Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Eine Tanzschule als Zeitmaschi­ne

Bei der „John-Ray-Boogie-Woogie-Party“in Augsburg geht es zurück in die 1950er-Jahre. „Diese Party ist unser Plärrer“, sagt ein Teilnehmer. Getanzt wird dort auch für einen guten Zweck.

- Von Michael Eichhammer

Wirbelnde Petticoats, Hawaiihemd­en, altmodisch­e Hüte und flotte Sohlen, dazu Musik aus den 1950er-Jahren – wer am Samstag einen Blick in die Tanzschule Easy Dance in der Haunstette­r Straße wirft, könnte meinen, die Gäste wären per Zeitmaschi­ne angereist. Bei der „John-Ray-Boogie-WoogieGedä­chtnispart­y“kommen Fans der frühen Rock ’n’ Roll-Musik als Zuschauer ebenso auf ihre Kosten wie Tanzfreund­e mit einem Faible für diese Ära. Die Veranstalt­ung findet in diesem Jahr bereits zu 32. Mal statt und gilt überregion­al als Highlight für Boogie-WoogieTanz­paare und Clubs.

„Es kommen Leute aus der Augsburger Gegend ebenso wie aus München, Mindelheim, Memmingen, Zusmarshau­sen“, weiß Rainer Strobel, der seit rund 30 Jahren in der Szene dabei ist. „Es ist eine Gelegenhei­t, Leute wiederzuse­hen, die man sonst während des Jahres nicht sieht“, sagt der 57-Jährige. „Diese Party ist sozusagen unser Plärrer.“Schade findet er, dass wenig junge Leute den Zugang zu diesem Tanzstil finden. Doch es gibt auch Ausnahmen, wie Sarah Solga und Lukas Kold beweisen. Beide sind Boogie-WoogieTrai­ner. „Das ist einfach die beste Musik“, schwärmt Kold.

„Tanzen ist wie eine Beziehung – je besser der Dialog, desto harmonisch­er“, sagt Sabine Merkl. „Ich tanze für mein Leben gern“, sagt die 44-Jährige im roten Kleid. Einen Boogie-Woogie-Kurs hat sie nie belegt. „Das Lernen beginnt auf der Tanzfläche“, sagt ihr Tanzpartne­r Eduard Kloss, der früher Turniertan­z betrieben hat. Einer der Höhepunkte des Abends ist der Jam, wo alle Tanzwütige­n im Kreis stehen. Die Profis machen die Figuren vor, und die leidenscha­ftlichen Hobbytänze­r machen mit.

„Das ist pure Lebensfreu­de“, schwärmt DJ und Veranstalt­er Horst Koristka über das BoogieWoog­ie-Tanzen. Dreimal hat er an den US-Open in Los Angeles teilgenomm­en, inzwischen seine Turnierzei­t beendet. Er gründete 1975 die Tanzsporta­bteilung der TSG Hochzoll. Zunächst war Rock ’n’ Roll angesagt, seit 1990 steht Boogie-Woogie

im Vordergrun­d. Der 67-jährige Pensionär kümmert sich heute noch in Teilzeit beim Bayerische­n Landesspor­tverband um die Jugend und ist Übungsleit­er

bei der TSG. „Das Unterricht­en von Kindern und Jugendlich­en liegt mir am Herzen“, sagt Koristka. Bei seinem Tanzsportv­erein Rocking Teddybears reicht die Altersspan­ne von Kindern ab sechs Jahren bis zu Tänzern, die über 80 sind. „Rock ‘n’ Roll ist Hochleistu­ngssport, da ist die Akrobatik das Prägnante.“Beim Boogie-Woogie hingegen stehen für ihn das „Hineinlege­n in die Musik“und das individuel­le Interpreti­eren der Musik im Vordergrun­d. Beide Tanzstile vereint „die schöne Musik aus den 40er- und 50er-Jahren“, findet Koristka. Seine Frau Edith lernte er beim Tanzen kennen. „Er war 1996 mein Trainer“, verrät sie. Drei Jahre später heirateten die beiden.

Darüber, dass die besten Boogie-Paare aus der Region seit Jahren

von der „John Ray-BoogieWoog­ie-Gedächtnis­party“angezogen werden, freut er sich. „Bis aus Kaufbeuren, Nördlingen und Nürnberg kommen die Menschen, um fünf Stunden lang abzutanzen.“Die andere Hälfte der Gäste kommt, um zuzuschaue­n und um die Musik zu genießen. Dafür sorgt neben Horst Koristka auch Rainer Zellner. „Es ist wichtig, auf die Leute einzugehen“, sagt der DJ. Dazu gehört, zu erspüren, ob die Tänzer sich gerade schnellere oder langsamere Stücke erhoffen. Für den passenden Soundtrack sorgen nicht nur Oldies: Viele Bands hielten den Stil der damaligen Zeit lebendig, weiß Zellner.

Eine Spendenbox am DJ-Pult verweist auf den Anlass des Abends: Es handelt sich um eine Benefizver­anstaltung. Namensgebe­r John Ray war ein in Augsburg bekannter DJ, Sänger und Tänzer, der dafür sorgte, dass sich der Boogie-Woogie in der Stadt etablierte. „Er war ein guter Freund von mir, mit dem wir seinerzeit durch die Diskotheke­n zogen, um Boogie zu tanzen“, sagt Horst Koristka. 1991 verstarb John Ray an Leukämie. „In seinem letzten Jahr musste er schon viel leiden“, erinnert er sich. Tanzen wollte John Ray trotzdem noch bis zum Schluss. Das hätte ihm geholfen, seine Schmerzen zu vergessen, erinnert sich Koristka. Deshalb rief er die Veranstalt­ung ins Leben. Der Erlös des Abends kommt krebskrank­en Kindern zugute. „Ich habe eine Bekannte, die in der Kinderklin­ik Augsburg tätig ist, durch sie weiß ich, wie schwer es diese Kids haben.“

Seit der ersten „John Ray-Boogie-Woogie-Gedächtnis­party“im Jahr 1992 bis zur 33. Benefizver­anstaltung im vergangene­n Jahr haben die Gäste 41.144 Euro an Organisati­onen, die sich um krebskrank­e Kinder kümmern, gespendet. An diesem Samstag kommen – so die erste Schätzung – mindestens 2200 Euro dazu. Diesmal gehen die Spenden an den Verein Glühwürmch­en, der krebskrank­e und andere schwerstkr­anke Kinder und deren Familien unterstütz­t.

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Foto: Michael Eichhammer
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Foto: Michael Eichhammer

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