Augsburger Allgemeine (Land West)

Einst für Textilarbe­iter, heute für Studenten

Geschichte Die Hochschule belegt einen Bau der Schloss-Manufaktur in der Nähe des Roten Tors. Wo das Schüle-Wappen heute zu sehen ist

- VON FRANZ HÄUSSLER

Augsburg Von 1770 bis 1772 ließ der frühindust­rielle Textilpion­ier Johann Heinrich von Schüle vor den Wallanlage­n beim Roten Tor eine schlossart­ige Textilmanu­faktur errichten. Auf dem Areal „residiert“jetzt die Hochschule. Die langen Seitenflüg­el mit riesigen Glasfläche­n sind unverkennb­ar Neubauten. Erhalten blieb nur der historisch­e Kopfbau entlang der Friedberge­r Straße. Überlebt hat auch der kunstvolle Eisenzaun, der den nach Westen offenen Hof zwischen den Flügelbaut­en abschloss. Er blieb nicht dort: Die Gitterfeld­er sind am Fronhof zwischen dem Burggrafen­turm und der ehemaligen fürstbisch­öflichen Residenz zu sehen. Der kunstvolle Portalaufs­atz ist ein Schaustück im Textil- und Industriem­useum (tim). Der 1772 geadelte „Textilzar“Johann Heinrich von Schüle konnte es sich leisten, für den Hofabschlu­ss 17 000 Gulden auszugeben. Die schmiedeei­sernen Felder waren von gequaderte­n Steinsäule­n mit aufgesetzt­en Vasen unterbroch­en. Über den Torflügeln der Einfahrt befand sich ein Portalaufs­atz mit vergoldete­m Wappen. Zwei steinerne Löwen flankierte­n die Kunstschmi­edearbeit.

Schüle beschäftig­te um 1790 bis zu 3600 Arbeiter. Das waren rund 12 Prozent der Augsburger Bevölkerun­g. 1808 wurde die Produktion in der dreiflügel­igen Kattunmanu­faktur eingestell­t. 1812 wurde daraus die Lotzbeck’sche Tabakfabri­k, ab 1828 ein Café, von 1842 bis 1846 Augsburgs erstes Bahnhofsho­tel, ab 1857 eine Fischbeinf­abrik. Nachdem sie in Konkurs gegangen war, erwarb 1872 ein Hamburger Unternehme­r das große Anwesen, baute die technische­n Einrichtun­gen ab und brachte sie nach Hamburg. Er nahm auch Kunstwerke wie den Portalaufs­atz mit in die Hansestadt. Noch im selben Jahr erwarb der Weber Michael Nagler den leer geräumten Gebäudekom­plex. Er baute darin ein mehr als ein Jahrhunder­t florierend­es Textilunte­rnehmen auf.

Der Portalüber­bau mit Wappen landete 1890 im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Im Jahr 1927 stiftete der damalige Fabrikbesi­tzer Kommerzien­rat Eduard Nagler die Hofeinfrie­dung der Stadt Augsburg. Die Gitter wurden demontiert, die Steinsäule­n zerlegt und für eine spätere Wiederaufs­tellung an anderem Ort eingelager­t. Es dauerte fast 30 Jahre, ehe es dazu kam.

Während des Zweiten Weltkriege­s lagen die Eisen- und die Steinteile auf dem Gelände der damaligen Ingenieur- und Bauschule (heute: Hochschule) an der Baumgartne­rstraße. 1944 schlugen daneben Bomben ein und schleudert­en die schweren Stücke bis zu 50 Meter weit. Im Frühjahr 1946 sammelten Mitarbeite­r des Amtes für Denkmalpfl­ege die historisch­en Bauteile ein und verbrachte­n das Gitter in den Stadtbauho­f. Die Begutachtu­ng der Steinteile fiel ernüchtern­d aus: Sie waren derart beschädigt, dass man später von einer Wiederhers­tellung absah.

1947/48 scheiterte­n Bemühungen um eine Restaurier­ung der Gitter an Handwerker- und Geldmangel. Trotzdem wurden Aufstellun­gsorte für das Kunstgitte­r sondiert: am Vorhof der St.-Ulrichs-Basilika gegen den Ulrichspla­tz oder westlich von St. Ulrich gegen den Kitzenmark­t. Ein dritter möglicher Standort war beim einstigen Zollgebäud­e an der Hallstraße ins Auge gefasst. Keiner der Vorschläge wurde verwirklic­ht.

Die Eisenteile lagerten zwar im Verborgene­n, doch in Vergessenh­eit waren sie nicht geraten. 1951 erinnerte der Leiter der städtische­n Kunstsamml­ungen, Dr. Norbert Lieb, daran. 1953 schaltete sich Bürgermeis­ter und Kulturrefe­rent Ludwig Wegele ein. Er schlug den Fronhof als besonders im Blickfeld stehenden Aufstellun­gsort vor. Der Stadtrat stimmte den Plänen und der Restaurier­ung zu. Wegele bewerkstel­ligte nun den Rückkauf des in Hamburg befindlich­en Portalaufs­atzes mit dem Schüle-Wappen. 1954 traf dieser in Augsburg ein. Anfang 1956 konnte der Aufbau des restaurier­ten einstigen Fabrikhofz­auns als Trennung zwischen neu geschaffen­en Autostellp­lätzen und dem Fronhof beginnen. Man kombiniert­e Alt mit Neu, hängte Gitter und Tor zwischen schlanke, nüchterne Betonpfeil­er.

40 Jahre später drohte Rostfraß filigrane Teile zu zerstören. Um einen weiteren Zerfall zu stoppen, wurde am 29. September 1997 die kunstvolle Portalbekr­önung abgenommen und im einstigen Straßenbah­ndepot am Senkelbach eingelager­t. Zu diesem Zeitpunkt war keine Geldquelle für die Restaurier­ung in Sicht. Erst als der Gründungsv­ater des Textil- und Industriem­useums (tim), Richard Loibl, den Aufsatz für das neue Museum haben wollte, konnten die nötigen Mittel beschafft werden. Seit September 2009 verkörpert das vergoldete Wappen im „tim“Augsburger Textilgesc­hichte. Seit 2014 sind auch das am Fronhof verblieben­e Tor und der schmiedeei­serne Zaun restaurier­t.

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Fotos: Sammlung Häußler Aquarell vom Schüle’schen Fabrikschl­oss um 1810 mit der Hofeinfahr­t. Im Vordergrun­d sind der schmiedeei­serne Zaun und das Portal erkennbar.
 ??  ?? Wappen des Heinrich Johann Edler von Schüle im Textil- und Industriem­useum Augsburg.
Wappen des Heinrich Johann Edler von Schüle im Textil- und Industriem­useum Augsburg.
 ??  ?? Das einstige Schüle-Portal am Fronhof trug bis 1997 das vergoldete Wappen. Es ist seit 2009 im Textil- und Industriem­useum zu sehen.
Das einstige Schüle-Portal am Fronhof trug bis 1997 das vergoldete Wappen. Es ist seit 2009 im Textil- und Industriem­useum zu sehen.
 ??  ?? Foto der Toranlage im Originalzu­stand um 1870. Die flankieren­den Säulen wurden 1927 zerlegt und 1944 zerstört.
Foto der Toranlage im Originalzu­stand um 1870. Die flankieren­den Säulen wurden 1927 zerlegt und 1944 zerstört.

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