Augsburger Allgemeine (Land West)
„Pfarreiengemeinschaften sind Quälerei“
Glaube Anton Wagner ist der älteste aktive Pfarrer im Dekanat. Er erzählt, wie sich sein Beruf gewandelt hat – und sagt, wie die Kirche dem Priestermangel begegnen könnte
Neusäß-Westheim
In Deutschland ließen sich 2015 nur 58 Männer zu Priestern weihen – ein Allzeittief. Im Bistum Augsburg gab es im vergangenen Jahr drei Neupriester. 20 Jahre zuvor waren es noch 14 und vor 50 Jahren sogar 26. Diese Zahlen hat die Bischofskonferenz kürzlich veröffentlicht. Der Personalmangel hat direkte Auswirkungen auf die Arbeit der Priester. Der älteste noch aktive katholische Pfarrer im Dekanat Augsburg-Land ist Anton Wagner. Seit fünf Jahren ist er Wallfahrtsseelsorger an der Kobelkirche in Westheim. Er ist 82 Jahre alt und hat in den vergangenen Jahrzehnten schon viele Veränderungen in seinem Beruf mitbekommen.
Herr Pfarrer Wagner, eigentlich sind Sie ja Elektriker. Wie kam es, dass Sie Priester wurden?
Wagner: Eins muss klar sein: Es ist an erster Stelle Gott, der beruft. Und der hat seine Tricks. Ich war nach meiner Meisterprüfung drei Jahre in Ostafrika als Entwicklungshelfer. Einmal war ich bei einer Operation dabei, und der junge Mann ist gestorben. Mein Schlüsselerlebnis war dann, als ein Missionar zur letzten Ölung kam. Bis dahin habe ich immer gedacht: Ein Arzt ist derjenige, der den Menschen am meisten helfen kann. Doch in diesem Moment habe ich gemerkt: Es ist der Priester. Das war im Nachhinein gesehen mein Berufungsmoment.
Und da haben Sie sich darauf eingelassen?
Wagner: Ja. Wobei: Anfangs habe ich gedacht, das ist Einbildung. Ich hatte ja nie im Kopf, dass ich Priester werden will. Aber wie gesagt: Gott hat seine Tricks. Ich habe das Abitur nachgeholt und Theologie studiert. Es waren elf Jahre Schule und Universität, bis ich 1974 schließlich zum Priester geweiht wurde. Da war ich 40 Jahre alt.
Das war ja eine besondere Zeit, so kurz nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil?
Wagner: Das stimmt. Die Aufbruchstimmung in den Gemeinden war sehr groß. Der damalige Bischof Josef Stimpfle hat immer von einem „neuen Frühling“gesprochen. Ich hatte gleich in meiner ersten Pfarrei den Auftrag, zwei Kirchen zu bauen. Die erste war in Klingsmoos im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen. Für 900 Katholiken hat man da eine Kirche gebaut, die 700 Plätze hatte. In der ersten Zeit war sie tatsächlich nahezu gefüllt. Heute würde man so etwas nie mehr bauen.
Eine Kirche zu bauen, das ist für einen
Pfarrer bestimmt eine besondere Aufgabe.
Wagner: Ja, und auch hier zeigt sich wieder: Gott hat seine Tricks. Er hat mich erst die Handwerksausbildung machen lassen, damit ich dann die Kirchen bauen kann. So konnte ich viel besser mitreden. Und was heute auch nicht mehr ginge: Ich habe damals innerhalb eines Jahres alle Leute in der Gemeinde besucht, um nach Spenden für den Bau zu fragen.
Dafür hätte ein Pfarrer heute wohl keine Zeit mehr.
Wagner: So ist es. Die Pfarreiengemeinschaften sind Quälerei, die ma-
chen die Pfarrer kaputt. Meine Kollegen müssen immer mehr verwalten, darunter leiden sie sehr. Aber wir sind doch für die Menschen gerufen worden und nicht für das Papier. Zum Beispiel Lechhausen. Ich hatte damals, Anfang der Neunzigerjahre, nur die Pfarrei St. Pankratius und ein großes Team mit bis zu drei weiteren Priestern. Jetzt ist das eine Katastrophe. Es gibt mittlerweile eine Pfarreiengemeinschaft mit Unsere Liebe Frau, aber der Pfarrer hat für mehr Gemeindemitglieder weniger Hilfe. Da kommst du nicht mehr rum. Das ist das größte Problem bei uns Pfarrern: dass wir nicht mehr viel Zeit für die Leute haben.
Dass die Pfarrer immer größere Einheiten betreuen müssen, das liegt am Priestermangel. Wie könnte man dieses Problem lösen?
Wagner: Viele würden jetzt sagen: Lasst die Pfarrer heiraten. Doch so einfach ist das nicht. Evangelische Pfarrer haben mir erzählt, dass es bei ihnen viele Scheidungen gibt. Denn Pfarrer haben eben sehr viele Abendtermine und wenig Zeit für die Familie. Was ich mir aber vorstellen könnte, das ist, dass „bewährte Männer“, sogenannte viri probati, zum Priester geweiht werden könnten. Das sind Männer so über 50, die verheiratet sind und deren Kinder schon aus dem Haus sind. Bischof Stimpfle hatte damals den Vorschlag gemacht, aber dann ist die Idee wieder eingeschlafen. Das ist schade.
Dass Priester fehlen, das ist das eine. Aber es kommen ja auch immer weniger Menschen in die Kirche. Wie kann sich das ändern?
Wagner: Das Problem ist: Uns ist Gott verloren gegangen. Ich kann den Menschen Gott nicht mehr schmackhaft machen. Dabei brauchen wir die Erfahrung: Gott ist mir begegnet. Viele Leute haben mir zum Beispiel nach charismatischen Bibelkreistreffen gesagt: Das ist das, was wir brauchen, da haben wir das gespürt. Dabei ist es mit der Frage „Woher weiß ich, dass Gott mich liebt?“doch so wie bei der Frage: Woher weiß eine Frau, dass ihr Mann sie liebt? Er muss Zeichen geben, und die muss ich wahrnehmen. Das ist der moderne Weg der Spiritualität: Nimm das Gute wahr und bringe es mit Gott in Verbindung.
Sie sind schon mehr als 40 Jahre Priester. Woher nehmen Sie die Kraft?
Wagner: Das ist wie bei einer Mutter: Ich bin immer Priester, so wie eine Mutter immer Mutter ist, bis ins Grab hinein. Aber ich muss schon sagen: Hier als Kobelpfarrer ist es grundlegend anders als zuvor in den Pfarreien. Hier habe ich keine Leute mehr hinter mir, es gibt keinen Pfarrgemeinderat und keine Kirchenverwaltung. Wenn ich mal Helfer bräuchte, dann wüsste ich nicht, wer mir helfen sollte. Es sind vielleicht fünf Leute, die regelmäßig in die Messen kommen. Die anderen kommen sporadisch und von weit her. Was aber etwas Wunderbares ist, das ist das Pfarrerfrühstück, zu dem wir uns hier in Neusäß jeden Sonntag um 7.15 Uhr treffen, reihum bei den Priestern der Pfarreiengemeinschaft und Klinikseelsorge.
Interview: Manuela Bauer