Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wo die junge IsAr rAusCht

Das Tölzer Land ist ein eher unbekannte­s Stück Oberbayern – muss sich zwischen dem mondänen Tegernsee, der Kunstregio­n Blaues Land und der mächtigen Zugspitze aber wahrlich nicht verstecken.

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Von Jochen Müssig

Sie schimmert leicht grünlich, ist glasklar und dass sie gerade jetzt im Frühjahr, mit reichlich Schmelzwas­ser versetzt, eiskalt ist, sieht man ihr geradezu an: Die junge Isar ist im Tölzer Land gerade mal rund 80 Kilometer von ihrer Quelle entfernt, weder begradigt noch verschmutz­t. „Mei is des schee!“, schreien sie im Sommer von den Flößen, trinken ihr Bier aus Maßkrügen und springen auch schon mal ins kühle Nass.

Noch „scheener“ist der Fluss allerdings im Frühjahr. Die Natur erwacht, erste Blüten treiben, die Kieselsträ­nde sind noch verwaist, und abgesehen von ein paar Wanderern und Radlern entlang der Ufer gehört einem „die Reißende“fast allein. Das bedeutet „Isara“aus dem Keltischen übersetzt. Auch andere europäisch­e Flüsse tragen diesen „reißenden“Namen, wie in Südtirol die Isarca oder in Frankreich die Isère.

Umgeben vom mondänen Tegernsee, der Kunstregio­n Blaues Land und der mächtigen Zugspitze hat es das Tölzer Land nicht einfach, sich über die bayerische­n Grenzen hinaus zu profiliere­n. Aber die schönsten Seiten, allesamt westlich der Isar gelegen, geben ohne Zweifel ein Oberbayern im besten Postkarten- oder neudeutsch Insta-Format ab: am Kochel-,

Walchen- und Sylvenstei­nsee, in der Jachenau, an der Benedikten­wand, am Herzogstan­d oder Brauneck.

Die Morgensonn­e strahlt, der Himmel ist bayerisch blau, das Cabriodach versenkt und der Weg vom Kochel- zum Walchensee die reine Verführung: groß gewachsen, schlank, mit schnittige­n Kurven, von Kopf bis Fuß ein Traum – die Kesselberg­straße, die beide Seen verbindet. Es geht viereinhal­b Kilometer rauf. 23 Kurven, im Schnitt alle 200 Meter eine, Höhenunter­schied: 253 Meter. Oben angekommen glitzert der Walchensee im Sonnenlich­t, ein paar Kähne dümpeln dahin, wetterfest­e Surfer nehmen in Neopren den ersten Wind mit, und der 1731 Meter hohe Herzogstan­d reckt seinen Grat in die Höhe. Er war der Lieblingsb­erg von Märchenkön­ig Ludwig II. Auf dem von ihm angelegten Reitweg ritt er hinauf und nächtigte zuweilen oben im Königshaus, in dessen Nachbau die Bergwacht ihren Sitz hat. Heute bringt die Herzogstan­dbahn die Besucher in knapp fünf Minuten auf 1600 Meter Höhe. Der Blick auf den Walchensee, der übrigens auch im Sommer bitterkalt ist, während sich der tiefer gelegene Kochelsee gut zum Baden eignet, ist wahrlich königlich.

Von einem der schönsten Fleckchen im Isarwinkel geht es weiter in die Jachenau: einzigarti­g einsam und oft vergessen. Elektrosen­sible führen dort ein gutes Leben. Denn der Handyempfa­ng bleibt meistens aus. Von der Initiative Funkloch wurde der Jachenau sogar ein Stern als besonders strahlungs­armes Gebiet verliehen. Die Bushaltest­ellen heißen „Bäcker“, „Post“oder „Mühle“. Es gibt keine Tankstelle, keinen McDonald’s, aber das Haus der ehemaligen KöniglichB­ayerischen Posthalter­ei steht immer noch. Mit gerade mal 871 Einwohnern ist die Jachenau die kleinste Gemeinde Bayerns mit eigener Verwaltung – und mit sieben Bewohnern pro Quadratkil­ometer die am dünnsten besiedelte. Wanderer,

Radler, Bergsteige­r und im Winter Skilangläu­fer wissen den Talgrund und die umliegende Bergwelt zu schätzen. Mehr als ein Dutzend Gipfelkreu­ze rahmen das Tal ein. Ab Mai gibt’s auf der Staffel-Alm am Rabenkopf zum Ausblick noch eine deftige Brotzeit dazu.

Joseph Vilsmaier fand in der Jachenau eine authentisc­he Kulisse für seine Verfilmung der berühmten „Geschichte vom Brandner Kaspar“. Er drehte auf der Vorderen und Hinteren Scharnitz-Alm unterhalb der 1801 Meter hohen Benedikten­wand mit ihrer rund hundert Tiere umfassende­n Steinbockk­olonie. Einige Jachenauer dienten als Komparsen neben Franz Xaver Kroetz und Bully Herbig, den beiden Hauptdarst­ellern.

Hinter dem südlichen Bergkamm warten nicht weniger als 124 Milliarden Liter Trinkwasse­r: So viel fasst der Sylvenstei­nstausee, wenn der fjordartig­e Speicher bis an den Rand gefüllt ist. Das entspricht fast der Menge, die die Stadt München jedes Jahr verbraucht. Stetig von der Isar befüllt, reguliert der Speicherse­e mit dem 1959 fertiggest­ellten Staudamm den Fluss, verhindert Hochwasser und erzeugt durch zwei Wasserkraf­twerke erneuerbar­e Energie. Von dort schlängelt sich die Isar über Lenggries, bewacht vom 1555 Meter hohen Brauneck mit seinen hundert Kletterrou­ten, ins namensgebe­nde Tölz, das seinen Bad-Titel aufgrund seiner Jodquellen trägt.

Eishockey, der Knabenchor und ein gewisser Benno Berghammer, besser bekannt als „Der Bulle von Tölz“, gespielt von Ottfried Fischer, machten das 18.000-Einwohner-Städtchen bundesweit bekannt. Der EC spielt inzwischen nur noch Oberliga, die TV-Serie wurde vor Jahren eingestell­t – für Fans gibt es aber ein Museum! –, nur der Knabenchor ist noch immer gefragt, gibt 240 Konzerte pro

Der Herzogstan­d war der Lieblingsb­erg von Ludwig II.

Die Flößer haben die Stadt einst reich gemacht.

Jahr, darunter auch einmal im Monat einen kostenfrei­en Auftritt im Tölzer Kurhaus.

Die Flößer haben die Stadt einst reich gemacht. Salz und andere wertvolle Waren schifften sie stromabwär­ts nach München. Besonders am rechten Isarufer sieht man noch heute den Wohlstand. Wer von der Isarbrücke die Marktstraß­e, eine der schönsten Straßen in Oberbayern mit prächtigen Fassaden und Lüftlmaler­eien, hochgeht und sich die darum gruppierte pittoreske Altstadt anschaut, staunt nicht schlecht. Internatio­naler Städtepart­ner von Tölz ist übrigens das renommiert­e Bad Vichy in Frankreich.

„Wir waren den Sommer in Tölz, dessen Luft uns so wohltat, dass wir uns dort angekauft haben und uns ein Häuschen mit Blick auf den Ort, die Isar und das Gebirge bauen lassen“, schrieb Thomas Mann 1908. Und sein Bruder Klaus meinte in „Der Wendepunkt“: „Das Paradies

Auch Thomas Mann und Bruder Klaus schwärmten

hat einen bittersüße­n Duft von Tannen, Himbeeren und Kräutern, vermischt mit dem charakteri­stischen Aroma des Mooses, das von der Sonne durchwärmt ist, der großen mächtigen Sonne eines Sommertage­s in Bad Tölz.“

Bleibt ein letzter Abstecher – und so schließt sich der Kreis, wenn man auf die Landkarte blickt – nach Benediktbe­uern, wo nicht nur das mächtige Kloster zu bestaunen ist, sondern auch ein ganz besonderes Museum: „Tracht ist Mode. Tracht ist Leben. Tracht hat Zukunft“heißt es im Zentrum für Trachtenge­wand. „Kleider machen Leute“, weiß man schließlic­h spätestens seit Gottfried Kellers Novelle von 1874. Fast alle im Tölzer Land haben Tracht im Schrank, häufig sogar aufwendig, edel und teuer gemacht.

Unverheira­tete Frauen gehen an besonderen Tagen in farbenpräc­htigen Dirndln, Verheirate­te ziehen den Schalk, meist aus dunkler, kostbarer Seide, an. Und was eine echte Lederhosn ist, kann man in einer der zahlreiche­n Säcklereie­n sehen. Die Menschen sind bäuerlich-konservati­v, traditione­ll, auf jeden Fall katholisch. „Viele Leute strahlen Ruhe und Dankbarkei­t aus, weil sie hier leben dürfen“, weiß Annemarie Gerg. Sie muss es wissen: Der ehemalige Skistar im Weltcup-Zirkus wurde in Bad Tölz geboren.

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Fotos: zauberblic­ke, Adrian, Adobe Stock
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Foto: fottoo, Adobe Stock

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