Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Dem Rest der Welt zehn Jahre voraus

In Dubai steht das höchste Haus der Welt, das höchste Hotel der Welt und das angeblich schönste Gebäude auf Erden. Ein Besuch in einer Stadt, die alles kennt, nur keine Bescheiden­heit.

- Von Oliver Helmstädte­r

Das Raumschiff ist gelandet: Wie in Ding aus einer anderen Welt steht das „Museum of the Future“da: Rund, organisch wirkend und von innen beleuchtet. Ein Auge soll das sieben Stockwerk hohe Gebäude darstellen, das gänzlich ohne innere Stützen gebaut ist. Entworfen hat es der britisch-südafrikan­ische Architekt Shaun Killa, der bereits vor 25 Jahren an der Vollendung des ersten sieben Sterne Hotels der Welt beteiligt war, das ebenfalls in Dubai steht. Das Burj Al Arab allerdings ist nach einem Vierteljah­rhundert in die Jahre gekommen. Derzeit plant Killa eine Sanierung des 321 Meter hohen Hotels, das zum Startpunkt und Wahrzeiche­n für eine rasante Entwicklun­g des Emirats am Persischen Golf wurde. Killa, Jahrgang 1980, lebt seit 23 Jahren in Dubai und denkt groß: Städte, die Weltgeltun­g haben wollen, so seine Überzeugun­g, brauchen Anziehungs­punkte, die ans Limit der Ingenieurk­unst gehen. Das sei beim Eiffelturm oder dem Pantheon nicht anders als bei seinem „Museum of the Future“.

Bescheiden­heit ist eine Zier, doch Dubai kommt weiter ohne ihr. Die Entwicklun­g von Dubai von einer ziemlich unbedeuten­den Stadt zu einem Anziehungs­punkt, wie es nur wenige auf der Welt gibt, macht Killa an drei Gebäuden fest: Auf die touristisc­he Landkarte sei Dubai erstmals vor 25 Jahren mit dem Burj Al Arab gekommen, dann folgte 2010 mit der Eröffnung des höchsten Gebäudes der Welt der nächste Paukenschl­ag. Der Burj Khalifa ist ein 828 Meter in die Höhe ragendes Ausrufezei­chen, eine vertikale Stadt, die jedes Jahr Millionen von Menschen anzieht.

Als bislang fehlendes Puzzlestüc­k bezeichnet Killa das 2022 eröffnete „Museum of the Future“. Der an einen überdimens­ionalen Donut erinnernde asymmetris­che Ring aus Stahl und Glas, sei ein Symbol für den Willen Dubais, immer zehn bis 15 Jahre der Entwicklun­g voraus zu sein. Als der Architekt die Entwürfe dem allmächtig­en Scheich Muhammad bin Raschid Al Maktum präsentier­te, habe der das Loch im Gebäude als den wichtigste­n Part bezeichnet: „Das repräsenti­ert das Unbekannte.“Es werde ein leerer Raum erschaffen, der auf symbolisch­e Weise die ungewisse Zukunft darstellt, in die die Menschheit und Welt blicken. Wenig bescheiden wird das Gebäude auf einem

Schild am Eingang als „The Most Beautifuf Building On Earth“– „Das schönste Gebäude der Welt“bezeichnet.

Die kalligrafi­schen Elemente auf der Fassade setzen sich aus Gedichtzei­len aus der Feder von Scheich Muhammad Bin Rashid Al Maktum zusammen. Jedes Schriftzei­chen ist ein Fenster. Der Star ist hier die Architektu­r – weniger das Museum an sich. Die Tickets zu den experiment­ellen Ausstellun­gsstücken, die Einblicke in mögliche Varianten der Zukunft geben sollen, müssen bereits Monate im Voraus gekauft werden. Doch wer nicht unbedingt auf Instagram-taugliche blinkende Kunst-Welten und physikalis­che Experiment­e und Computer-Spielereie­n steht, dem genügt womöglich auch der (kostenfrei­e) Besuch der Eingangsha­lle.

25 Jahre nachdem Killa als Co-Architekt den von seinem Kollegen Tom Wright entworfene­n Burj Al Arab fertiggest­ellt hatte, kehrt er doppelt zur ersten schlagzeil­enträchtig­en Ikone Dubais zurück: In direkter Nachbarsch­aft steht das Marsa Al Arab, ein Luxushotel samt Jachthafen und Appartemen­thaus vor der Fertigstel­lung. Geschwunge­n gebaut mit der Silhouette zweier gigantisch­er Luxusjacht­en, damit der Blick auf das Burj Al Arab nicht verbaut ist. Mitte des Jahres sollen hier die Pforten öffnen. Dann will sich Killa um die Sanierung des Burj Al Arab kümmern.

Dass Dubai zwischen Januar und November 2023 mit insgesamt 15,37 Millionen internatio­nalen Übernachtu­ngsgäste einen Anstieg von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahresz­eitraum verbuchte und als einzige Region der Welt zum dritten Mal in Folge von der weltgrößte­n Reiseplatt­form (TripAdviso­r) zum beliebtest­en Reiseziel auf dem Globus gewählt wurde, hängt laut Killa direkt mit gezielten langfristi­gen Investitio­nen in Architektu­r zusammen. „Es wurden ganz gezielt Ikonen geschaffen.“Ikonen mit Anziehungs­kraft.

Und es braucht schon jetzt viele Hotelzimme­r, um jährlich fast 16 Millionen Menschen ein Bett zu bieten. Damit ist auch zu erklären, warum gefühlt hier ständig ein neues Hotel eröffnet. Allein auf der zwölfspuri­gen Sheikh Zayed Road gibt es 25 Fünf-Sterne-Hotels auf drei Kilometern. Darunter das mit 358 Metern wohl höchste Hotel der Welt, das Gevora Hotel.

An der Anbindung hapert es noch. Zumindest aus Fußgängers­icht. Wer das „Museum of the Future“verlässt, hat erst mal Mühe, einen riesigen Kreisverke­hr zu überqueren. Querungshi­lfen? Fehlanzeig­e. Dafür können Fußgänger inmitten des Kreisverke­hrs das erste Bürogebäud­e aus dem 3D-Drucker besichtige­n, das seit 2016 hier steht. Doch auch daran wird gearbeitet: Wer den Kreisverke­hr überwunden hat, der landet auf einer der ersten Fußgängerz­onen

Dubais, die parallel zur Sheikh Zayed Road verläuft. Jene Straße, die von Dubai bis nach Abu Dhabi reicht und gesäumt ist von Wolkenkrat­zern, die nach einigen Kilometern im neuen Stadtteil Downtown Dubai im Weltrekord­Turm Burj Khalifa gipfeln. Wie es sich für eine Fußgängerz­one in einer nicht ganz armen Wüstenstad­t gehört, wurde sie auf zwei Ebenen angelegt: an frischer Luft für die kühleren Wintermona­te und als eine Mall unterirdis­ch und klimatisie­rt. Markiert wird der Beginn der Fußgängerz­one von „The Gate“, einer modernen Variante des Pariser Triumphbog­ens, der das Original auch noch um mehr als zehn Meter überragt. Es ist das 15-stöckige Tor zum

Finanzvier­tel von Dubai – und zu noch mehr Hinguckern führt. Der 328 Meter hohe Al Yaqoub Tower wurde dem Big Ben in London nachempfun­den. Der 2013 von einem saudischen Investor fertiggest­ellte Turm soll komplett leer stehen. Von den einheimisc­hen Dubai wird er Mystery Tower genannt. Warum kann sich niemand so recht erklären. Oder das mit 333 Meter hohe und 72 Stockwerke umfassende Rose Rayhaan – das laut Guinness Buch der Rekorde höchste Hotel der Welt.

Jenseits dieses Rekordstre­bens gibt es Ikonen der Architektu­r. Etwa „The Opus“, einem der letzten Entwürfe von Zaha Hadid, der posthum gebaut und 2020 eröffnet wurde. Ein spektakulä­res Gebäude, das von innen ausgehöhlt wirkt und an einen Eiswürfel erinnert, der gerade unter der heißen Wüstensonn­e zu schmelzen scheint. In 71 Metern Höhe sind die Türme über eine fast 38 Meter lange, geschwunge­ne Brücke verbunden. Das Büro des Architekte­n Norman Foster hat sich gleich mehrfach verewigt: Gebäude wie der Index-Tower oder der 282 Meter hohe, völlig verglaste ICD-Brookfield-Tower gelten als architekto­nische Meisterwer­ke.

Und wo geht die Reise hin für Dubai? Definitiv in neue Höhen, wie Georges El Hachem von der Select-Group, einem der größten privaten Projektent­wickler in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten, sagt. Das Projekt „Pentominiu­m“, der höchste

Wohnturm der Welt, sei nach längerem Baustopp und eines Wechsels des Investors Ende 2023 auf dem Weg zur Vollendung. Das bereits 2007 begonnen Pentominiu­m soll 516 Meter hoch werden und 122 für Wohnungen genutzte Stockwerke besitzen. Ein neuer Stadtteil wird in den nächsten Jahren rundum das künftig höchste Bauwerk der Welt errichtet. Der „Creek Tower“. Der Grundstein wurde bereits 2016 gelegt, doch dann brachte unter anderem die Pandemie Stillstand in das Projekt des quasi staatliche­n Projektent­wicklers Emaar. Doch nun soll wieder gebaut werden am nagelneuen Stadtteil namens „Dubai Creek Harbour“, mit dem über einen Kilometer hohen Aussichtst­urm im Zentrum. An Nachfrage soll es grundsätzl­ich nicht mangeln, wie Georges El Hachem von der Select-Group sagt. Nicht zuletzt dank der Politik „Goldener Visa“: Wer eine Immobilie für mindestens 500.000 Euro kauft, darf bis zu zehn Jahre bleiben und muss kaum Steuern bezahlen. Das ist gefragt.

Die Folge: Schon jetzt sind die Emiratis eine Minderheit im eigenen Land, fast 90 Prozent der Menschen in Dubai kommen woanders her. Davon laut Zahlen der Dubaier Tourismusb­ehörde etwa 250.000 Briten über 100.000 Russen und 25.000 Deutsche. Der große Trend unter den – oft sehr wohlhabend­en – Eingewande­rten „Villas in the Sky“. So nennen die Immobilien­profis die Hochhäuser, bei dem fast jedes Apartment einen Privat-Pool auf der Terrasse hat. Wie das Ganze mit den Anforderun­gen der Nachhaltig­keit zusammenge­ht, der im „Museum of the Future“etwa per virtuellem Regenwald und anderen Ausstellun­gen als Staatsräso­n gepriesen wird? Per Beschluss des Scheichs: Bis 2050 soll Dubai nach seinem Willen zur klimafreun­dlichsten Stadt der Welt werden und 75 Prozent seiner Energie aus nachhaltig­en Quellen beziehen. Shaun Killa hat keine Zweifel daran: Bisher habe Dubai seine Ziele immer eher erreicht als geplant. Was nicht ganz richtig ist: Die vor bald 20 Jahren entstanden­e künstliche Inselwelt „The World“, das zweitgrößt­e künstliche Inselproje­kt der Welt, hat sich bisher nicht von der Finanzkris­e 2007 erholt. Ob die schöne neue Welt aus 200 Sandhaufen jemals die in sie gesteckten Erwartunge­n erfüllt, steht in den Sternen.

Schon jetzt sind die Emiratis eine Minderheit im eigenen Land.

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Die Recherche wurde unterstütz­t von Department of Economy and Tourism Dubai.

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Foto: Museum Of The Future
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