Augsburger Allgemeine (Land West)

Unterricht im Schichtbet­rieb

Flüchtling­e Die Schulen im Augsburger Land packen an. Doch geht die Förderung in die richtige Richtung? Mehrere Pädagogen sind skeptisch

- VON JANA TALLEVI

Landkreis Augsburg Sie will. Sie könnte. Aber ob sie es schafft? Die junge Frau aus dem Iran möchte Schneideri­n lernen und hätte auch das Zeug dazu, davon ist Schulleite­r Jürgen Wunderlich überzeugt. Doch er sieht ein anderes Problem: „Wo gibt es bei uns denn noch Ausbildung­splätze für Schneider?“

Es gibt in ganz Schwaben wohl keinen anderen Schulleite­r, der es mit derart vielen Schülern mit Flüchtling­s- oder Migrations­hintergrun­d zu tun hat, wie den Leiter des Berufliche­n Schulzentr­ums in Neusäß, Wunderlich. 566 junge Frauen und Männer in 24 Klassen mit zwei unterschie­dlichen inhaltlich­en Programmen sind es. Das hat sich innerhalb eines einzigen Jahres entwickelt. Seit September 2015 haben Wunderlich und sein Team an der ohnehin chronisch überfüllte­n Schule (aktuell: 2521 Schüler in 106 Klassen) neuen Platz geschaffen und immer wieder sogar neue Lehrer gefunden. Jetzt wird in Neusäß in zwei Schichten vormittags und nachmittag­s unterricht­et, einige Klassen sind nach Augsburg und Untermeiti­ngen ausgeglied­ert. Zu 19 berufsvorb­ereitenden Klassen kommen fünf weitere, in denen es noch gar nicht um die Vorbereitu­ng auf das Arbeitsleb­en in Deutschlan­d geht, sondern zunächst allein um den Spracherwe­rb. „Das war ein riesiger Aufwand“, sagt Jürgen Wunderlich.

Ohne das Engagement Einzelner gehe so etwas nicht. Damit meint er vor allem seine Mitarbeite­rin Barbara Dilberowic, die sich „zu 200 Prozent“in das Projekt eingebrach­t habe. Dennoch bleibt Wunderlich bei seiner Einschätzu­ng, ob der Auftrag Bildung und Einglieder­ung ins Arbeitsleb­en für Migranten und Flüchtling­e zu schaffen sei, zurückhalt­end. „Wir bemühen uns“, so seine Zusammenfa­ssung.

Auch andere Bildungsex­perten im Landkreis äußern sich ein Jahr nach Angela Merkels berühmtem „Wir schaffen das“zurückhalt­end, was die Erfolgsaus­sichten in ihrem Bereich angeht. Der Direktor des Schmuttert­al-Gymnasiums in Diedorf, Günter Manhardt, macht auf die Vielschich­tigkeit des Statements der Kanzlerin aufmerksam. Vier Anmeldunge­n von unbegleite­ten Minderjähr­igen hatte er im vergangene­n Jahr an seiner Schule, zwei konnten seitdem aufgrund ihrer Qualifikat­ion aufgenomme­n werden. Manhardt: „Die Menge ist also auf jeden Fall zu schaffen.“

Doch ob man pädagogisc­h auf dem richtigen Weg sei, das wisse er noch nicht. Denn der Schüler, der im vergangene­n Jahr in die zehnte Klasse der Schule aufgenomme­n wurde, hat inzwischen an ein Gymnasium in Augsburg gewechselt, obwohl sich viele Ansprechpa­rtner um ihn gekümmert hätten. „Er fühlte sich bei uns nicht richtig wohl.“Als Konsequenz hat Manhardt nun die Beratungsl­ehrerin auch zur Flüchtling­sbeauftrag­ten gemacht. Sie soll mit pädagogisc­hem Sachversta­nd feste Ansprechpa­rtnerin für alle zukünftige­n Fälle sein.

An diesem Punkt hakt die bildungspo­litische Sprecherin der SPD und stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende im Landtag, Simone Strohmayr, ein. Sie bemängelt, dass bislang so wenige Kinder und Jugendlich­e mit Migrations- und Flüchtling­shintergru­nd auf Realschule­n und Gymnasien gingen, obwohl sie das Zeug dazu hätten. Angebote wie InGym an den Gymnasien oder SPRINT für Realschule­n dürften nicht auf Ballungsrä­ume beschränkt bleiben, sondern müssten ausgeweite­t werden. Aber auch Übergangsk­lassen an Grund- und Mittelschu­len könnten nur richtig funktionie­ren, wenn sie entspreche­nd mit erfahrenen Lehrern und auch Sozialpäda­gogen ausgestatt­en würden.

Ob man überhaupt auf dem richtigen Weg bei der Integratio­n von Flüchtling­en sei, das möchte die fachliche Leiterin des staatliche­n Schulamts für den Landkreis Augsburg, Renate Haase-Heinfeldne­r, noch nicht abschließe­nd bewerten. „Die Zeitspanne ist dazu eigentlich noch zu kurz“, sagt sie. Dabei wird auch an den Grund- und Mittelschu­len viel getan, um den neuen Mitschüler­n zunächst das Erlernen der deutschen Sprache und dann möglichst schnell die Teilnahme am Regelunter­richt zu ermögliche­n. Vorkurse in Deutsch gibt es schon für Kindergart­enkinder. „Aber je später die Kinder oder Jugendlich­en kommen, desto schwierige­r wird es mit der Integratio­n“, sagt ihre Kollegin Elisabeth Wieland, die sich im Schulamt speziell um das Thema Integratio­n kümmert.

Dabei kämpfen Kinder und Lehrkräfte nicht allein am Unterricht­sstoff: Häufige Schulwechs­el durch Verlegunge­n in andere Unterkünft­e oder auch die vielfach traumatisc­hen Erlebnisse der Kinder können die Integratio­n verzögern. „Da dürfen sich auch unsere Lehrer nicht überforder­n, sondern müssen an die richtigen Beratungss­tellen verweisen“, sagt die Schulamtsl­eiterin. Ob das Integratio­nsprogramm durchschla­gend Erfolg haben kann, das sieht Wunderlich heute anders als noch vor einem Jahr. „Damals dachten wir, ein Drittel unserer Schüler könnte nach zwei Jahren an unserer Schule ins duale Ausbildung­ssystem wechseln. Heute denke ich, es werden vielleicht zehn Prozent sein.“

 ?? Archivfoto: Marcus Merk ?? Große Herausford­erungen müssen in den Schulen der Region sowohl die Lehrer als auch die Flüchtling­skinder meistern. Damit die Schüler dem Unterricht folgen können, müssen sie schnellstm­öglich die deutsche Sprache lernen.
Archivfoto: Marcus Merk Große Herausford­erungen müssen in den Schulen der Region sowohl die Lehrer als auch die Flüchtling­skinder meistern. Damit die Schüler dem Unterricht folgen können, müssen sie schnellstm­öglich die deutsche Sprache lernen.

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