Augsburger Allgemeine (Land West)
Der dreigeteilte Peer Gynt
Landestheater Schwaben Memmingens neue Intendantin Kathrin Mädler startet mit einer eigenen Ibsen-Inszenierung – und einem in großen Teilen ausgewechselten Ensemble
Memmingen
Was für ein Spielzeitauftakt am Landestheater Schwaben! So sieht es also aus, das „Theater der Zeitgenossenschaft“, das die neue Memminger Intendantin Kathrin Mädler angekündigt hatte: entstaubt, zeichenhaft, lustvoll, intensiv, tiefgründig. Lautstarken Applaus und Bravos gab es jetzt für ihre erste Regiearbeit, Henrik Ibsens „Peer Gynt“, den sie verblüffend heutig erzählt.
19 Jahre lang stand das Haus unter der Leitung von Walter Weyers – die anscheinend stark kollektiv denkende Mädler, 40, hatte schon Monate vor ihrem offiziellen Start damit begonnen, die Weichen für die Zukunft neu zu stellen. Einen Großteil des jetzt zahlenmäßig aufgestockten Ensembles hat sie ausgewechselt; statt festen Bühnenbildnern gibt es nun mit Ulrich Leitner einen neuen Ausstattungsleiter, der mit Gästen zusammenarbeiten wird, um immer wieder neue Bühnenästhetiken zu bieten. „Ich finde es ganz entscheidend, sich immer wieder zu bewegen, sich zu hinterfragen und mit neuen Menschen, Künstlern und Arbeitsweisen zusammenzukommen“, sagt Mädler.
Die extreme Einsatzbereitschaft, die das erfordert, geht ihr neues Ensemble offensichtlich mit. Diesmal vor allem Sandro Sutalo, Jens Schnarre und Aurel Bereuter, die sich in Mädlers erster, ungeheuer dichten Inszenierung die Rolle des Peer Gynt teilen. Oder sie vielmehr multiplizieren. Denn jeder fügt diesem Fantasten und Flunkerer, der zwischen Traum und Wirklichkeit sich selbst hinterherrennt, eigene Facetten hinzu.
Der Zuschauer muss sich erst daran gewöhnen, dass sie meist gleichzeitig auf der Bühne und miteinander im Gespräch sind. Belohnt wird er dafür mit drei großartigen Gynts, die jeweils einen der drei von Ibsen vorgegebenen Lebensabschnitte tragen. Jeder agiert mit enormer Energie und Präsenz, ohne je angestrengt zu wirken. Sandro Sutalo, der Träumer und Hochstapler, erzählt gegen das „Peer, du lügst“der sterbenden Mutter Aase an (stark: Anke Fonferek, die auch als Knopfgießer glänzt). Jens Schnarre besticht als eiskalte, kapitalistische Ego-Maschine, als „Frauen- und Negerhändler“, der über Leichen geht für den Erfolg. Aurel Bereuter nimmt man den nachdenklichen, schiffbrüchigen Heimkehrer, der um seine Seele kämpfen muss, jede Minute ab.
Mareike Delaquis-Porschka (Büh- ne und Kostüme) hat diesem stimmig inszenierten Spiel einen modernen Gedanken- und Traumraum geschaffen, der die Zustände der Figuren miterzählt. Zentrale Station ist eine (ausgehängte) Sessellift-Gondel – mit der es bequem ganz nach oben gehen kann, aber auch rasch nach unten. Unablässig tropft Wasser in Eimer; schwarze Mülltüten signalisieren Endzeitstimmung; und die teils schrägen schwarz-weißen Kostüme verstärken die Künstlichkeit dieses Kosmos noch, in dem man nie so genau weiß, was real oder imaginiert ist.
Darin wird die Dorfhochzeit gefeiert, von der Peer die Braut eines anderen, ent- und verführt (sinnlich, fordernd, tief verletzt, auch als Trollprinzessin: Elisabeth Hütter). Von dort bricht er auf, um Kaiser zu werden, obwohl er sich in Solveig verliebt hat („Ich geh nur Zigaretten holen. – Ich warte“). Miriam Haltmeier spielt diese Solveig als eine Art Gegenkonzept zu Peer, der sein Leben lang vor sich davonläuft. Sie bringt große Kraft und Klarheit in diese Figur, die einfach bei sich bleibt und die Irrungen ihres Auserwählten sehr cool mit klasse gesungenen Songs kommentiert („He’s talking about dreams“) .
Dieser findet sich erst im Reich der Trolle wieder (Christian Bojidar Müller, André Stuchlik, Fridtjof Stolzenwald entmystifizieren die Truppe überzeugend), ehe er erfolgreicher Geschäftsmann wird. Mädler verlegt diese Phase in einen Klub, in dem Peer koksend mit Geldbündeln um sich schmeißt. Die Kaiserkrone der Selbstsucht setzen ihm aber erst Irre in einem Tollhaus auf, bevor es zurückgeht zu den Anfängen seiner Lebensreise. Miteinander häuten die drei Peers schließlich die berühmte Zwiebel ohne Kern, jeder selbst ist eine der Schalen, die einfach so auseinanderfallen. Schnee rieselt dazu aus dem Bühnenhimmel; er wird bald die letzten Spuren dieses dann doch winzigen Menschenlebens überdecken.
Zu Recht gab es Bravos für diesen Theaterabend, den Mädler mit ihrem neuen, vielversprechenden Ensemble detailliert in Form gegossen hat. O
am 12., 30. Okt., 11. Nov., 3. Dez., 10., 17., 19. Januar
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