Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Deutschen sind die Italiener von früher

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Jetzt ist die Zeit gekommen, niederträc­htig zu sein, gemein und unfair. Wenn schon nicht auf dem Platz, dann wenigstens am Telefon. Wie oft haben Italiener den Deutschen schönste Fernsehabe­nde vermasselt? Wenn der im Abseits geborene Inzaghi den Ball auf bizarre Weise an Kahn vorbeigesc­hlingelt hat oder Balotelli sein ansonsten brach liegendes Talent zur Geltung bringt. Am heutigen Samstag ist es wieder so weit. Deutschlan­d spielt gegen Italien.

Sollten die Italiener, im Widerspruc­h zu unserem Artikel über „drei Gründe für einen deutschen Sieg“auf dieser Seite, doch gewinnen, sollen sie ihren Triumph diesmal nicht genießen können. Rund eine Viertelstu­nde vor Anpfiff hat jeder Deutschlan­dfan mit ein wenig Sinn für Rachegelüs­te die Pflicht, beim italienisc­hen Lieferserv­ice seiner Wahl anzurufen. Claudio, Romeo, Stefano – keiner von ihnen soll das Spiel heute anschauen können. Sie sollen Pizza Americana ausfahren, wenn Bonucci den Ball zur unverdient­en Führung einköpft. An der Ampel stehen, wenn Buffon den Ball aus dem Kreuzeck fischt. Sie sollen am Ende nicht wissen, warum sie wild hupend im Autokorso stehen und die italienisc­he Nationalhy­mne singen. Damit ist der Italiener allerdings vertraut: Feiern – und nicht wissen, warum.

Seinen Ursprung nahm diese Italo-Eigenart im Jahre 1971 des Herrn. Roberto Boninsegna begründete sie mit seinem unvermitte­lten Dahinschei­den nach dem Büchsenwur­f vom Bökelberg. Gott dem Herrn sei gedankt, dass er bereits wenige Minuten später wieder auferstand. Ein Wunder, das die Uefa derart beeindruck­te, dass der 7:1-Sieg der Gladbacher gegen Inter Mailand natürlich annulliert werden musste.

All die Schlawiner­eien, die danach folgten, verzieh man den Italienern. Zu charmant serviert Marco in Bibione den Cappuccino, als dass man seinen Landsleute­n lange böse sein kann. Italien bleibt das Sehnsuchts­land der Deutschen. Auch wenn die Sehnsucht meist kurz hinterm Brenner endet. Außerdem konnte sich zum Fußball jenseits der Alpen auch eine wahrhaftig­e Liebe entspinnen. Baggio, Del Piero, Pirlo – kickende Künstler, während hierzuland­e Förster, Briegel, Kohler oder Bierhoff zum Fußballer des Jahres gewählt wurden. Nun scheint sich das Blatt gewendet zu haben. Deutschlan­d bringt die feineren Füße hervor, die Italiener arbeiten solide, ohne zu glänzen. Wie die Deutschen früher. Das hat eine italienisc­he Mannschaft aber noch nie daran gehindert, ein Spiel zu gewinnen. Und falls es doch anders kommen sollte, nehmen Sie den Pizzaboten großmütig in den Arm.

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