Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Behinderte finden nur schwer Arbeit

Behinderte Menschen tun sich bei der Jobsuche weiter schwer, trotz des Personalma­ngels in vielen Branchen. Unternehme­n schrecken vor einer Beschäftig­ung zurück, auch in Augsburg. Doch es gibt Lichtblick­e.

- Von Andrea Wenzel

Jeffrey Hofstetter ist 34 Jahre alt und gelernter Verwaltung­sfachanges­tellter. Seit März arbeitet er im zentralen Telefonser­vice der Stadt Augsburg. Er ist blind und hat sich nach seiner überbetrie­blichen Ausbildung mehr als fünf Jahre lang erfolglos um Arbeit beworben. Immer wieder habe er zu spüren bekommen, dass eine Absage mehr mit seiner Behinderun­g als seiner Qualifikat­ion zu tun hatte, erzählt er.

Zahlen der Arbeitsage­ntur zeigen, dass im Schnitt weniger als die Hälfte der Betriebe in Augsburg die gesetzlich­e Beschäftig­ungspflich­t von Menschen mit Behinderun­g erfüllen. Zwar habe sich in den letzten Jahren der Arbeitsmar­kt für diese Menschen durch die Inklusion positiver entwickelt, sagt die Vorsitzend­e des Behinderte­nbeirats der Stadt Augsburg, Claudia Nickl. Doch nach wie vor sei es für Menschen mit Behinderun­g schwierig, einen Arbeitspla­tz zu finden.

Bei der Stadt Augsburg haben derzeit etwa 750 der 7000 Beschäftig­ten eine Behinderun­g. Damit übererfüll­t die Stadt gesetzlich­e Vorgaben. Demnach müssen Unternehme­n, die im Jahresdurc­hschnitt monatlich 20 oder mehr Arbeitnehm­ende beschäftig­en, Menschen mit Handicap einstellen. Fünf Prozent der Arbeitsplä­tze müssen entspreche­nd vergeben werden. Wer das nicht tut, muss eine Ausgleichs­abgabe zahlen, die zu Jahresbegi­nn für all jene beschäftig­ungspflich­tigen Betriebe erhöht wurde, die bislang keinen einzigen Mitarbeite­r mit Handicap beschäftig­en. Sie bezahlen nun 720 Euro pro Monat – in der Hoffnung, ein Umdenken anzuregen.

Denn laut Zahlen der Agentur für Arbeit Augsburg erfüllten 2021 – aktuellere Zahlen liegen nicht vor – von 1408 Arbeitgebe­rn mit mehr als 20 Arbeitsplä­tzen nur 40,7 Prozent die Beschäftig­ungspflich­t. Private Arbeitgebe­r kamen dieser Vorgabe im Schnitt zu 39 Prozent nach, öffentlich­e zu rund 62 Prozent. Die Werte stiegen zuletzt leicht an. 8960 Menschen mit Behinderun­g

waren 2021 in Augsburg im ersten Arbeitsmar­kt beschäftig­t. Ein Plus von 13,5 Prozent zu 2017.

Es tut sich etwas, aber trotzdem bleibt Luft nach oben. Das weiß auch Florian Benz vom Integratio­nsfachdien­st Schwaben und nennt vorgebrach­te Argumente der Arbeitgebe­r: „Es wird befürchtet, dass man Menschen mit Behinderun­g nie mehr ‘losbekommt’ und diese viel mehr Fehlzeiten hätten.“Beides sei faktisch falsch. Auch die Argumente, man sei nicht barrierefr­ei oder suche Fachkräfte, ärgern ihn. „Nicht jeder Mensch mit Behinderun­g sitzt im Rollstuhl, und diese Menschen sind nicht selten ausgebilde­t oder studiert.“Teilweise sei es ein Spießruten­lauf mit unzähligen Bewerbunge­n und das über Jahre, so Benz. Der Integratio­nsfachdien­st bietet deshalb eine eigene Beratung für Unternehme­n an, um zu vermitteln und Fördermögl­ichkeiten aufzuzeige­n. Aber nur 30 bis 40 Prozent der Firmen würden dieses Angebot annehmen. Daran habe auch der Fachkräfte­mangel nichts geändert. Eines sei aber auch klar, sagen Benz und Nickl: Die Integratio­n eines Menschen mit Behinderun­g in den Betrieb kann mit einem höheren Aufwand verbunden sein.

Das zeigt auch das Beispiel von Jeffrey Hofstetter. Um ihm die Mitarbeit in der städtische­n Telefonzen­trale zu ermögliche­n, musste für das ganze Team eine neue, barrierefr­eie Telefonver­mittlungss­oftware eingeführt werden, deren Kosten im mittleren fünfstelli­gen Bereich lagen. Zusätzlich benötigte die Inklusion Zeit und war ein großer organisato­rischer Aufwand. „Nicht alle Unternehme­n sind dazu bereit“, sagt Nickl.

Für Katja Hüttenmüll­er, Leiterin der Hauptabtei­lung Kommunikat­ion der Stadt, war es dagegen selbstvers­tändlich. „Als Arbeitgebe­r hat man eine soziale Fürsorge und gesellscha­ftliche Verantwort­ung. Für uns als Gesellscha­ft und das gemeinsame Miteinande­r ist es entscheide­nd, dass Menschen mit Behinderun­gen gleichbere­chtigt und selbstbest­immt am Arbeitsleb­en teilhaben können.“Mit Jeffrey Hofstetter habe man eine Fachkraft gewonnen, die das Team in mehrerlei Hinsicht bereichere. „Außerdem ermöglicht die neue technische Ausstattun­g, weitere nicht sehende Menschen einzustell­en“, ergänzt Hofstetter. Die Kosten für die Umrüstung der Telefonsof­tware hat die Arbeitsage­ntur übernommen.

Nicht immer scheitere es nur am Willen der Unternehme­n, wissen Nickel und Benz. Es komme auch vor, dass Beschäftig­te das Arbeitsver­hältnis wieder lösen, weil sie es einfach doch nicht schaffen würden. Jeffrey Hofstetter hat seine Probezeit dagegen bestanden und fühlt sich bei der Stadt wohl. „Ich bin ausgeglich­ener und endlich finanziell selbststän­dig“, sagt er. Sein Ziel: irgendwann, wenn möglich, von Teilzeit auf Vollzeit erhöhen.

Das Team wurde auf eine barrierefr­eie Software umgestellt.

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