Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Behinderte finden nur schwer Arbeit
Behinderte Menschen tun sich bei der Jobsuche weiter schwer, trotz des Personalmangels in vielen Branchen. Unternehmen schrecken vor einer Beschäftigung zurück, auch in Augsburg. Doch es gibt Lichtblicke.
Jeffrey Hofstetter ist 34 Jahre alt und gelernter Verwaltungsfachangestellter. Seit März arbeitet er im zentralen Telefonservice der Stadt Augsburg. Er ist blind und hat sich nach seiner überbetrieblichen Ausbildung mehr als fünf Jahre lang erfolglos um Arbeit beworben. Immer wieder habe er zu spüren bekommen, dass eine Absage mehr mit seiner Behinderung als seiner Qualifikation zu tun hatte, erzählt er.
Zahlen der Arbeitsagentur zeigen, dass im Schnitt weniger als die Hälfte der Betriebe in Augsburg die gesetzliche Beschäftigungspflicht von Menschen mit Behinderung erfüllen. Zwar habe sich in den letzten Jahren der Arbeitsmarkt für diese Menschen durch die Inklusion positiver entwickelt, sagt die Vorsitzende des Behindertenbeirats der Stadt Augsburg, Claudia Nickl. Doch nach wie vor sei es für Menschen mit Behinderung schwierig, einen Arbeitsplatz zu finden.
Bei der Stadt Augsburg haben derzeit etwa 750 der 7000 Beschäftigten eine Behinderung. Damit übererfüllt die Stadt gesetzliche Vorgaben. Demnach müssen Unternehmen, die im Jahresdurchschnitt monatlich 20 oder mehr Arbeitnehmende beschäftigen, Menschen mit Handicap einstellen. Fünf Prozent der Arbeitsplätze müssen entsprechend vergeben werden. Wer das nicht tut, muss eine Ausgleichsabgabe zahlen, die zu Jahresbeginn für all jene beschäftigungspflichtigen Betriebe erhöht wurde, die bislang keinen einzigen Mitarbeiter mit Handicap beschäftigen. Sie bezahlen nun 720 Euro pro Monat – in der Hoffnung, ein Umdenken anzuregen.
Denn laut Zahlen der Agentur für Arbeit Augsburg erfüllten 2021 – aktuellere Zahlen liegen nicht vor – von 1408 Arbeitgebern mit mehr als 20 Arbeitsplätzen nur 40,7 Prozent die Beschäftigungspflicht. Private Arbeitgeber kamen dieser Vorgabe im Schnitt zu 39 Prozent nach, öffentliche zu rund 62 Prozent. Die Werte stiegen zuletzt leicht an. 8960 Menschen mit Behinderung
waren 2021 in Augsburg im ersten Arbeitsmarkt beschäftigt. Ein Plus von 13,5 Prozent zu 2017.
Es tut sich etwas, aber trotzdem bleibt Luft nach oben. Das weiß auch Florian Benz vom Integrationsfachdienst Schwaben und nennt vorgebrachte Argumente der Arbeitgeber: „Es wird befürchtet, dass man Menschen mit Behinderung nie mehr ‘losbekommt’ und diese viel mehr Fehlzeiten hätten.“Beides sei faktisch falsch. Auch die Argumente, man sei nicht barrierefrei oder suche Fachkräfte, ärgern ihn. „Nicht jeder Mensch mit Behinderung sitzt im Rollstuhl, und diese Menschen sind nicht selten ausgebildet oder studiert.“Teilweise sei es ein Spießrutenlauf mit unzähligen Bewerbungen und das über Jahre, so Benz. Der Integrationsfachdienst bietet deshalb eine eigene Beratung für Unternehmen an, um zu vermitteln und Fördermöglichkeiten aufzuzeigen. Aber nur 30 bis 40 Prozent der Firmen würden dieses Angebot annehmen. Daran habe auch der Fachkräftemangel nichts geändert. Eines sei aber auch klar, sagen Benz und Nickl: Die Integration eines Menschen mit Behinderung in den Betrieb kann mit einem höheren Aufwand verbunden sein.
Das zeigt auch das Beispiel von Jeffrey Hofstetter. Um ihm die Mitarbeit in der städtischen Telefonzentrale zu ermöglichen, musste für das ganze Team eine neue, barrierefreie Telefonvermittlungssoftware eingeführt werden, deren Kosten im mittleren fünfstelligen Bereich lagen. Zusätzlich benötigte die Inklusion Zeit und war ein großer organisatorischer Aufwand. „Nicht alle Unternehmen sind dazu bereit“, sagt Nickl.
Für Katja Hüttenmüller, Leiterin der Hauptabteilung Kommunikation der Stadt, war es dagegen selbstverständlich. „Als Arbeitgeber hat man eine soziale Fürsorge und gesellschaftliche Verantwortung. Für uns als Gesellschaft und das gemeinsame Miteinander ist es entscheidend, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt und selbstbestimmt am Arbeitsleben teilhaben können.“Mit Jeffrey Hofstetter habe man eine Fachkraft gewonnen, die das Team in mehrerlei Hinsicht bereichere. „Außerdem ermöglicht die neue technische Ausstattung, weitere nicht sehende Menschen einzustellen“, ergänzt Hofstetter. Die Kosten für die Umrüstung der Telefonsoftware hat die Arbeitsagentur übernommen.
Nicht immer scheitere es nur am Willen der Unternehmen, wissen Nickel und Benz. Es komme auch vor, dass Beschäftigte das Arbeitsverhältnis wieder lösen, weil sie es einfach doch nicht schaffen würden. Jeffrey Hofstetter hat seine Probezeit dagegen bestanden und fühlt sich bei der Stadt wohl. „Ich bin ausgeglichener und endlich finanziell selbstständig“, sagt er. Sein Ziel: irgendwann, wenn möglich, von Teilzeit auf Vollzeit erhöhen.
Das Team wurde auf eine barrierefreie Software umgestellt.