Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Das kann man sich sparen!
Begehrte Touristenorte haben ihre eigenen Regeln. Oft werden den Besuchern von Attraktionen horrende Eintrittsgelder abverlangt. Dabei stellt sich die Frage, ob es die Attraktion wirklich wert ist.
Der Eiffelturm in Paris, die Große Mauer in China und die Pyramiden von Gizeh ziehen Menschen aus aller Welt an. Das nutzen die Anbieter von Dienstleistungen weidlich aus. Wie gut dieses Rezept funktioniert, das lässt sich an vielen Plätzen mit Overtourism beobachten. Die vor Kassen und Eingängen wartenden Besucherscharen stehen meist unter Zeitdruck, weil sie ja nur kurze Zeit vor Ort sind, und das nutzen die Anbieter von Dienstleistungen weidlich aus. Aber lohnt sich das alles wirklich?
Eine Gondelfahrt in Venedig ist ein teures Vergnügen. Eine halbe Stunde kostet rund 150 Euro, alle 20 Minuten kommen weitere 40 Euro hinzu. Nacht-, Standort- und Saisonzuschläge nicht mitgerechnet. Maximal fünf Erwachsene sind an Bord erlaubt, früher waren es sechs. Zugleich kostet so ein schwarzer Kahn so viel wie ein Kleinwagen, und die Lizenz beläuft sich auf mehrere Hunderttausend Euro. Das muss natürlich verdient werden.
Zum Glück gibt es eine billige Alternative: An den sogenannten Traghetto-Stationen des Canal Grande bringen Gondeln die Fahrgäste
für zwei Euro auf die andere Seite.
In der berühmten Temple Bar, die seit 1840 besteht, gibt es reichlich Ansprechendes – aber dafür sind die Preise auch anspruchsvoll. Neben einer riesigen Whiskey-Auswahl finden täglich Gigs mit irischer Musik statt. In dem urigen Eck-Pub hat es David Browne ins Guinness Buch der Rekorde geschafft, weil er über 114 Stunden lang ununterbrochen Gitarre spielte. Weil nun alle in dieses „typisch“irische Pub drängen, ging als Erstes die Originalität flöten – zu erkennen an den Austern auf der Speisekarte – und als Zweites stiegen die Preise: 7,95 Euro für ein Pint Guinness (=0,57l!) sind wahrlich ambitioniert.
Die zweite Möglichkeit, sich für einen besseren Alkoholausschank ins Gespräch zu bringen, sind Prominente – tot oder lebendig. Zu toppen ist das nur noch mit einem berühmten Drink, etwa dem Singapore Sling. Die Rede ist von der Long Bar im Raffles Hotel in Singapur. Die Kolonialherberge war in den 1920er-Jahren das Refugium reiselustiger Literaten, die es zu Weltruhm brachten: Somerset Maugham, Rudyard Kipling und Ernest Hemingway süffelten vermutlich alle am Singapore Sling, der heute auf 23 Euro pro Glas kommt. Der Preis wäre gerechtfertigt, wenn der Charakter der Bar noch existierte. Tut er aber nicht. Draußen stehen Touristen Schlange, drinnen ist nach zig Renovierungen kein einziges Teil der Long Bar noch original – alles lediglich „nachempfunden“.
Die Vereinigten Staaten haben auch fantastische Naturphänomene wie den Grand Canyon. Auf dem Teil, der zum Gebiet der Hualapai-Indianer gehört, wurde 2007 ein Skywalk gebaut. Das spektakuläre Hufeisen aus Glas ragt 21 Meter ins Freie, der Felsboden liegt bis zu 240 Meter tiefer. Der Blick auf den Colorado River sowie die Schluchten ist umwerfend. Umwerfend sind auch die Preise und Vorschriften: Der Eintritt kostet 68 US-Dollar, und Handys wie Kameras müssen abgegeben werden. Nur SkywalkMitarbeiter dürfen die Besucher fotografieren – für 17 US-Dollar je Abzug, 69 US-Dollar für eine Serie. Noch unverschämter: Die Hälfte des Glasbalkons ist für diesen Nepp gesperrt.
Vom Abwasserbecken zur Touristenattraktion: Heiße Quellen versorgen Island mit Strom und Wärme. Bei der Blauen Lagune handelte es sich um Schlammwasser der lokalen Erdwärmeanlage. Das Blau stammt vom hohen Kieselsäuregehalt. Mitte der 1970er-Jahre badeten die ersten Einwohner in der blauen Brühe. Inzwischen ist die Blaue Lagune eine der Sensationen des Landes mit über 700.000 Gästen pro Jahr. Vom einstigen Freibadflair ist nichts mehr übrig.
Das Tagesticket kostet mit Getränk und Schlammmaske 64 Euro. Wie sehr die zum 5000 Quadratmeter großen Mega-Spa mutierte Anlage auf Touristen setzt, kann man an den zwei Luxushotels und vier Restaurants, darunter einem mit Michelin-Stern, ablesen. Wer ohne die Blautöne im Wasser auskommt, der kann in jedem isländischen Freibad preiswert Thermalwasser genießen.
Das London Eye war eigentlich nur für das Millenniumsjahr an der Themse gedacht. Wegen des riesigen finanziellen Erfolgs jedoch wurde das Riesenrad nicht abgebaut. Und selbst nach mehr als 20 Jahren stehen die Massen immer noch an und bezahlen inzwischen 45 Euro für eine halbstündige Fahrt. So lange braucht das Riesenrad, um sich einmal mit maximal 25 Personen pro Gondel um die Achse zu drehen. Dafür muss rund eine Dreiviertelstunde Anstehen in Kauf genommen werden. Wer im Voraus die schnelle Schlange für 48 Euro gebucht hat, der steht nur 20 Minuten an. Lohnt sich der Aufwand?
Ganz ehrlich, es gibt GratisPlattformen mit ebenso tollen Aussichten – zum Beispiel den Aussichtsbalkon der Tate Modern oder den Sky Garden, den höchsten Garten der Stadt im 35. Stockwerk eines Hochhauses, für den man nur ein Zeitfenster buchen muss.