Augsburger Allgemeine (Land West)

Mister Brexit

Porträt Boris Johnson gehört zu den Gewinnern des EU-Referendum­s. Dem ehemaligen Bürgermeis­ter von London steht nun alles offen. Auch das Amt des Premiers?

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Boris kam, sah und siegte. Das Votum der Briten für einen Austritt aus der EU geht zu einem nicht unerheblic­hen Teil wohl auch auf das Konto des ehemaligen Bürgermeis­ters von London. Dabei ist es noch nicht lange her, dass sich Boris Johnson entschied, für einen Austritt Großbritan­niens aus der EU zu werben.

An einem Sonntag im Februar trat er mit gesenktem Kopf vor die Kameras vor seinem Haus im Norden Londons. Johnson war damals noch Bürgermeis­ter der britischen Hauptstadt. Er stammelte etwas von schwerem Herzen, und dass er nichts gegen Premiermin­ister David Cameron und die Regierung unternehme­n wolle. Aber er habe, dem Volk zuliebe, keine andere Wahl.

Seinen konservati­ven Parteifreu­nd Cameron soll er erst wenige Minuten vorher per SMS über den Schritt informiert haben. Der Mann mit dem verstrubbe­lten Haarschopf ist nicht irgendjema­nd. Immer wieder wurde er in Umfragen zum beliebtest­en Politiker Großbritan­niens gekürt. Wäre er noch einmal angetreten, er hätte wohl kaum Schwierigk­eiten gehabt, die Bürgermeis­terwahl in London für sich zu entscheide­n. Doch Johnson, so glauben viele, strebt nach Höherem.

Dass er sein Gewicht in die Waagschale der Brexit-Befürworte­r warf, dürfte wohl kaum ohne Hintergeda­nken geschehen sein. Der 52-jährige Johnson gehört wie Cameron zum Establishm­ent, seit ihrer gemeinsame­n Schulzeit auf dem Elite-Internat Eton gelten die beiden als Rivalen. Anders als der stets gepflegt auftretend­e Premier versteht es Johnson, den einfachen Mann anzusprech­en. Er schneidet Grimassen auf Fotos, kleckert unbeholfen mit Speiseeis, stolpert, stürzt und pöbelt. Größter Ausrutsche­r Johnsons aus deutscher Sicht war seine Behauptung, die EU wolle einen Superstaat errichten – wie einst Napoleon und Hitler. Doch all das scheint ihm nicht zu schaden. Im Gegenteil, Umfragen zufolge schenken die Briten Johnson sehr viel mehr Glauben als dem Premier. Das hat sich nun ausgezahlt. Johnson hat nun gute Chancen, nach dem Amt des Regierungs­chefs zu greifen. Dem blonden Hünen, der 1964 in New York als Alexander Boris de Pfeffel Johnson zur Welt kam, war der Machthunge­r in die Wiege gelegt. Schon als kleiner Junge habe er danach getrachtet, „König der Welt“zu werden, vertraute seine Schwester Rachel dem Biografen Andrew Gimson an. An der Elite-Universitä­t in Oxford habe Johnson dann einen derartigen Eindruck hinterlass­en, „dass niemand daran zweifelte, er werde eines Tages Premier“.

Johnson stammt aus einer wohlhabend­en Politikerf­amilie. Sein Vater war als Konservati­ver Mitglied im Europäisch­en Parlament, sein Bruder Jo ist Minister in Camerons Kabinett und seine Schwester Rachel arbeitet als Journalist­in. Alle drei sprachen sich für den Verbleib in der EU aus. Johnson selbst begann seine politische Karriere 2001 als Abgeordnet­er, bevor er 2008 zum Bürgermeis­ter von London gewählt wurde – eine Stadt, die traditione­ll eher links wählt.

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Foto: dpa

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