten, sagt. Das Projekt „Pentominium“, der höchste
Wohnturm der Welt, sei nach längerem Baustopp und eines Wechsels des Investors Ende 2023 auf dem Weg zur Vollendung. Das bereits 2007 begonnen Pentominium soll 516 Meter hoch werden und 122 für Wohnungen genutzte Stockwerke besitzen. Ein neuer Stadtteil wird in den nächsten Jahren rundum das künftig höchste Bauwerk der Welt errichtet. Der „Creek Tower“. Der Grundstein wurde bereits 2016 gelegt, doch dann brachte unter anderem die Pandemie Stillstand in das Projekt des quasi staatlichen Projektentwicklers Emaar. Doch nun soll wieder gebaut werden am nagelneuen Stadtteil namens „Dubai Creek Harbour“, mit dem über einen Kilometer hohen Aussichtsturm im Zentrum. An Nachfrage soll es grundsätzlich nicht mangeln, wie Georges El Hachem von der Select-Group sagt. Nicht zuletzt dank der Politik „Goldener Visa“: Wer eine Immobilie für mindestens 500.000 Euro kauft, darf bis zu zehn Jahre bleiben und muss kaum Steuern bezahlen. Das ist gefragt.
Die Folge: Schon jetzt sind die Emiratis eine Minderheit im eigenen Land, fast 90 Prozent der Menschen in Dubai kommen woanders her. Davon laut Zahlen der Dubaier Tourismusbehörde etwa 250.000 Briten über 100.000 Russen und 25.000 Deutsche. Der große Trend unter den – oft sehr wohlhabenden – Eingewanderten „Villas in the Sky“. So nennen die Immobilienprofis die Hochhäuser, bei dem fast jedes Apartment einen Privat-Pool auf der Terrasse hat. Wie das Ganze mit den Anforderungen der Nachhaltigkeit zusammengeht, der im „Museum of the Future“etwa per virtuellem Regenwald und anderen Ausstellungen als Staatsräson gepriesen wird? Per Beschluss des Scheichs: Bis 2050 soll Dubai nach seinem Willen zur klimafreundlichsten Stadt der Welt werden und 75 Prozent seiner Energie aus nachhaltigen Quellen beziehen. Shaun Killa hat keine Zweifel daran: Bisher habe Dubai seine Ziele immer eher erreicht als geplant. Was nicht ganz richtig ist: Die vor bald 20 Jahren entstandene künstliche Inselwelt „The World“, das zweitgrößte künstliche Inselprojekt der Welt, hat sich bisher nicht von der Finanzkrise 2007 erholt. Ob die schöne neue Welt aus 200 Sandhaufen jemals die in sie gesteckten Erwartungen erfüllt, steht in den Sternen.
Schon jetzt sind die Emiratis eine Minderheit im eigenen Land.
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Die Recherche wurde unterstützt von Department of Economy and Tourism Dubai.