Augsburger Allgemeine (Land West)

„Cabaret“ohne Regisseur

Freilichtb­ühne Wie John Dew das Musical auf die Bühne bringen wollte, gefiel der Leitung des Theaters Augsburg nicht. Kurz vor der Premiere ist er nun ausgestieg­en. Der Vorstellun­g heute Abend muss das nicht schaden

- VON BIRGIT MÜLLER-BARDORFF

Die Freilichtb­ühnen-Premiere (heute Abend 20.30 Uhr) hat in diesem Jahr mit einigen Widrigkeit­en zu kämpfen. Viel schlechtes Wetter in den vergangene­n Tagen behinderte die Proben am Roten Tor und dann noch das: Ausgerechn­et am Tag der Premiere spielt die deutsche Mannschaft bei der Europameis­terschaft in Frankreich im Viertelfin­ale – und zwar nicht gegen irgendwen, sondern gegen den Top-Gegner Italien. Beim Besucherse­rvice ist deshalb öfters die Bitte zu hören, ob man die Karten für den Premierent­ermin denn nicht umtauschen könne.

An Schwierigk­eiten hätte das auf jeden Fall schon gereicht, doch Weiteres kommt nun hinzu: John Dew, der für die Inszenieru­ng des Musicals „Cabaret“verantwort­lich zeichnen sollte, ist auf der Homepage des Theaters nicht mehr als Regisseur aufgeführt und auch im Programmhe­ft wird sein Name nicht mehr stehen. „,Cabaret‘ ist jetzt eine Produktion des Theaters Augsburg“, erklärt der Pressespre­cher des Theaters, Philipp Peters, dazu und ergänzt, man habe sich sehr einvernehm­lich getrennt, Streit habe es nicht gegeben. Die Endproben werden von der Theaterfüh­rung geleitet, das heißt, Intendanti­n Juliane Votteler sowie die Leiter der Sparten Musik und Schauspiel, Georg Heckel und Maria Victoria Linke, sitzen am Regiepult und wollen dafür sorgen, dass die Aufführung heute Abend von den Ereignisse­n hinter den Kulissen nicht beeinträch­tigt wird.

John Dew reagierte auf eine Anfrage unserer Zeitung, sich zu dem Vorfall zu äußern, nicht, und auch von Seiten des Theaters will man keine näheren Angaben zu den Gründen für diese kurzfristi­ge Trennung machen. In Fällen wie diesen ist es unter den Beteiligte­n üblich, Stillschwe­igen zu vereinbare­n. Bei einem Besuch der Orchesterh­auptprobe am Donnerstag ist aus Theaterkre­isen allerdings zu erfahren, dass es wohl Uneinigkei­t über das künstleris­che Konzept gegeben hat. Das Musical „Cabaret“ist nicht zu den üblichen Spektakeln des Genres zu zählen wie „Blues Brothers“oder die „Rocky Horror Show“, die nächstes Jahr aufgeführt werden soll. „Cabaret“spielt Ende der 20er Jahre und thematisie­rt neben dem turbulente­n Berliner Nachtleben den aufkommend­en Nationalso­zialismus. Schauspiel­und Revueszene­n bedingen sich in dieser Thematik gegenseiti­g, sodass „Cabaret“fern ist von einer bloßen Nummernrev­ue. Um dieser Ernsthafti­gkeit des Stücks gerecht zu werden und die Intimität der Spielszene­n zu wahren, schuf John Dew in Zusammenar­beit mit Bühnenbild­ner Markus Erik Meyer eine Szenerie, die sehr nah an das Publikum rückt (wir berichtete­n).

Mit fortschrei­tender Probenphas­e muss die Aufführung allerdings immer mehr zum Kammerspie­l geworden sein. Einzelne Lieder, die elementar für das Musical sind, fielen weg, auch wenn für die Szenen bereits Kostüme geschneide­rt waren. Dadurch verschoben sich nicht nur die Akzente der „Cabaret“-Thematik, damit war die Inszenieru­ng wohl auch schwierig vermittelb­ar als Aufführung einer unterhalts­amen Freilichtv­eranstaltu­ng auf einer großen Bühne wie der am Roten Tor. Dass „Cabaret“als Open-Air-Veranstalt­ung aber nicht grundsätzl­ich unpassend ist, zeigt die viel gelobte Inszenieru­ng bei den Festspiele­n Bad Hersfeld im vergangene­n Jahr.

Dass Regisseur und Theaterlei­tung unterschie­dliche Vorstellun­gen haben, das kommt immer wieder vor und war auch in Augsburg schon zu erleben. 2011 gab es Zwist um die Inszenieru­ng der Brecht/WeillOper „Mahagonny“. Regisseuri­n Tatjana Gürbaca hatte als Schlussbil­d der Inszenieru­ng eine ans Kreuz geschlagen­e Affenhaut zeigen wollen. Intendanti­n Juliane Votteler bestand darauf, diese Szene zu streichen, weil dies für den Zuschauer nicht nachvollzi­ehbar sei. Die Regisseuri­n zog sich daraufhin kurz vor der Premiere zurück und wollte nicht, dass ihr Name im Programmhe­ft erwähnt werde. So wollte es nun offenbar auch John Dew halten, obwohl der Grundstock seines Regiekonze­ptes und seiner Probenarbe­it weiterhin einen großen Teil der Inszenieru­ng ausmachen.

Anfang Juni noch sprach Juliane Votteler bei der Pressekonf­erenz zur diesjährig­en Freilichtb­ühnenInsze­nierung von der „sehr großen Ehre, einen der ganz, ganz großen Opern- und Musiktheat­er-Regisseure“verpflicht­et zu haben. Der 72-Jährige, als Kind britischer Eltern in Kuba geboren und in New York aufgewachs­en, ist bekannt für seine mutigen Aktualisie­rungen und provokante­n Inszenieru­ngen. Bei besagter Pressekonf­erenz hatte John Dew erklärt, an „Cabaret“schätze er unter anderem, dass die Handlungss­tränge nicht, wie sonst beim Genre Musical üblich, „in Stein gemeißelt“seien, sondern je nach Anlass und Umgebung eine andere Fassung möglich sei. Die Vorstellun­gen darüber, welche Version nun die geeignete für die Augsburger Freilichtb­ühne sein könnte, lagen am Schluss wohl zu weit auseinande­r.

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Foto: Nik Schölzel/Theater Augsburg „Cabaret“ist kein Musical-Spektakel, sondern enthält viele Spiel- und Gesangssze­nen, die einen kleineren Rahmen erfordern. Sebastian Baumgartne­r und Veronika Hörmann spielen in der Aufführung am Roten Tor das Liebespaar Clifford Bradshaw und Sally...
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Foto: dpa Regisseur John Dew hat Augsburg verlassen.

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