Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Eine Tanzschule als Zeitmaschine
Bei der „John-Ray-Boogie-Woogie-Party“in Augsburg geht es zurück in die 1950er-Jahre. „Diese Party ist unser Plärrer“, sagt ein Teilnehmer. Getanzt wird dort auch für einen guten Zweck.
Wirbelnde Petticoats, Hawaiihemden, altmodische Hüte und flotte Sohlen, dazu Musik aus den 1950er-Jahren – wer am Samstag einen Blick in die Tanzschule Easy Dance in der Haunstetter Straße wirft, könnte meinen, die Gäste wären per Zeitmaschine angereist. Bei der „John-Ray-Boogie-WoogieGedächtnisparty“kommen Fans der frühen Rock ’n’ Roll-Musik als Zuschauer ebenso auf ihre Kosten wie Tanzfreunde mit einem Faible für diese Ära. Die Veranstaltung findet in diesem Jahr bereits zu 32. Mal statt und gilt überregional als Highlight für Boogie-WoogieTanzpaare und Clubs.
„Es kommen Leute aus der Augsburger Gegend ebenso wie aus München, Mindelheim, Memmingen, Zusmarshausen“, weiß Rainer Strobel, der seit rund 30 Jahren in der Szene dabei ist. „Es ist eine Gelegenheit, Leute wiederzusehen, die man sonst während des Jahres nicht sieht“, sagt der 57-Jährige. „Diese Party ist sozusagen unser Plärrer.“Schade findet er, dass wenig junge Leute den Zugang zu diesem Tanzstil finden. Doch es gibt auch Ausnahmen, wie Sarah Solga und Lukas Kold beweisen. Beide sind Boogie-WoogieTrainer. „Das ist einfach die beste Musik“, schwärmt Kold.
„Tanzen ist wie eine Beziehung – je besser der Dialog, desto harmonischer“, sagt Sabine Merkl. „Ich tanze für mein Leben gern“, sagt die 44-Jährige im roten Kleid. Einen Boogie-Woogie-Kurs hat sie nie belegt. „Das Lernen beginnt auf der Tanzfläche“, sagt ihr Tanzpartner Eduard Kloss, der früher Turniertanz betrieben hat. Einer der Höhepunkte des Abends ist der Jam, wo alle Tanzwütigen im Kreis stehen. Die Profis machen die Figuren vor, und die leidenschaftlichen Hobbytänzer machen mit.
„Das ist pure Lebensfreude“, schwärmt DJ und Veranstalter Horst Koristka über das BoogieWoogie-Tanzen. Dreimal hat er an den US-Open in Los Angeles teilgenommen, inzwischen seine Turnierzeit beendet. Er gründete 1975 die Tanzsportabteilung der TSG Hochzoll. Zunächst war Rock ’n’ Roll angesagt, seit 1990 steht Boogie-Woogie
im Vordergrund. Der 67-jährige Pensionär kümmert sich heute noch in Teilzeit beim Bayerischen Landessportverband um die Jugend und ist Übungsleiter
bei der TSG. „Das Unterrichten von Kindern und Jugendlichen liegt mir am Herzen“, sagt Koristka. Bei seinem Tanzsportverein Rocking Teddybears reicht die Altersspanne von Kindern ab sechs Jahren bis zu Tänzern, die über 80 sind. „Rock ‘n’ Roll ist Hochleistungssport, da ist die Akrobatik das Prägnante.“Beim Boogie-Woogie hingegen stehen für ihn das „Hineinlegen in die Musik“und das individuelle Interpretieren der Musik im Vordergrund. Beide Tanzstile vereint „die schöne Musik aus den 40er- und 50er-Jahren“, findet Koristka. Seine Frau Edith lernte er beim Tanzen kennen. „Er war 1996 mein Trainer“, verrät sie. Drei Jahre später heirateten die beiden.
Darüber, dass die besten Boogie-Paare aus der Region seit Jahren
von der „John Ray-BoogieWoogie-Gedächtnisparty“angezogen werden, freut er sich. „Bis aus Kaufbeuren, Nördlingen und Nürnberg kommen die Menschen, um fünf Stunden lang abzutanzen.“Die andere Hälfte der Gäste kommt, um zuzuschauen und um die Musik zu genießen. Dafür sorgt neben Horst Koristka auch Rainer Zellner. „Es ist wichtig, auf die Leute einzugehen“, sagt der DJ. Dazu gehört, zu erspüren, ob die Tänzer sich gerade schnellere oder langsamere Stücke erhoffen. Für den passenden Soundtrack sorgen nicht nur Oldies: Viele Bands hielten den Stil der damaligen Zeit lebendig, weiß Zellner.
Eine Spendenbox am DJ-Pult verweist auf den Anlass des Abends: Es handelt sich um eine Benefizveranstaltung. Namensgeber John Ray war ein in Augsburg bekannter DJ, Sänger und Tänzer, der dafür sorgte, dass sich der Boogie-Woogie in der Stadt etablierte. „Er war ein guter Freund von mir, mit dem wir seinerzeit durch die Diskotheken zogen, um Boogie zu tanzen“, sagt Horst Koristka. 1991 verstarb John Ray an Leukämie. „In seinem letzten Jahr musste er schon viel leiden“, erinnert er sich. Tanzen wollte John Ray trotzdem noch bis zum Schluss. Das hätte ihm geholfen, seine Schmerzen zu vergessen, erinnert sich Koristka. Deshalb rief er die Veranstaltung ins Leben. Der Erlös des Abends kommt krebskranken Kindern zugute. „Ich habe eine Bekannte, die in der Kinderklinik Augsburg tätig ist, durch sie weiß ich, wie schwer es diese Kids haben.“
Seit der ersten „John Ray-Boogie-Woogie-Gedächtnisparty“im Jahr 1992 bis zur 33. Benefizveranstaltung im vergangenen Jahr haben die Gäste 41.144 Euro an Organisationen, die sich um krebskranke Kinder kümmern, gespendet. An diesem Samstag kommen – so die erste Schätzung – mindestens 2200 Euro dazu. Diesmal gehen die Spenden an den Verein Glühwürmchen, der krebskranke und andere schwerstkranke Kinder und deren Familien unterstützt.