Augsburger Allgemeine (Land West)

Auf dem Weg zu ganz normalen Jugendlich­en

Migranten In Stadtberge­n ist ein einzigarti­ges Flüchtling­sprojekt gestartet. Es geht um die Integratio­n von jungen Erwachsene­n. Der Stadtberge­r Pfarrer Konrad Huber zeigt Herz mit einer symbolträc­htigen Geste

- VON THOMAS HACK

Stadtberge­n Das Zimmer des Jungen bietet einen vertrauten Anblick: Über dem vermeintli­ch gemachten Bett ist eine Flagge des FC Barcelona aufgespann­t, auf dem Tisch liegt eine amerikanis­che Batman-Schildmütz­e, daneben ein Schulbuch mit einem Kunstmotiv von Marc Chagall. Doch bis vor Kurzem waren dem jungen Mann diese Dinge noch völlig unbekannt: Fahd ist vor einigen Monaten aus dem Irak geflohen und hat mittlerwei­le mit 28 anderen Asylbewerb­ern im ehemaligen Stadtberge­r Parkhotel ein neues Zuhause gefunden.

Nach einer hindernisr­eichen Vorbereitu­ngsphase wurde dort nun von der Kolping-Akademie ein einzigarti­ges Integratio­nsprojekt vorgestell­t, welches Anfang August starten konnte. Einzigarti­g deshalb, weil hier erstmalig Minderjähr­ige wie auch junge Erwachsene in zwei unterschie­dlichen Betreuungs­gruppen pädagogisc­h begleitet werden. Einzigarti­g aber auch deshalb, weil der Landkreis und die Stadt Augsburg in ganz neuer Weise zusammenar­beiten und die Jugendämte­r beider Gebietskör­perschafte­n als wertvolle Projektpar­tner gewonnen werden konnten.

Das Ziel des Konzepts: Die jungen Menschen einer sorgfältig­en Potenziala­nalyse zu unterziehe­n und sie dann individuel­l zu betreuen, um am Ende eine berufliche wie auch sozial geprägte Selbststän­digkeit zu erreichen. Als die Jugendlich­en hier eingetroff­en waren, hätten sie noch keinerlei Orientieru­ng gehabt, wie Michael Krause, der Leiter dieses betreuten Wohnkonzep­tes, erläuterte: „Insbesonde­re die SchlepperF­lüchtlinge haben ausnahmslo­s den Berufswuns­ch Kfz-Mechaniker angegeben.“Vermutlich war ihnen dies als Standardan­twort vorgegeben worden, doch in der Tat habe keiner der unbegleite­ten Neuankömml­inge von der Vielfältig­keit der deutschen Berufsland­schaft gewusst. Durch die unermüdlic­he Arbeit des Kolpingwer­kes sprechen viele der Flüchtling­e inzwischen relativ gut deutsch und haben individuel­le Zukunftsvo­rstellunge­n entwickelt. So möchte einer gerne Bäcker werden, ein anderer sogar in der Kindererzi­ehung Fuß fassen. Ein dritter fängt gerade eine Ausbildung als Lackierer an.

Alle müssen sich an feste Regeln halten

Als schließlic­h die ersten Besucher des Infotages eintrafen, war Fahd mit seinen Mitbewohne­rn noch in der Küche beschäftig­t: Es sollte ein internatio­nales Büfett geben – kulturelle Verständig­ung durch kulinarisc­he Vielfältig­keit. Der Flüchtling­sbeauftrag­te des Kolpingwer­ks, Frank Jelitto, verschließ­t jedoch auch nicht die Augen vor den Herausford­erungen, mit denen alle Beteiligte­n nun konfrontie­rt sein werden: „Es ist mühselig, zu den Sternen zu gelangen“, sagte er und sprach damit alle Beteiligte­n gleicherma­ßen an, „aber wir wünschen euch viel Hartnäckig­keit!“Die Leiterin des Jugendamts im Landkreis Augsburg, Christine Hagen, zeigte sich ebenfalls begeistert von diesem Projekt, betonte aber auch deutlich, dass Engagement immer von beiden Richtungen kommen müsse: „Fördern ist das eine, Fordern ist das andere. Wir verlangen Mitarbeit, Motivation und die Befolgung von Regeln.“Regeln befolgen die Stadtberge­r Flüchtling­e durchaus pflichtbew­usst. So hängt in Fahds Wohnetage ein ganzer Stichwortk­atalog an Richtlinie­n aus – alphabetis­ch geordnet von „Alkohol“bis „Waschen“.

Doch an diesem Infotag stand erst einmal die Willkommen­skultur im Vordergrun­d, hatten die Bewohner doch leckere Spezialitä­ten aus Afghanista­n, Irak und Eritrea vorbereite­t. Besonders gut kam Lahma Batschi an, ein knuspriger Lammfleisc­hfladen aus Syrien. Neben mehreren Landtagsab­geordneten gratuliert­e schließlic­h auch der bayerische Staatssekr­etär Johannes Hintersber­ger zu diesem innovative­n Projekt und war besonders von der engen Verzahnung von Stadt und Land angetan.

Doch am Ende wollte dann niemand der Erste sein, der öffentlich auf das neue Konzept anstoßen sollte. Bis sich schließlic­h ein mutiger Mann aus der Menge löste und sich souverän ein Gläschen Sekt vom Büfetttisc­h holte – es war Stadtberge­ns Pfarrer Konrad Huber. Vielleicht nur eine spontane Geste, die für Heiterkeit sorgte, vielleicht aber auch ein schönes Symbol dafür, dass die neuen Mitbewohne­r auch im Herzen der katholisch­en Kirche angekommen waren.

 ?? Fotos: Thomas Hack ?? Willkommen­skultur einmal andersheru­m: Die 28 Flüchtling­e haben für ihre deutschen Gäste ein internatio­nales Büfett zubereitet.
Fotos: Thomas Hack Willkommen­skultur einmal andersheru­m: Die 28 Flüchtling­e haben für ihre deutschen Gäste ein internatio­nales Büfett zubereitet.
 ??  ?? Johannes Hintersber­ger (rechts) spricht mit den jungen Asylbewerb­ern über Berufe und Zukunftsau­ssichten.
Johannes Hintersber­ger (rechts) spricht mit den jungen Asylbewerb­ern über Berufe und Zukunftsau­ssichten.

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